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Weg der Hoffnung

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Die Begegnung, die seit dem II. Vatikani- sich ihr bisheriges und gesichertes Weltbild sehen Konzil in der Kirche sichtbar wurde, aufzulösen scheint.

gestattet es nicht, anläßlich der Feier des 750,iährigen Bestandes der Diözese Graz- Seckau vorwiegend auf das Geschehen der Vergangenheit zurückzublicken. Zu viele neue Probleme stehen heran, zu drängend sind die Aufgaben der Gegenwart, so daß eine Institution heute nur dann glaubwürdig wirkt, wenn sie haltbare und sinnvolle Ausblicke auf das Kommende anzubieten hat. Damit ist auch der Beweggrund genannt, der dieses Gedenkjahr unter das Leitwort stellen ließ: — Weg der Hoffnung — 750 Jahre Diözese Graz-Seckau. Die geistige Unruhe unserer Zeit ist evident, sie macht auch vor dem Kirchenraum und dem Bereich des Glaubens nicht halt. Je mehr der Mensch in den Medianismus von Gesetzen, von wirtschaftlichen Zwängen gerät und zuzugeben genötigt ist, daß er ihnen nicht entrinnen kann, um so mehr greift er nach Bereichen einer möglichen Freiheit, um diese in einer Art Gegenreaktion auch auf die Spitze zu treiben.

Beim Konzil wurde klar und deutlich wie nie zuvor die Gewissensfreiheit der Menschen angesprochen, freilich in der Absicht, die Würde des Menschen unter allen Umständen zu sichern. Mit der zugemuteten Freiheit wissen nun gläubige Christen noch nicht immer das Rechte anzufangen. Sie spüren schon das Gewicht der Entscheidung, das ihnen damit zufällt. Sie verlangen auch danach, nun überall auch die freie Mitsprache eingeräumt zu bekommen. Sie sind aber auch in Gefahr, nun mit Berufung auf die Freiheit alles in Frage zu stellen, einerlei ob es bisherige liturgische Gepflogenheiten sind oder die Autorität des Amtes oder auch Glaubensaussagen. Ist das auch keine Allgemeinerscheinung, so entsteht doch durch die unbehinderte Publikationsfreiheit in Wort und Schrift oft der Eindruck, daß auch im christlichen Bereich kein fester Grund mehr vorhanden sei. Die daraus entstehende Unruhe begrüßen die einen als Zeichen neuen Lebens, die anderen erschrecken davor, weil.

Diese Unruhe birgt aber offenkundig auch positive Seiten in sich. Es brechen neue Kräfte auf, die den Ansatz zu einer religiösen Erneuerung in sich enthalten. Das wesentliche Glaubensgut wird nicht nur von den Theologen im Grunde ernst durchdacht mit dem Ziel, es auch der heutigen Zeit verständlich zu prägen; es beginnen sich damit auch Kreise auseinanderzusetzen, von denen man meinen könnte, sie hätten Gott und Glauben längst abgeschrieben. Mag das oft in der Form des Widerspruchs und der Herausforderung geschehen, die Tatsache allein verrät, daß Menschen verschiedenster Anschauungen willens sind, sich den auftauchenden Fragen des Glaubens zu stellen.

Gesprengt sind auch die zu Zeiten berechtigt gewesenen, nach und nach aber einengenden Wälle der kirchlichen Schutzzone, in deren Rahmen es nur „Söhne des Hauses” und außenseitige Fremdlinge gab. Wer hätte es noch vor 30 Jahren für möglich gehalten, daß Priester und Gewerkschaftler oder Betriebsräte sich zu redlichen Diskussionen zusammensetzen werden? Ohne Schwierigkeiten kann heute der Bischof Betriebe aller Art besuchen, wird von Betriebsräten begleitet und findet bei den Arbeitern Beachtung, die zugleich die geänderte Lage bestätigen, seit die österreichischen Bischöfe im Interesse der Seelsorge für alle konsequent jede parteipolitische Einseitigkeit ablehnen.

In dem Grad, als die Kirche darauf verzichtet, paraweltliche Institutionen im eigenen Bereich aufzuziehen, vermag sie nun glaubwürdiger inmitten der Welt zu stehen. Sie ist natürlich bereit, sich auch mit den Vertretern anderer Anschauungen geistig zu messen, und nimmt dabei ihre ureigenste Verkündigung sehr ernst. Aber sie weiß auch, daß eine mündig gewordene Welt viele ihrer Aufgaben recht gut selbst zu meistern imstande ist und deshalb jeglicher Versuch einer Konkurrenz seitens der Kirche heute unangebracht ist.

Das schließt ein redliches Mitdenken und partnerschaftliches Eintreten für schwerwiegende Weltprobleme nicht aus. Die Fragen des Weltfriedens, der Bevölkerungsentwicklung, der Achtung vor jedem Menschenantlitz, von sozialer Gerechtigkeit, der Existenzsicherung, der Freiheit und jeglichen echten Fortschritts enthalten zugleich so viele sittliche Grundbezüge, daß eine brüderliche Aufnahme dieser Fragen seitens der Glaubensgemeinschaft ein Gebot der Stunde ist. Eine Begegnung aller Kräfte des Guten auf diesen Gebieten kann nur dem Gesamtwohl der Menschen dienen; soweit sie zustande kommt und tatkräftige Schritte dazu gibt es genug dürfen wir darin einen Weg der Hoffnung sehen.

Noch schauen ängstliche Gemüter, mehr als gut ist, zurück, nicht eingedenk der Mahnung Christi: wer die Hand an den Pflug legt und zurückschaut, ist meiner nicht wert. Noch zögern junge Menschen allzusehr in der Erwägung, ob sie den Priesterberuf ergreifen sollen und wagen nicht die herzhafte und großmütige Drangabe. So steuern wir einer großen Priesternot entgegen.

Um so mehr regt sich allenthalben bei Gläubigen das Verantwortungsbewußtsein für Kirche und Welt. Ein Zeichen dafür sind die Bestrebungen, Pfarrleitungen, Pfarr- gemeinderäte und Pfarrausschüsse zu bestellen, die gemeinsam mit den Priestern den Dienst an der gesamten Glaubensgemeinde überlegen. Wenn sie nicht im Institutioneilen versanden, gewähren sie beste Ansätze für eine wachsende Erneuerung der Kirche. Um die brüderliche Gemeinde, von der in den letzten Jahren soviel die Rede war, wird ernsthaft gerungen; vielen wird es immer klarer, daß dazu ein Haltungswandel nötig ist, der sich von Fassade und Schein befreit, und der die persönliche Redlichkeit und Geradheit in den Beruf, in die Familie und in den Umgang hineinzunehmen versteht. Ein neues Bewußtsein des inneren Zusammenstehens der Gläubigen und zugleich des Offenseins der Umwelt gegenüber bahnt sich da und dort kräftig an.

Wer nun all dies bedenkt, vermag als Steirer getrost das 750-Jahr-Jubiläum der Diözese mitfeiern, weil die Summe des bis zum heutigen Tag Gewordenen durchaus die Kraft einer weiteren Entfaltung in sich enthält.

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