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Wie sich ein Klima der Solidarität herstellen läßt

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Der Versuch, einige markante Sichtweisen von Solidarität darzulegen, zeigt, daß dieses Wort zunächst einmal eine starke Strahlungskraft hat. In ihm sammelt, sich ungemein viel des Sehnens und Strebens des Menschen nach Harmonie, Gemeinsamkeit und Geborgenheit. Zugleich suggeriert es, daß positives Mit- und Füreinander tatsächlich möglich ist, wenn sich die Menschen nur „solidarischer" verhalten würden.

Aber damit ist noch nicht alles gesagt. Es muß zunächst einmal Klarheit herrschen über die Inhalte der Forderung, die Bedingungen und Möglichkeiten, die Intensität, das Ziel der Solidarität und - journalistisch gesprochen - über die „Beich-weite" von Solidaritätsappellen.

Denn es gibt - und das haben die dargestellten Positionen deutlich gezeigt - ganz unterschiedliche Vorstellungen, die aber vom jeweiligen Menschen- und Gesellschaftsbild abhängen und daher auch Unterschiedliches wollen und bewirken.

Welche Konsequenzen sind daraus zu ziehen?

1. Politiker, Meinungsmacher (Journalisten), Intellektuelle, Künstler etc.-sind in besonderem Maße mitverantwortlich für den Zustand einer Gesellschaft. An ihnen liegt es, ob Solidaritätserfordernisse nicht nur vage wahrgenommen, sondern auch entsprechend artikuliert und einforderbar werden.

Dies gilt für alle gesellschaftlichen und politischen Bereiche.

2. Es muß dabei aber immer klar sein, worum es geht. „Welche Solidarität, mit wem, warum und wie?"

Mit Aristoteles und Scheler muß man zum Beispiel durchschauen, daß mancher Solidaritätsappell nicht auf einem wirklichen, positiven „Ja" zueinander beruht, sondern nur auf einem gemeinsamen Feind (Islam, „die" Unternehmer, „die" Sozial Schmarotzer und Leistungsverweigerer etc.), also im Grunde eine negative Solidarisierung ist.

3. Mit Marx vor Augen sollte man sich davor hüten, Schwarz-Weiß-Bilder zu malen und Radikallösungen zu fordern. Daß Totallösungen schief gehen, hat der Konimunismus gezeigt. Für Marx war die Klassengesellschaft mit Privateigentum die Negation der Solidarität. Die Aufhebung dieser Gesellschaft bewirke daher, meinte er; automatisch die Aufhebung allen Übels.

Es gilt daher, sich immer wieder vor Augen zu halten, wie vielschichtig schon unsere eigene Gesellschaft und erst recht die gesamte Menschheit ist. Es genügt nicht, üble Zustände auf eine einzige Ursache zu reduzieren. Also zum Beispiel zu sagen: „Der Kapitalismus ist schuld an der Arbeitslosigkeit" und dies dann mit der Forderung zu verknüpfen: „Der Kapitalismus muß abgeschafft werden."

4. Die Neigung, in die Ferne zu schweifen und Solidarität besonders gerne dort zu üben, ist weit verbreitet. Jeder ist aufgefordert, sich in den eigenen vier Wänden, in der eigenen Redaktionsstube (?), im eigenen Land, in seinem Beruf, zu Taten im Schelerschen Sinne aufgerufen zu fühlen.

Mit Aristoteles kann uns bewußt sein, daß Solidarität üben ganz bestimmt nicht, heißen kann, Konflikten aus dem Weg zu gehen. Solidarität heißt auch, wohlwollend Kritik zu üben, Meinung unterschiede auszutragen, Andersdenkenden standzuhalten, sich mit ihnen auseinanderzusetzen - und nicht, sie „niederzumachen", auszugrenzen.

Es geht darum, Menschen zu helfen, einen gemeinsamen oder auch ihren ganz eigenen, vielleicht ganz anderen Weg zu gehen.

5. Die Fälligkeit zum positiven Miteinander hat auch damit zu tun, ob man Solidarität und positives Wohlwollen auch selbst erlebt, erfährt und daher weitergeben kann.

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