6803863-1971_48_04.jpg
Digital In Arbeit

Diktatur leerer Kassen?

Werbung
Werbung
Werbung

Gleich zu Beginn der Budgetrede setzte der Finanzminister scharfe Akzente, und den Anspruch, auch in der Haushalterstellung einen „neuen Stil“ zu vertreten. „Die Budgetpolitik wurde einmal als Kunst bezeichnet, Enttäuschungen gleichmäßig zu verteilen. Der Bundesvoranschlag 1972 steht im klaren Gegensatz zu dieser konservativen Philosophie. Die Bundesregierung ließ sich bei seiner Erstellung vielmehr von gesellschaftspolitischen Wertvorstellungen leiten. Sie setzt 1972 den mit dem Budget 1971 eingeschlagenen Weg fort, ihre wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Entscheidungen in längerfristigen Zusammenhängen zu sehen."

Also jugendlicher Elan gegen Konservatismus, mit dessen Verteufelung schon im Wahlkampf konsequent begonnen wurde? Aber: was ist eigentlich so neu an diesem Budgetentwurf?

Eines der gravierendsten Argumente stellt die Behauptung dar, die Regierung Kreisky habe bei ihrer Amtsübernahme einen Gesundungsprozeß der Staatsflnanzen einleiten müssen, und er sei ihr, wie mit trok- kenen Zahlen belegt wird, auch gelungen.

Nun gehören zweifellos die Einführung der befristeten Sonder- steuem und das Anschwellen des Budgetdefizits zu den dunkelsten Blättern der ÖVP-Finanzpolitik. Daß die Regierung Klaus durch vermehrte öffentliche Investitionen das Übergreifen der Rezession von 1966 auf Österreich verhindern wollte (was tatsächlich weitgehend gelungen ist), erklärt das Phänomen der

Ausgabenaufblähung nicht zur Gänze. Dennoch hat auch die ÖVP in den letzten Jahren ihrer Regierung versucht, das Steuer herumzuwerfen und auf längere Sicht die Schulden wieder abzubauen. Auch hier brauchten die Kabinette Kreiskys an der Richtung nichts zu ändern.

Ist aber unter sozialistischer Ägide überhaupt etwas für die Budgetsanierung geschehen? Daß das für 1970 noch von Koren präliminierte Defizit von 9 Milliarden Schilling in Wirklichkeit nur 7,2 Milliarden Schilling betrug, ist kein Verdienst der inzwischen installierten sozialistischen Regierung, sondern einzig und allein eine Folge der vorsichtigen Einnahmenschätzung, die durch die tatsächlichen Einnahmen weit übertroffen worden ist. Dies anzuerkennen, statt sich selbst die Feder an den Hut zu stecken, wäre ein Akt der Fairneß gewesen, doch diese gehört offenbar nicht zum neuen Stil des heutigen Finanzministers.

And» Androsch ein

„Schuldenmacher?“

Dafür aber brachte der Voranschlag 1971 sogar ein Defizit von 9,8 Milliarden Schilling, das nur noch geringfügig unterschritten werden wird, und der Voranschlag 1973 sieht abermals einen Gelbarungsabgan g von 9,83 Milliarden Schilling vor; dieser wird aber nach Ansicht von Fachleuten ganz gewiß nicht mehr unterschritten, sondern wahrscheinlich sogar ertieblich überschritten werden, da die Einnahmen allzu optimistisch geschätzt sein dürften.

Das Argument, für das Defizit seien die von den Vorgängerin ererb ten Schulden verantwortlich, ist kaum stichhältig; nach Abzug der Schuldentilgung bleibt 1972 nämlich noch immer ein Nettoabgang von 4,1 Milliarden Schilling, was als Neuverschuldung in einem einzigen Jahr beachtlich ist. Dagegen wird in den beiden letzten Konjunkturjahren von der Möglichkeit einer Ausgabendrosselung (die schon zwecks Verringerung der Geldentwertung ratsam gewesen wäre) und damit einer fühlbareren Verringerung des Defizits kein Gebrauch gemacht.

Also ist Dr. Androsch auch ein Schuldenmacher? Weit gefehlt, er ist ein Sparmeister. Denn der Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen hatte 1970 für 1972 bereits ein Defizit von 17,5 Milliarden Schilling prognostiziert. Daß dies unter der Annahme weit ungünstigerer Konjunkturver- hältnisse und damit geringerer Steuereingänge und einer weiteren stanken Ausgabensteigerung erfolgt ist und als Warnschuß zur Unterstützung des Finanzministers bei seinen Spanbestrebungen diente, wird großzügig übersehen.

Noch kühner als die Behauptung einer neuen Budgetpolitik 1st aber der Versuch, die Hochkonjunktur der beiden letzten Jahre als Erfolg der Regierung Kreisky darzustellen.

Die Impulse, die zur Hochkonjunktur 1970/71 führten, wurden entscheidend schon in den Jahren vorher gegeben, wie auch der starke Konjunkturanstieg 1969 erkennen läßt. Wenn das Wachstum in Österreich in den beiden letzten Jahren höher war als im europäischen Durchschnitt, so weitgehend wegen der schon oft beobachteten Konjunkturphasenver schiebung, die Österreich den Höhepunkt zu einer Zeit erreichen läßt, in der in den meisten übrigen Industrieländern schon Rezessionstendenzen herrschen.

Ein weiterer Grund liegt in einer Entwicklung, die schon vor zehn, fünfzehn Jahren eingesetzt hat und jetzt voll zum Tragen kommt: im tiefgreifenden Strukturwandel der österreichischen Wirtschaft, der nicht nur eine Steigerung, sondern auch eine erhebliche Qualitätsverbesserung des Nationalprodukts mit sich brachte. Diese rein wirtschaftliche Entwicklung, an der dem Staat nur geringes Verdienst zukommt, ermöglicht das allmähliche Aufholen des Vorsprungs anderer Industriestaaten und bringt daher überdurchschnittliche Wachstumsraten.

Also ein Budget wie gehabt? Dürfen die Denkfaulen auf atmen, weil „eh nix gschieht?“ So einfach ist es auch nicht. So wenig sich am Merito- rischen ändert, so stark wandelt sich die Budget-„Philosophie", deren Folgen wir noch hart zu spüren bekommen werden.

Es ist die Absage an Budgeteinsparungen, das Bekenntnis zur unbegrenzten Expansion der Staatsausgaben, das sich hinter scheinbar harmlosen, wohlmeinenden Formulierungen, wie ein armer Staat sei kein gerechter Staat und man wolle sich nicht der „Diktatur der leeren Kassen“ beugen, verbirgt. Hier sind wir in unittelbarer Nachbarschaft zum Schlagwort von der „öffentlichen Armut", das heute in den sozialistischen regierten Staaten Westeuropas grassiert und die Rechtfertigung für das Verlangen nach hemmungslosen Ausgaben bei gleichzeitigen konfiskatorischen Steuern darstellt; es ist die Devise, mit der in der SPD heute ein Eppler und ein Arendt die Politik des gemäßigten Schiller offen sabotieren und auf dessen Sturz hinarbeiten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung