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Direkte Demokratie

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Kanton Übrig, Musterländle, LGoldener Westen... - sind nur einige der mehr oder weniger hu- morvollen Bezeichnungen für das westlichste Bundesland Öster- reichs. Oft sind sie Ausdruck einer gewissen Unsicherheit im Umgang mit den Alemannen, die in diesem Land leben, aber auch einer gewis- sen Unkenntnis über das Land und seine Geschichte.

Die Entwicklung einer eigenstän- digen Geschichte wird wesentlich durch den vorgegebenen geogra- phischen Raum bestimmt. Unser Land weist markante Grenzen auf: Im Osten den Arlberg, der in frühe- ren, damals noch schneereicheren Wintern, oft unpassierbar war. Im Süden den Rätikon und die Silvret- ta. Im Westen bilden der Rhein, lange unreguliert und ohne Brük- ken, und im Norden der Bodensee und die Bregenzer Klause weitere Sperren. Dieser vorgegebene geo- graphische Raum begründet die Geschichte nicht, aber er gibt den Rahmen vor, in dem der Mensch die Geschichte gestaltet.

Weitere Faktoren, die die ge- schichtliche Entwicklung beein- flußten, waren die große Entfer- nung zur Zentrale und die Nähe zur Schweiz.

Der bereits in früheren Jahren bestehende, für Vorarlberg typische freie Grundbesitz kleineren Um- f angs, der zu einer starken Verbun- denheit mit dem Besitz führte, prägte die geschichtliche Entwick- lung ebenfalls mit.

Es gab aber nicht nur die Freiheit des Grundbesitzes, sondern auch freie, sich selbst verwaltende Ge- meinden. Über den Gemeinden erhoben sich die Gerichte, die sich gegen Ende des 14. Jahrhunderts zu den Landständen zusammenschlös- sen. Sie setzten sich, im Gegensatz zu den Ständen in anderen Län- dern, nur aus Bürger- und Bauern- vertretern zusammen. Adel und Geistlichkeit waren in der Landes- vertretung politisch nicht präsent.

Die Hauptaufgabe der Landstän- de lag auf dem Gebiet des Steuer- wesens und der Landesverteidi- gung. Seit ihrer frühesten Zeit kämpften die Stände auch um mehr Rechte für ihr Heimatland. Wenn- gleich sich die Landesfürsten und die Verwaltung, in der der in den Ständen nicht vertretene Adel dominierte, vehement gegen diese Bestrebungen stellten und jedes Zugeständnis in einer zähen Aus- einandersetzung errungen werden mußte, konnte sich Vorarlberg im Österreich-Vergleich ein hohes Maß an Mitwirkung des Landesvolkes an der Herrschaft erkämpfen. Die Zeit des Absolutismus bedeutete das Ende der Blütezeit der Stände.

Vor dem Hintergrund dieses jahr- hundertealten Strebens nach Ei- genständigkeit sind auch jene zeit- geschichtlichen Ereignisse in Vor- arlberg zu betrachten, die uns mancherorts den Ruf als „Separa- tisten" eingebracht haben: Die Anschlußbestrebungen an die Schweiz nach dem Ersten Welt- krieg, die Ereignisse in Fußach 1964 und in Folge die Volksabstimmung für mehr Länderrechte 1980.

Der Zusammenbruch des habs- burgischen Vielvölkerstaates am Ende des Ersten Weltkrieges war für Vorarlberg ein Signal, sich aus eigenem Willen und eigener Kraft die Selbständigkeit zu geben. Die ungewisse Zukunft Österreichs, die Auflösung des Staatsgebildes, die allgemeine Notlage und die frustrie- renden Kämpfe des 19. Jahrhun- derts um mehr Eigenständigkeit, die von der Zentrale nicht gewährt wurde, weckten in der Bevölkerung den Gedanken eines Anschlusses an die Schweiz. Die im Mai 1919 durchgeführte Volksabstimmung brachte eine 80prozentige Mehr- heit für diesen Anschluß. Die ver- schiedenen Bemühungen von Vor- arlberger Politikern, bei der Bun- desregierung und beim Völkerbund, die Wünsche des Landesvolkes durchzusetzen, scheiterten. Vorarl- berg verblieb bei der jungen Repu- blik Österreich,

Immer deutlicher trat aber her- vor, daß im Bundesstaat Österreich die Stellung und die Rechte der Länder mehr und mehr geschwächt wurden. Daß diese Entwicklung gerade in Vorarlberg mit seinen jahrhundertealten demokratischen Traditionen auf Widerstand stieß, liegt auf der Hand. Vorarlberg drängt seit 1945 mit Vehemenz und Nachdruck auf die Erhaltung und Verbesserung föderalistischer Strukturen, um damit einem Grundprinzip echter Demokratie zur Geltung zu verhelfen. Die Er- eignisse in Fußach 1964, als eine spontane Massenkundgebung die Taufe eines Bodenseeschiffes auf den Namen „Karl Renner" verhin- derte und stattdessen den Namen „Vorarlberg" durchsetzte, wurden zu einer markanten Demonstration für den Föderalismus.

Der in der Bevölkerung stark verankerte Wunsch nach einer Aufwertung der Stellung der Län- der im Bundesstaat führte 1979 zur Gründung der Bürgerinitiative „Pro Vorarlberg" und in der Folge zur Volksabstimmung 1980. Rund 70 Prozent der Stimmberechtigten gaben dabei ihren politischen Ver- tretern den verbindlichen Auftrag, mit dem Bund über mehr Eigen- ständigkeit der Länder und Ge- meinden zu verhandeln. Nicht - wie oft irrtümlich, teils auch böswillig interpretiert - „Los von Österreich" war die Devise, sondern Stärkung des föderalistischen Prinzips im Bundesstaat Österreich. Obwohl bislang nur einige Begehren der Föderalismus-Volksabstimmung wenigstens zum Teil erfüllt wur- den, brachte sie doch einen wichti- gen Diskussionsschub:

Einzelne Landtage beschlossen ebenfalls Föderalismusentschlie- ßungen, und auch der Forderungs- katalog der Länder 1985 beruht nicht zuletzt auf der Volksabstim- mung in Vorarlberg. Um der Forde- rung nach mehr Föderalismus er- neut Nachdruck zu verleihen, be- schloß die Vorarlberger Landesre- gierung im Jahre 1989 ein Acht- Punkte-Programm, das durch Be- schlüsse der Landeshauptmänner- konferenz als im Sinne aller Bun- desländer vorgetragen gilt.

Vorarlberg hat gerade durch die Novellierung der Landesverfassung 1984 bewiesen, daß es bemüht ist, das Landesvolk verstärkt in die politischen Entscheidungen mitein- zubeziehen. Die Instrumente der direkten Demokratie wie Volksbe- gehren, Volksbefragung und Volks- abstimmung wurden verankert beziehungsweise erweitert. Ebenso das Petitionsrecht und die Begut- achtung von Gesetzesentwürfen durch die Landesbürger. Als erstes Bundesland beschloß Vorarlberg auch die Errichtung einer Landes- volksanwaltschaft.

Das neue, persönlichkeitsbezoge- ne Wahlrecht ist, wie die Landtags- wahlen vom Oktober 1989 ein- drucksvoll belegen, ebenfalls ein Schritt zu vermehrter Mitsprache der Bürger. Die Möglichkeit, durch Vorzugsstimmen die Reihung der Kandidaten einer Partei zu verän- dern, wurde von über 50 Prozent der Wähler in Anspruch genom- men.

Nicht Kantönligeist und Separa- tismus, sondern das - sich in der Kontinuität der Landesgeschichte manifestierende - Ziel der Bewah- rung der politischen Einheit des Landes und der Stärkung der Stel- lung der Länder waren und sind die Antriebsfeder im Einsatz Vorarl- bergs um mehr Föderalismus. Ge- rade die momentane Diskussion um die Bedeutung der Regionen in einem gemeinsamen Europa bele- gen, daß der Vorarlberger Weg rich- tungsweisend ist.

Der Autor, FURCHE-Mitherausgeber, ist Präsident des Vorarlberger Landtages.

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