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Kurt Weills Werk ist lange Zeit allzu stiefmütterlich behandelt worden. In den Konzertsälen wie auf dem Plattenmarkt. Wie dieses Original der Musikgeschichte auch zu Lebzeiten eigentlich nie die Würdigung erfuhr, die ihm gebührt hätte. Jetzt hat die Deutsche Grammophon-Gesellschaft eine Plattenkassette herausgebracht, die in Sachen Weill sozusagen erste Informationshilfe leistet. Wer Weills unbändige Einfallskraft, seinen Witz, seine tiefe Musikalität kennenlernen will, sollte zugreifen. Es ist ein Längsschnitt vom Violinkonzert (1924), über „Pantomime“ (1925), „Mahagonny Songspiel“ (1927), „Vom Tod im Walde“ (1927), die „Kleine Dreigroschenmusik“ (1928) bis zum Berliner Requiem und zum „Happy End“ (1929).

Allerdings, keine Frage, ein zweiter Längsschnitt müßte jetzt folgen: durch das Oeuvre seiner New-Yorker Zeit (nach 1935), als er mit Maxwell Anderson die Broadwaystücke „Knickerbocker Holiday“ und „Lost in the Stars“, mit Ira Gershwin „Lady in the Dark“ und „Firebrand of Flo-rence“ oder mit Alan Jay Lerner „Love Life“ schuf. Dieser „andere“ Weill scheint mir auch heute noch weit unterschätzt.

Die DGG-Kassette ist eine imponierende Aufnahme. David Atherton, 36, erarbeitete die Werke mit seiner London Sinfo-nietta 1975 für zwei Konzerte der Berliner Festwochen und nahm beide Programme unmittelbar danach auf. Und man merkt diesen Wiedergaben an, daß das Ensemble vor allem an neuer Musik geschult ist (Komponisten wie Gilbert Amy, Berio, Birtwistle, Boulez, Dallapiccola, Goehr, Henze, Ligeti, Lutoslawski, Stockhausen, Xenakis haben mit der Sinfonietta gearbeitet): Die Präzi-sfiinv,Jn?-Farbwerten^ 'Dynamik, rhythmischen Eigenheiten, der typische Weill-Sound ... das alles stimmt perfekt zusammen. Die Originalität Weills wird spürbar.

Eine Musikbilanz der zwanziger Jahre Weills also, an deren Anfang sein Studium beim Eigenbrötler Feruccio Busoni steht, dann die Begegnung mit Johannes Becher und Georg Kaiser; 1926 heiratete er Lotte Lenya. Höhepunkte dieses Jahrzehnts: die erfolgreiche Uraufführung seiner Kaiser-Oper „Der Protagonist“ und der Beginn der Zusammenarbeit mit Bertold Brecht im März 1927.

Kurt Weill: London Sinfonietta, David Atherton; DGG 2709 064, 3 LPs.

Die Leningrader Philharmonie gastierte vor kurzem unter ihrem Chef Eugen Mrawinski in Wien: Ein Orchester von wunderbarer Klangfülle, mit herrlich aufrauschenden Streichern, brillanten Bläsern. Und Mrawinski, seit 1938 Philharmoniechef, der Grand-seigneur unter Rußlands Dirigenten, führt sie mit gestochener Akkuratesse. Eine Elitetruppe im Frontalangriff. „Historische Aufnahmen“ Mrawinskis und seiner Musiker aus den Jahren 1947 bis 1954 wurden nun aufgelegt: Schostakowitschs V. und VIII. Symphonie, ungemein dicht musiziert; und Tschaikowskis Streicherserenade und Capriccio ita-lien, ein Schwelgen in satten Farben. Werke, die sozusagen zum täglichen Training der Musiker gehören, die sie aber mit unvergleichlicher Schönheit und dem gewissen russischen Gout spielen.

Schöstakowitsch: Symphonien Nr. 5 und 8, Melodia Eurodisc 89.519; 2 LPs.

Tschaikowski: Streicherserenade, C-Dur; Capriccio italien; Melodia Eurodisc 88.797.

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