6805938-1972_07_06.jpg
Digital In Arbeit

„Diskussionen nur in Kasinof auteuils“

19451960198020002020

Die Bundesheerreform und deren Begleitumstände deckten die Generäle mit einem Hagel von Kritik ein. Es soll dem Soldatenstand und insbesondere seinen Spitzenrängen nicht oberflächlich eine gegenwartsfremde Haltung unterschoben werden. Ihnen nicht — in Verallgemeinerung einiger Symptome — pauschal der Vorwurf gemacht werden, sie hingen einem übertriebenen Traditionalismus nach. Aus der Geschichte heraus feste Wertmaßstäbe zu schaffen, ist eine alte Maxime soldatischer Traditionspflege. In einer Zeit, in der auf fast allen Gebieten die Grenzen versphwimmen und die Dinge in Fluß geraten, in einer Zeit, die an althergebrachten Werten rüttelt und deren Ziel oft nur die bloße Umkehr dieser ist, versteht sich aber eine solche Verpflichtung fast als innerer Zwang.

19451960198020002020

Die Bundesheerreform und deren Begleitumstände deckten die Generäle mit einem Hagel von Kritik ein. Es soll dem Soldatenstand und insbesondere seinen Spitzenrängen nicht oberflächlich eine gegenwartsfremde Haltung unterschoben werden. Ihnen nicht — in Verallgemeinerung einiger Symptome — pauschal der Vorwurf gemacht werden, sie hingen einem übertriebenen Traditionalismus nach. Aus der Geschichte heraus feste Wertmaßstäbe zu schaffen, ist eine alte Maxime soldatischer Traditionspflege. In einer Zeit, in der auf fast allen Gebieten die Grenzen versphwimmen und die Dinge in Fluß geraten, in einer Zeit, die an althergebrachten Werten rüttelt und deren Ziel oft nur die bloße Umkehr dieser ist, versteht sich aber eine solche Verpflichtung fast als innerer Zwang.

Werbung
Werbung
Werbung

Rückschau und Flucht in frühere Zeiten fördern das Festhalten an sakralem Ritual und mystischem Gepränge. So wurde bis zum sogenannten „Festivitätensparerlaß“ Minister Lütgendorfs kaum ein Ereignis militärischer Art von Politikern wie Generälen ausgelassen, um mit bekannt würdigem Schritt die Front — der eigens dazu Formierten — entlangzuschreiten oder sich vom erhöhten Podest das Schauspiel eines Defllees zu gewähren. Die Erkenntnis, daß der Soldat von heute treffender durch den Panzergrenadier bei einer Übung, den Funker am Gerät, den Bedienungsmann am Radarschirm repräsentiert wird, denn durch die stramme Marionette beim Formalexerzieren ist offenbar an dieser Armee und ihren Führern vorbeigegangen. Das Debakel wird vollkommen, wenn man bedenkt, daß der Anstoß zu einer Reform der Ausbildung von außen her kommen mußte. Angeblich sind nun alle führenden Offiziere des Bundesheeres und der Verteidigungsminister selbst von den notwendigen Änderungen überzeugt. Diskret aber verschweigt man den Umstand, daß es der gegenwärtige Mann an der Spitze des Heeres und seine. Generalskamera-den schon bisher zu großen Teilen in der Hand gehabt hätten, den Ballast über Bord zu werfen. Und Ballast an falsch verstandenem Traditionalismus gibt es trotz der Reform noch genügend.

Man schleppte schlecht, kopierte aristokratische Formen in ein Milieu herüber, das kleinbürgerlieh geworden war und war darum bestrebt, in höheren Rängen längst ausgediente Konventionen neu zu beleben. Das Offizierskorps besitzt nicht jene gesellschaftliche Unbefangenheit, die der gegenwärtigen sozialen Struktur entspräche. Abstände werden zementiert in einer Gesellschaft, die im Begriffe ist, über diese Schranken zu springen. Prominentester Ausfluß dieser Geisteshaltung ist wohl vergleichsweise die sogenannte „Schnezstudie“ der bundesdeutschen Heeresspitze. Wenngleich hierzulande solche Gedankengänge nicht gedruckt vorliegen, so kann doch unbedacht auf eine ähnliche Berufsphilosophie bei vielen österreichischen Soldaten geschlossen werden.

Das Nichtverstehen. daß die Armee bloß Teil der Gesellschaft sein kann, nicht ihr Gegenteil, ist Hintergrund der häufigen „Selbstbeweinung“ vieler hoher Militärs.

Man vergißt, daß das Maß an Anerkennung, das der Soldatenberuf heute in Gesellschaft und Staat findet, nicht privilegierter sein kann als

Universität, Kirche und Schule. Schon gar nicht will man verstehen, daß das Heer nicht als einziger staatlicher Körper — in einer Zeit, die sich selbst oft in Frage stellt — auf einem festen, undiskutierbaren Berufsbild verharren kann.

Der Bundeswehrgeneral Gerd Schmückle analysiert sehr treffend in seinem kürzlich erschienenen Buch „Komiß a. D.“ die beiden Denkschulen, die um das soldatische Leitbild der deutschen Nachkriegsarmee rangen. In Österreich fand diese Diskussion — mangels profilierter Kontrahenten — versteckt in den Kasinofauteuils statt. Die traditionalistische Vorstellung, die das Bild des Soldaten im klassischen Sinn wiederbeleben wollte, sah im SoLdatenberuf eine eigengesetzliche Tätigkeit. Die militärische Aufgabenstellung wurde von der Unvermeidbarkeit des Krieges, das Berufsethos von der Opferung für das Vaterland abgeleitet. Die Situation von heute und morgen interpretierte man aus uei oiuii vuii gestern, muiu für die tiefgreifenden sozialen Veränderungen.

Eigenerlebnis und herkömmliche Maßstäbe waren nicht mehr dde richtigen Wertmesser für Entscheidungen an der Spitze einer zeitgemäßen Wehrpflichtigenarmee. Da das soldatische Leitbild gegen ein immer stärker werdendes Grundgefühl der Gesellschaft gerichtet war, erzeugte es Spannungen, die von den Soldaten überstark wahrgenommen wurden. Vor dem Hintergrund einer konträren gesellschaftlichen Entwicklung sprach dieses Leitbild — als Zugkraft für die Berufswahl — eben nicht mehr typische, sondern meist eher atypische Mitglieder der Gesellschaft an. Man sollte die sinkenden Nachwuchsstärken an der Militärakademie einmal unter diesem Aspekt untersuchen.

Die Ansicht der Kontrastdenker, daß die Armee in erster Linie nicht fi'yif rinn Tfpiafr ennHorn -711 (Ißccon

Verhinderung reaktiviert worden sei, warf einen Schatten, über den die Anhänger einer mißverstandenen Tradition nicht zu springen vermochten. Diese Denkschule — ihr kommt in Österreich in seinen Aussagen wohl General Spannocchi am nächsten — bejahte die Gesellschaft und sah in ihrer oft kontrastierenden Meinung ein notwendiges Korrektiv zur Gefahr einer Abkapselung. Erklärend, nicht entschuldigend, sei der im Zielkreuz der Kritik stehenden Führung des Bundesheeres die Tatsache zugestanden, daß es, angesichts eines Wusts von Ressentiments nicht immer einfach war, die allen gerecht werdende Linie zu finden.

Man war und ist mit diesem Heer unzufrieden. Das dienende Volk und noch mehr das zahlende. So griff man zum approbierten und erklärten Mittel österreichischer Problembereinigung und berief eine Reformkommission ein. Daß dieses Forum weder nach Zusammen- noch nach Zielsetzung zu solch einem Vorhaben geeignet war, muß deutlich herausgestrichen werden. Dafür die Generale allein verantwortlich zu machen, hieße denn doch ihre Position falsch bewerten. Den Vorwurf allerdings, daß sie nur allzu leicht bereit waren, in diese Kommission zu gehen, ihren Ausschüssen zu präsidieren — um so in dem von ihnen mitverschuldeten Scherbengericht über ein reformbedürftiges Heer sitzen zu können —, wiegt allerdings schwer.

Der fehlende Glaube an die Notwendigkeit eines Verteidigungsinstruments für den Kleinstaat im Atomzeitalter ist indes kein spezifisch österreichisches Phänomen. Nur neigt der Homo Austriacus — vor allem der aus den östlichen Regionen — angesichts des atomaren Getöses zu einer Nestroyschen Weltuntergangsstimmung.

Das Mißbehagen an einer möglichen Fehlkonzeption der alpenlän-dischen Verteidigung nahm — es ist fast ärgerlich, immer den gleichen Namen zitieren zu müssen — General Spannocchi wahr. 1970 beschrieb er in einem Vortrag vor Politikern und

Wehrjournalisten diesen wunden Punkt sehr drastisch: „Die Lächerlichkeit (dieses Heeres) wird unvermeidlich, wenn Österreich sich phantasielos und gedankenlos nach überkommenen militärischen Klischees der älteren Generation verhalten, oder, anders ausgedrückt, seine Teilnahme am nächsten Krieg an den mißglückten Prinzipien des vergangenen orientieren wollte.“ Die Gefahr, abgeleitet von der eigenen Erfahrung, eine nach Organisation und Ausrüstung konzipierte Westentaschenausgabe des großen Vorbilds, der deutschen Armee des zweiten Weltkrieges zu schaffen, kanzelte der General ab: abgesehen davon, daß solches noch niemals sehr erfolgreich war, wirkt es heute absurd. Die Technik läuft dem Kleinstaat derart sinnfällig davon, daß ihr Nachäffen beim Volk nur Verlegenheit und Wi-derstend hervorrufen würde.“

Für die Frage nach der Verteidigungschance eines europäischen Kleinstaates müssen wir den Bedrohungsfall auf eine konventionelle Auseinandersetzung eingrenzen. Andernfalls entziehen wir uns vorneweg den Boden der Realität. Eine Aggression ist vorstellbar als Ausstrahlung einer Teil- oder auch Gesamtkonfrontation der europäischen

Bündnisse. Diese Annahme läßt der Schluß zu, daß die zu erwartender Operationen in ihren Stoßkeilen ir erster Linie nicht auf, sondern übei Österreich hinaus zielen.

Die Schlacht klassischen Zuschnitt: war auf eine rasche Zerschlagung des gegnerischen Kampfinstrument: gerichtet. Mit dem raschen Verlus der Verteidigungskraft, wird di staatliche Souveränität — das Erhaltungsziel unserer Anstrengungen — der wichtigsten Stütze beraubt. Den Gegner fällt, fast als Nebenproduk der Aggression, das gesamte Staatsgebiet in die Hände.

Dem übermächtigen Faktor dei Technik einer Großmacht kann nui die Zeit als Waffe des Kleinstaate: entgegenwirken. Falsch verstandener Heroismus muß von der Ökonomie der Kräfte abgelöst werden Aussichtslosen Kämpfen muß mar sich entziehen können. Allein dii Existenz einer organisierten Abwehr kraft kostet den Gegner — in dei Sorge um das Offenhalten seiner Bewegungslinien als Lebensfaden sei ner Versorgung — zusätzliche Kräfte

Sollte diese Argumentation einleuchten, so ist dies nur ein neuerlicher Beweis dafür, daß es de: linksrevolutionäre Ursprung diese; Gedanken ist, der in unseren Breiter falsche Assoziationen und unbegründete Vorbehalte auslöst. Die Übertragung der Lehren Maos, Che Guevaras und Giaps auf alpenländisclu Verhältnisse stellt vorerst nur eir Gedankenmodell dar. Arbeitstite dieser Überlegungen: Gesamtraum Verteidigung.

Dafür bedarf es aber eines Mehr: an Kräften als bei einer kleiner Truppe von Berufssoldaten.

Wie immer die zukünftige Konzeption des Bundesheeres ausseher mag, die Chancen der Rückgewinnung des verunsicherten Staatsbürgers für den Gedanken einer effektiven und daher sinnvollen Verteidigung stehen im letzteren Fall höher als beim Versuch, die Problematil' mit einem getreuen, aber verkleinerten Spiegelbild der hochtechnisierter Bündnisarmeen Europas lösen zi wollen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung