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Disneyland antik

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Die Gespanne muten eigentümlich an: Kräftige Burschen zerren um die Wette mülltonnenartige Einachser mit ihren Partnern gegen das Ziel. Johlende Zuschauer feuern die Kämpfer an. Es ist ein wahres Hallo — und nennt sich „römisches Wagenrennen“. Der Ort der Szene heißt Xanten am Rhein, genauer „Archäologiepark Xanten“. Das Motto lautet „Wiederbelebung“ oder zeitgeistkonform „Animation“ der römischen Antike.

Keiner der Besucher (im vergangenen Jahr waren es rund 300.000) kann hier dem Irrtum unterliegen, die alten Römer hätten in Grundrißfundamenten gelebt und gebadet. Auf die seit rund fünfzehn Jahren zügig laufenden Ausgrabungen der Archäologen folgen die Rekonstruktionen.

Schon im kommenden Jahr wird es eine neue, sensationelle Attraktion geben. Derzeit wird eine antike Therme vollständig neu gebaut. Nach der Fertigstellung soll sie wenigstens hin und wieder auch für die Besucher in Betrieb genommen werden. Die originalrömische Taverne steht der neogermanischen Kundschaft schon offen.

Mensch, wird das super, wenn sich nächstes Jahr die modernen Markomannen und Quaden bierselig und unter Absingen von „Warum ist es am Rhein so schön“ vom Kaldarium übers Tepidari-um ins Frigidarium wälzen werden! Schon beim Gedanken daran wird einem heiß und kalt. Das ist so richtig Geschichte zum Anfassen für die moderne Freizeitgesellschaft.

Manchem scheint's freilich ein bißchen übertrieben, auch wenn er kein übersensibel puristischer Jünger der archäologischen Wissenschaft ist. So zeichnete sich denn auch bei der Vorführung des Xantener Werbe-Videofilms in den Gesichtszügen so manchen Teilnehmers beim Carnuntum-Symposion im Juli leichtes Entsetzen ab.

Die „Grenzen zur Anbiederung der Werbung“, von denen Professor Günter Ulbert von der Universität München auch im Zusammenhang mit dem feinfühliger gestalteten Archäologiepark von Kempten sprach, sind allzu leicht überschritten. In Carnun-tum jedenfalls soll die reanimierte Antike sicherlich nicht in ein Disneyland umschlagen, versichert sein Kollege Professor Werner Jobst als Initiator und Betreiber des hier geplanten Archäologieparks.

Einfühlsame Rekonstruktionen entsprechen zwar nicht mehr im eigentlichen Sinn archäologischer Denkmalpflege, sind als museale Eins-zu-eins-Modelle jedoch eine vertretbare Sache, um dem Laien in dessen berechtigtem Wunsch entgegenzukommen, eine auch dreidimensionale Vorstellung zu erhalten.

Für die Reste der römischen Antike kann in modernen Zeiten freilich nicht bloß durch gründlich mißglückte „hautnahe“ Präsentation ä la Therme von Xanten die Vernichtung aller Originalsubstanz herbeigeführt werden. Dieses Imperium schlägt nicht mehr zurück. Und die Palette neuzeitlicher Kampf Strategien gegen Ruinen und Funde ist breit. Nicht nur, aber sehr wohl auch in Carnun-tum, sind sie insbesondere in der jüngeren Vergangenheit effizient zum Einsatz gekommen.

Die Stadt als Moloch

Es reicht von noch ungezielten Attacken durch Luftverschmutzung und sauren Regen oder durch die metallzerstörende Uberdüngung aus intensiv betriebener Landwirtschaft über schon sehr gezieltes Tiefpflügen und Zermörsern antiker Fundamente auf der.Suche nach Münzen bis zum merkwürdigen Verschwinden wertvollster Büsten oder gar eines mehr als zwei Meter hohen Grabsteins ins Ausland. Äußerst wirkungsvoll für die späte Rache am einstigen Imperium Romanum ist naturgemäß auch der Bau neuer Einfamilienhaussiedlungen und Straßen. Das kann schon auch des öfteren buchstäblich über Leichen — nämlich über antike Gräber — gehen, die samt Gebeinen und Grabbeigaben vom Bagger verwüstet werden.

Insbesondere in modernen Städten, deren Wurzeln auf antike Besiedelung zurückgehen, bewährt sich zur Vernichtung von deren über 2000 Jahre verbliebenen Spuren zudem der Tiefgaragenbau. Und es ist ganz gewiß nicht die Regel, daß im Ernstfall auf die Errichtung einer solchen Notwendigkeit der Moderne—wie etwa in Köln oder in Trier — verzichtet wird. In der aufstrebenden, neuen Metropole Niederösterreichs — bei der Tiefgarage auf dem Hauptplatz von St. Pölten — bestehen für die Demolierer des antiken Schatzes im Boden jedenfalls noch Chancen.

Wozu stach allzu heftig protestieren? Das Land hat ohnedies sein Renommierprojekt des Archäologieparks Carnuntum. Und außerdem ist es eben so, wie Wiens Stadtarchäologe Ortolf Harl (ziemlich verbittert) formuliert: „Eine sich ausbreitende Stadt ist wie ein Moloch, der seine Geschichte frißt.“

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