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Distanz vom Unsinn?

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In England wurde der sensationellste Mordprozeß der letzten Jahre mit einem Freispruch wegen Unzurechnungsfähigkeit beendet, der Angeklagte sitzt in Broadmoor. jener geschlossenen Nervenheilanstalt für Kriminalfälle, aus der man nur „at the Queens pleasurc“ — wenn die Königin geruht — entlassen wird. Der Angeklagte Michael Taylor verbrachte die Nacht vor der Tat im Haus des Pfarrers der anglikanischen Gemeinde Gawhoi in Barnsley. Während dieser Zeit wurde an ihm eine Teufelsaustreibung im Beisein anderer Pfarrmitglieder durchgeführ! Taylor ging fort, tötete seine Frau, man fand ihn nackt und bewußtlos auf der Straße in der Nähe seines Hauses.

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In England wurde der sensationellste Mordprozeß der letzten Jahre mit einem Freispruch wegen Unzurechnungsfähigkeit beendet, der Angeklagte sitzt in Broadmoor. jener geschlossenen Nervenheilanstalt für Kriminalfälle, aus der man nur „at the Queens pleasurc“ — wenn die Königin geruht — entlassen wird. Der Angeklagte Michael Taylor verbrachte die Nacht vor der Tat im Haus des Pfarrers der anglikanischen Gemeinde Gawhoi in Barnsley. Während dieser Zeit wurde an ihm eine Teufelsaustreibung im Beisein anderer Pfarrmitglieder durchgeführ! Taylor ging fort, tötete seine Frau, man fand ihn nackt und bewußtlos auf der Straße in der Nähe seines Hauses.

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An sich kam der Vorfall nicht unerwartet, sondern als Höhepunkt, ist doch Exorzismus auf Grund eines berüchtigten Films, eines ebensolchen Bestsellers aber auch von seriösen Untersuchungen des Themas in Büchern und Zeitungen, heute zu einem Modebegriff geworden. Während der Bischof von Wakefield, Dr. Eric Treacy, in dessen Diözese Barnsley liegt, seine Hand über den seelisch erschütterten Pfarrer hielt — der Bischof meint, P. Vincent habe sich zu einer Fehltentscheidung verleiten lassen, er selbst habe jedoch nicht die Absicht, ihn aufzufordern, sein Amt zur Verfügung zu stellen — richteten 65 namhafte Akademiker einen offenen

Brief an die Erzbischöfe von Canter-bury und York, an die Bischofskonferenz und an Mitglieder der Generalsynode, in dem sie die Kirche davor warnten, „einen Schritt zurück in das Mittelalter“ zu tun, indem sie die Praxis des Exorzismus offiziell anerkenne und billige. Die Kirche stehe in Gefahr, eine ernste Fehlentscheidung zu treffen, sollte sie dem Exorzismus einen höheren offiziellen Status einräumen, als er ihn sei 1552 (als der betreffende Wortlaut aus der Liturgie der Taufe entfernt wurde) besessen hat. Die Signatare, darunter die Rektoren von fünf Fakultäten für Theologie, 13 weitere Universitätsprofessoren für Theologie aber nur ein Bischof (von St. Albans), fürchten, da die Praxis eine solche Verbreitung erreicht hat, die Generalsynode könnte anläßlich des Juli-Treffens einen Kompromiß ausarbeiten. Die Ansicht wird geäußert, daß es „sehr gefährlich“ sei, „der Uberzeugung Vorschub zu leisten, nach welcher es okkulte, böse Mächte gäbe, imstande, Menschen in Besitz zu nehmen und sie ihrer normalen moralischen Verantwortung zu berauben.“ Die Befreiung der Menschheit von dämonplogischen und ähnlichen, Irrlehren seit der Reformation und dem Aufkommen der modernen Wissenschaft, sei als großer Segen zu betrachten. Das christliche Konzept des Transzendentalen und okkultistische Überzeugungen seien völlig verschiedene Dinge. „Das Böse im Menschen ist in der Tat schrecklich, aber wir sind der Meinung, daß die richtige Weise, es auszutreiben, durch Reue, Glauben, Gebet und die Sakramente des Evangeliums gegeben ist.“

Auf diese gewichtige Meinungsäußerung folgte im Mai eine Debatte im Oberhaus. Lady ' Summerskill, minister in den Labour-Regierungen der Nachkriegszeit, stellte die Frage, ob die Regierung beabsichtige, die Machenschaften von Personen und Gruppen zu unterbinden, die vorgeben, bei Patienten, die unter geistigen Krankheiten leiden, Exorzismen auszuüben. Mehrere Sprecher bedauerten den durch die Medien hervorgerufenen Sensationshunger, durch den die ganze Problematik nun im wahrsten Sinn des Wortes verteufelt worden sei. Der Bischof von Southwark meinte: „Überall, auch in der Kirche, gibt es Fanatiker, aber ein Exorzismus wird in der Regel in sehr ruhiger Form durchgeführt, in engster Mitarbeit mit der Ärzteschaft.“ In den meisten Fällen handle es sich dabei nur um eine Zeit der Stille und der Einkehr, in der Menschen, die sich beunruhigt fühlen, angeleitet werden, sich „dem Geist der Liebe, der Güte und des Mitleids“ zu öffnen.

Zwischen „Heilung durch den Geist“ und Teufelsaustreibung unter Anrufung Jesu Christi und im Namen seiner Kirche liegt scheinbar theologisch, wie auch in den Absichten und in der Anschauung aller Beteiligten eine tiefe Kluft, doch verschwimmen die Grenzen. An einem Ende des Bogens liegt eine fest gewurzelte und von der Kirche erlaubte Tradition von Heilungen oder Linderungen bei Krankheitszu-ständen körperlicher beziehungsweise psychisch-seelischer Natur (wer kennt da die Grenzen?); es-gibt unter kirchlicher Kontrolle stehende Gebets- und Meditationsgruppen, manchmal unterstützt durch einige wenige Menschen, von denen es heißt, daß sie die Heilungsgabe besäßen. Im allgemeinen gehören diese Gruppen der sogenannten Hochkirche an, da sie fast immer einem Kloster nahestehen, wo sie sich zu regelmäßigen Exerzitien einfinden. In diesen Kreisen dürfte eine Teufelsaustreibung expressis verbis selten, und nie ohne Bewilligung seitens des Bischofs vorkommen. Überdies wurde die Form eines prie-sterüchen Exorzismus vom Bischof von Exeter nach der Exeter-Kom-mission von 1964 freigegeben.

Für den Begriff und die Praxis des Exorzismus ganz anders prädisponiert sind jene nonkonformistischen Kirchen, die, bei einer leicht exaltierten Vorstellung von der Trennung zwischen Gut und Böse, überfallsartige Bekehrung von ihren Mitgliedern („I'm saved! I'm saved!“) als Regelfall erwarten. In letzter Zeit sind diese Kirchen, im Zuge ökumenischer Bestrebungen, der anglikanischen Kirche vor allem auf Pfarrebene näher gekommen; beide Gruppen sind seit einigen Jahren von den charismatischen Impulseri aus den Vereinigten Staaten ' (Pentecostalism) stark beeinflußt. Liest man nun die zitierten Ausführungen der englischen Theologen, so meint man, mit der kühlen Luft der altehrwürdigen Colleges von Oxford und Cambridge, die Atmosphäre einer strengen Vernunft einzuatmen, die freilich wohltuend ist, die aber angesichts der entsetzlichen • Notsituation, mit der sich der Großstadtseelsorger tagtäglich konfrontiert sieht, ein wenig realitätsfremd erscheint. Ein Mitarbeiter der „Church Times“, Reverend Brian Rice, sprach mit einem „Hauptmann“ der Church-Army (mit der Heilsarmee nicht zu verwechseln, ihr jedoch in mehrfacher Hinsicht ähnlich), der sich in Birmingham den „drop-outs“ der Gesellschaft widmet. Capitain Barry Irons arbeitet in engem Kontakt mit den Instanzen der sozialen Fürsorge, hilft bei der Gründung von Heimen und Tagesasylen für sittlich gefährdete Jugendliche, spricht in Schulen gegen Alkohol- und Medikamentenmiß-brauch und« ist Mitglied einer erzbischöflichen Kommission bei der, unter dem Vorsitz des Bischofs von Oxford,' Pfarrer, Ärzte und Psychiater den bei leicht beeinflußbaren Menschen wachsenden Trend, sich für Okkultismus, schwarze Magie und Satanismus zu interessieren, untersuchen. Irons Mission bei den seelisch Leidenden und Kranken wird voll und ganz von seinem Bischof unterstützt, und im Einvernehmen mit Ärzten durchgeführt. Seiner Erfahrung nach hat sich unter Rauschgiftsüchtigen die Szene in letzter Zeit zunehmend gewandelt. Man beschäftigt sich heute mit allerlei okkultistischem Krims-Krams, vor allem mit Seancen und Ouija-Bret-tern. Die Jugend interessiert sich für das Übersinnliche; immer mehr verlangt sie in Diskussionen nicht die soziologische Auseinandersetzung, sondern das geistliche Gespräch. Daher — aber natürlich auch aus purer Langeweile — die Spielerei mit den Zauberkünsten, die den ohnehin höchst labilen und der Suggestivkraft des Bösen wehrlos gegenüberstehenden Jugendlichen unter den Einfluß von Kräften bringen kann, die nicht von Gott sind. Zudem weiß Barry Irons von der Existenz von mindestens 47 Hexengruppen allein in den Midlands — den zentralen Grafschaften. Junge Leute treten ihnen aus Neugierde bei, bemerken dann zu spät, was durch Suchtgift und Satanismus aus ihrem Charakter geworden ist, verzweifeln, versuchen zu fliehen und können es nicht. Abtrünnige werden erbarmungslos bedroht und eingeschüchtert; sie haben meistens jeden Kontakt zu ihren Familien abgebrochen und suchen und finden bei Irons ein vorübergehendes Zuhause.

Irons hat hunderte von „Exorzismen“ durchgeführt. Wie sieht eine solche Zeremonie aus und wozu ist sie gut? Werden nicht lediglich zusätzliche Neurosen nachgeliefert?

Nach einer Zeit der Vorbereitung, die ein Schuldbekenntnis, ein schichtenweises Ablegen der Sünde, miteinschließt — „Man staunt über das abgrundtief Böse in manchen satanistischen Gruppen ... Bluttrinken, Perversionen, Zauberkünste übelster Art“ — folgt schließlich

„ein Gottesdienst mit Gebet und Handauflegen. Mit dem Zeichen des Kreuzes erhalten sie ihren Taufnamen wieder, und damit auch ihre christliche Identität.“

Aus dem umfangreichen Interview in den „Church Times“ geht klar hervor, daß beide Sprecher sowohl an die persönliche Verantwortung jedes Einzelnen glauben, als auch an die Existenz des Teufels und seiner bösen Geister. Es gilt, dem schwachen Menschen mittels ärztlicher Betreuung und Besserung der Lebensumstände zu helfen, ihm menschlich beizustehen, aber auch, ihn von seinen Sünden zu befreien, also nicht (ein oft gehörter Vorwurf) die persönliche Verantwortung des Einzelnen für seine Taten zu schwächen oder gar zu verneinen. Zwecks sakramentaler Beichte wird er zu einem Priester geschickt. Man fragt sich: macht dieser Hauptmann Irons, der sich Evangelist nennt, im Grunde etwas anderes, als Ordensbrüder seit Anbeginn getan haben?

Es handelt sich nicht nur um Jugendliche. Eine Fülle von Material gibt Zeugnis von Erlebnissen, bei denen ein a priori gesunder Erwachsener glaubt, von dämonischen Kräften überfallen worden zu sein. Oft ist von Seancen die Rede; allen Fällen gleich ist das erschrek-kende Gefühl, von fremden Kräften der Finsternis in Besitz genommen zu sein. Ein Geistlicher erzählt, wie er selbst, im Augenblick, da er dem Geist befiehlt, den Kranken zu verlassen und dieser ohnmächtig zu Boden fällt, einen heftigen Stoß verspürt. Fast interessanter noch als diese Sensationen ist es, die theologische, vielmehr die dämonologische Auseinandersetzung in der anglikanischen Kirche zu verfolgen. Wenn auch anzunehmen ist, daß die Medien absichtlich divergierende Meinungen zum Ausdruck bringen, kann über die weite Bandbreite der Ansichten kein Zweifel sein. So entrüstet sich der Dekan von Queens' College, Cambridge, Dr. Brian Hebblethwaite, über eine kirchliche Kommission unter dem Vorsitz des Bischofs von Exeter, die den Begriff „teuflischer Besessenheit“, die sie von körperlicher oder geistiger Krankheit zu unterscheiden' suchte, anerkannte. Er bemängelt die Tendenz in der | Kirche, Aberglauben Vorschub zu leisten. „Angesichts eines solchen Wiederauflebens von Aberglauben innerhalb der Kirche obliegt es den Theologen, den Bischöfen nahezulegen, sich von diesem Unsinn zu distanzieren... Das Licht des Evangeliums wird nur verdunkelt und die christliche Exegese nur in Verwirrung gebracht, wenn moralische Diskriminierung und geistige Einsicht mit einer Ermutigung primitiver Glaubensvorstellungen über dämonische Besessenheit vermengt werden. Es ist nicht so, daß die Exorzisten einer Ausbildung bedürfen; vielmehr hätten sie es nötig, von ihren Illusionen befreit zu werden. Nur so können sie jemals hoffen, die Menschen aus der Finsternis ans Licht zu führen.“

Am anderen Ende des Spektrums steht etwa der extrem hoch-anglikanische Pfarrer von St. Mary's Bourne Street, Rev. Dr. E. L. Mas-call. Er meint, es wäre vernünftiger, den Chirurgen vorzuwerfen, sie hätten es verabsäumt, die Blindarmoperationen zu verurteilen, als die Bischöfe zur Rede zu stellen, weil sie den Exorzismus nicht verboten hätten. „Der erste Schritt im Kampf gegen den höchst beunruhigenden Zuwachs im Kult der Kräfte des Bösen besteht darin, ihre Existenz anzuerkennen, nicht, sie zu leugnen. Der Teufel ist ein notorischer Lügner, und eine seiner erfolgreichsten Lügen ist die, daß es ihn nicht gäbe ---dieser Lüge erliegen Intellektuelle besonders leicht.“

Ruft man sich nun den offenen Brief an die anglikanische Hierarchie ins Gedächtnis, denkt man anderseits an die verschiedenen Kommissionen, die auf Diözesan-ebene die Situation studiert haben, und an die Stimmen, die engste Mitarbeit und Konsultation zwischen Ärzten und Seelsorger verlangen, so wird eine Spaltung zwischen Theoretikern und Praktikern sichtbar. Die Bischöfe aber stehen im Lager ihrer Pfarrer. Wie wird die nunmehr stattfindende Kirchensynode die Frage nach der Existenz des Teufels beantworten?

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