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Digital In Arbeit

Diszipliniert — aber mit Gefühl

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Die sechziger und siebziger Jahre waren die der Experten und des Disziplinendenkens. Berufe von morgen verlangen schöpferische Menschen mit umfassenden Kenntnissen.

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Die sechziger und siebziger Jahre waren die der Experten und des Disziplinendenkens. Berufe von morgen verlangen schöpferische Menschen mit umfassenden Kenntnissen.

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„Mehr denn je wird für die Bewältigung zukünftiger Herausforderungen die Vorgabe phantasievoller und mutiger Menschen nötig sein.“ So charakterisierte der Soziologe und Kulturanalytiker Ralph Dahrendorf vor kurzem die prägnanten Anforderungen an unsere tiefgreifend sich wandelnde Lebens- und Arbeitswelt.

Eines ist heute schon klar: Die neuen Qualifikationen für die Arbeitswelt werden nuancenreicher sein als bisher. Der Beruf wird nicht mehr „nur“ bedeuten, Erlerntes in die Praxis umzusetzen.

„Die sechziger und siebziger Jahre waren die des Disziplinendenkens und des Spezialistentums. Die achtziger Jahre erfordern wieder Generalisten. Menschen mit umfassenden Kenntnissen über wirtschaftliche und politische Zusammenhänge. Die Mehrfachqualifikation ist im Kommen“, präzisiert die Zukunft Günther Lueger vom Zentrum für Berufsplanung der Wirtschaftsuniversität Wien. Leopold Stieger von der Wiener Gesellschaft für Personalentwicklung sieht den Pferdefuß in der herkömmlichen Entwicklung darin, daß .jahrelang nur das Rationale im Menschen durch unser Ausbildungssystem forciert wurde, während das Intuitive, das Schöpferische viel zu kurz kam“.

Obwohl es derzeit sehr schwer ist, präzise Berufsbilder zu entwickeln, läßt sich im Vergleich mit anderen Ländern feststellen, daß die Allgemeinbildung wieder einen höheren Stellenwert bekommt. Das entsprechende Fachwissen bleibt weiterhin wichtigster Bestandteil eines Ausbildungsweges. Aber entscheidend für eine erfolgreiche Laufbahn werden zusätzlich erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten.

Für Manager, Wissenschafter, Unternehmer oder Bildungsexperten sind das:

• Lernfähig bleiben und es auch zeigen;

• „Hinaus in die Ferne“, Sprachen, fremde Sitten und Gebräuche kennenlernen;

• Bildung der Persönlichkeit durch Entwicklung von Eigenschaften wie Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit, Menschenkenntnis und Integrationsbereitschaft;

• Erhaltung von Freiräumen zur Entfaltung menschlicher Bedürfnisse abseits des Berufslebens.

Natürlich wird es auch in den nächsten Jahrzehnten Fälle geben, wo jemand als Lehrling beginnt und als Meister in diesem Beruf in Pension geht. Aber Dynamik und Beweglichkeit, geistige und physische Mobilität werden großgeschrieben. Mobil sein heißt beispielsweise eine Wohnung und den Ort zugunsten einer interessanteren Tätigkeit aufzugeben. Geistig beweglich sein heißt, Interesse an den neuen Technologien, beispielsweise dem Computer, zu haben.

Zwar gibt es unter den jungen Berufsanwärtern und den bereits mit dem Computer Beschäftigten „solche und solche“. Aber den heimischen Arbeitnehmern ist Demoskopen zufolge etwa der Bildschirm nicht sympathisch. Sie finden sich eher zähneknirschend damit ab, mit ihm arbeiten zu müssen.

Schlecht bestellt ist es auch um die Sprachkenntnisse der (Hoch-) Schulabsolventen. Längst ist das Wirtschafts- und Berufsleben internationalisiert, sind Sprachkenntnisse zur Selbstverständlichkeit geworden - leider nur in anderen Ländern. Zwar setzen auch hierzulande die Universitäten zu einer Aufholjagd an, „aber die Angebotefür Stipendien, Auslandsaufenthalte, Sprachstudien etc. des. Wissenschaftsministeriums oder der Sozialpartner (siehe Kasten) sind selten ausgebucht“ (Peter Kowar, Bildungsexperte der Bundeswirtschaftskammer). Die Studenten glauben, je schneller sie mit ihrem Studium fertig seien, desto größer sind ihre Chancen, noch schnell einen Arbeitsplatz zu ergattern. Dabei sind Fremdsprachenkenntnisse, durch Auslandsaufenthalte erworben oder in heimischen Sprachkursen erlernt, auf jeden Fall eine Investition in die Zukunft. Bewerber mit vielfältigen Kenntnissen auf diesem Gebiet werden bevorzugt. Nicht nur von exportorientierten Firmen.

Diese geistige Flexibilität fördert auch zusätzliche charakterliche Eigenschaften, „auf die schon jetzt einige Stellenangebote von Firmen abzielen“ (Jean-Francois Jenewein, Chef eines Personalmanagementbüros). Gefragt sind Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit, da die Teamarbeit im Kommen ist.

Er empfiehlt daher den Kontakt zu möglichst vielen Gruppen und Organisationen, ob Management-Club, Katholische Aktion oder Studentenvertretungen. „Dort lernt man, sich in sozialen Gefügen zu bewegen, sich zu artikulieren. Man lernt Persönlichkeiten kennen, erhält mitunter Tips und Hinweise, die man sich sonst erst später in teuren Kursen erwerben muß.“ Gerade die Betätigung in solchen Gruppen und Organisationen verführt doch dazu, zu meinen: Sich möglichst oft sehen zu lassen, angenehm auffallen, die „richtigen Förderer“ zu kennen -und schon ist der erste Sprung zur großen Karriere gelungen? Jenewein: „Die wirtschaftlichen Desaster der letzten Zeit haben erkennen lassen, daß in Zukunft auf Ausbildung und menschliche Qualitäten und nicht auf Protektion zu setzen ist.“

Für die Aneignung solcher hervorstechender Qualitäten gibt es ein breitgefächertes Angebot. Die großen Unternehmen wie Banken, Versicherungen, Industriebetriebe bilden ihre Neulinge ohnehin intern aus. Die externen Bildungsmöglichkeiten reichen von den Berufs- und Wirtschafts-förderungsinstituten der Sozialpartner bis zu den Volkshochschulen. Auch im landwirtschaftlichen Bereich, wo einschneidende Umwälzungen im Gange sind, wird Bildung großgeschrieben.

Federführend für ehrenamtliche Mitarbeit im Bildungssektor ist die Katholische Erwachsenenbildung (Angebote siehe Kasten).

Bei aller Anstrengung, möglichst viel zu lernen und zu erfassen, empfehlen Berufspraktiker, eines nicht zu vergessen. In der Phase des existenziellen Aufbaues vernachlässigen viele ihre

Hobbys oder Interessen, die sie vor dem Beruf so gerne pflegten. Durch die knapper werdende Zeit muß immer etwas weggezwickt werden. Aber die Erhaltung von Neigungen mindert den bekannten Pensionsschock und läßt auch Unangenehmes im Beruf leichter verdauen. Denn Berufsneulinge werden nicht selten durch den Praxisschock menschlich aufgerieben, haben das Gefühl, trotz anerkannter fachlicher Leistung etwas falsch zu machen. So entsteht mitunter das „Aussteiger-Syndrom“. Man will den Job wechseln, um- oder aussteigen. Dabei hat man nur nicht gelernt, sich menschlich und nicht nur „diszipliniert“ zu verhalten.

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