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Dollar-Karussell
FURCHE: Die Irak-Krise ver- ursachte ein weiteres Sinken des Dollar gegenüber dem Schil- ling. Welche Faktoren werden im nächsten Halbjahr die Entwick- lungbestimmen?
PATRICK DEWILDE: Der Schilling gehört zum DM-Block. Durch seine Bindung an die Deutsche Mark ist er so gut wie Teil des europäischen Währungs- systems. Daher muß man sich die Frage stellen, wohin der Dollar gegenüber dem Korb der euro- päischen Währungen geht. Für einen Zeitraum von sechs Mona- ten ist die Entwicklung des Dol- lar vor allem von den Vorstellun- gen und Handlungen der Profes- sionellen (die Finanzmanager der Banken und großen Unterneh- mungen, Anm. d. Red.) abhän- gig, denn die fundamentalen ökonomischen Voraussetzungen werden sich innerhalb der näch- sten sechs Monate nicht drastisch verändern. Händler, Chartisten (Trendanalytiker, die mit stati- stischen Graphiken operieren, Anm. d. Red.) und Professionelle tendieren dazu, Bewegungen in der Gruppe durchzuführen. Sie denken alle dasselbe und han- deln alle zur selben Zeit.
FURCHE: Und wohin wird sich der Dollar entwickeln?
DEWILDE: Wenn ich die letz- ten sechs Monate betrachte, hat- ten die europäischen Geldmarkt- Zinssätzeeinesteigende Tendenz, die Zinsen des US-Dollar eine fallende. Dies wird sich in näch- ster Zukunft kaum ändern. Dar- um glaube ich, daß der Dollar schwach bleibt. In der kurzen
Periode bestimmen Chartisten und kurzfristige Investoren die Wäh- rungsbewegungen. Die kurzfristi- gen Investoren erhalten in Europa eine gute Verzinsung, warum sol- len sie verstärkt in den Dollar ge- hen? Die Chartisten folgen gewis- sen Trends, die sich in nächster Zukunft kaum ändern werden.
FURCHE: Wie weit kann die US- Währung noch fallen?
DEWILDE: Ich glaube nicht, daß sie auf 9,5 Schilling fallen wird, denn dann würden die Zentralban- ken einschreiten, um eine vernünf- tige Währungsrelation aufrecht zu erhalten, wie wir es mehrmals er- lebt haben. Sie erreichen damit, daß sich der Markt wieder vernünftig verhält. Im Moment verhält er sich vernünftig, ist aber am unteren Niveau angelangt. Darum lautet meine Voraussage für Jahresende, daß der Dollar sicher nicht bei 1,90 liegen wird, aber wahrscheinlich zwischen 1,70 und 1,50.
FURCHE: Welche Rolle spielt die Golf-Krise insgesamt?
DE WILDE: Wir haben natürlich bereits einige Effekte gesehen. Nach einem langsamen Abrutschen hielt sich der Dollar eine Weile und wurde dann für sehr kurze Zeit wieder stärker. Mit anderen Worr ten, eine gewisse Anzahl von Men- schen wandte das alte Prinzip an, daß der Dollar eine sichere Wäh-
rung ist. Dieses Verhalten änderte sich sehr schnell. Nicht die Grund- einstellung zum Dollar, aber man wurde sich bewußt, daß die USA die größten militärischen Kosten in der Krisenregion zu tragen haben. Man rechnete sich aus, welche Aufwendungen die militärische Präsenz verursachen würde und kam zu dem Schluß, daß dies auf Kosten eines schwächeren Wirt- schaftswachstums gehen würde. In den USA bestand die Absicht, das Budgetdefizit durch verringerte Militärausgaben einzuschränken. Dies ist nun offensichtlich nicht mehr möglich. Gerade dieses Bud- getdel'izit war aber Ursache dafür, daß der Dollar über die letzten zehn Jahre von einer starken Währung zu einer schwachen wurde.
FURCHE: Stellen wir uns zwei Szenarien vor. Bei der einen An- nahme kommt es zum Ausbruch des Krieges, bei der anderen wird eine politische Lösung gefunden. Wie wird sich der Dollar in diesen Fäl- len kurzfristig entwickeln?
DE WILDE: Wenn eine politische Lösung gefunden wird, hat das wenig Einfluß auf den Markt, denn dies wäre etwas, das langsam wach- sen würde. Die Lösung wird nicht als großes Ereignis über Nacht passieren. Wenn offener Krieg aus- bricht - nun, ich nehme an, der Markt hat bereits zu einem großen Teil die Effekte eines Krieges vor-
weggenommen. Natürlich würde es über Nacht ein Abrutschen ge- ben, aber die Zentralbanken würden intervenieren. Im Moment kann ich keinen signifikanten Einfluß des Krieges auf den Dol- lar sehen, weder durch eine Lö- sung noch durch einen Krieg.
FURCHE: Welchen Einfluß hat die Krise insgesamt auf das Ban- kensystem?
DEWILDE: Das Bankensystem hat bis jetzt bei seiner Bewertung der Länderrisiken den Faktor Krieg ziemlich ausgeklammert. Man wird diesen Faktor wieder mehr berücksichtigen. Man wird nicht mehr nur ökonomische und innenpolitische Fakten zur Be- wertung eines Risikos heranzie- hen, sondern auch solche der geo- politischen Lage.
FURCHE: Mit welchem Effekt?
DE WILDE: Für Länder, die von potentiellen Aggressoren umge- ben und nicht in einer Position sind, sich selbst zu verteidigen, werden sich die Finanzierungs- kosten erhöhen.
FURCHE: Kann das Auswir- kungen auf österreichische Un- ternehmen haben? ¦ DEWILDE: Wohin exportieren sie, was und welche Geschäfte könnten gefährdet sein? Diese Fragen werden auch die Bewer- tung ihres Kreditrisikos und damit die Finanzierungskosten beein- flussen.
Mit Patrick Dewilde, Vorstandsdirektor und Treasurer der Citibank (Austria) AG, einer Tochter der größten amerikanischen Bank, sprach Anton Leinschitz. Das Interview ist keine offizielle Stellungnahme der Bank.
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