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Dollars gegen die Einheit

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Das politisch interessierte Italien fragt sich, ob die Gewerkschaftseinheit einmal mehr, wie 1948, unter amerikanischem Druck gesprengt werden könnte. Vor 27 Jahren trennten sich die der Democrazia Cristiana und der Sozialdemokratischen Partei nahestehenden Arbeitnehmergruppen vom Allgemeinen Gewerkschaftsbund CGIL, der damals wie heute vorwiegend unter kommunistischem Einfluß stand. Es ist ein offenes Geheimnis, daß 1948 ein gewichtiger Teil der Italien zur Verfügimg gestellten Marshallplan-Gelder jenen Bewegungen und Persönlichkeiten zuflössen, die sich in diesem Schicksals jähr um jene Lossagung verdient machten. Kann man den Erklärungen des amerikanischen Gewerkschaftsführers Irving Brown Vertrauen schenken, so verfolgt der große AFL-CIO-Arbeit-nehmerverband 27 Jahre später die gleiche Politik: 17.000 Milliarden Lire sollen nach Italien fließen, falls es gelingt, die im Gang befindliche Vereinigung der drei Linksgewerkschaften gleichsam 5 Minuten vor 12 Uhr noch zu unterbinden. Daß die italienischen Helfer bei einer solchen Lossagung vom kommunistischen Joch abermals mit einem guten Trinkgeld rechnen können, bedarf keiner weiteren Erklärung.

Mit großer Mehrheit — 79 gegen nur 21 Stimmen — haben die in Rom versammelten Führer der der Democrazia Cristiana nahestehenden CISL-Gewerkschaft jegliches Ansinnen einer „Unterbindung des im Gang befindlichen Prozesses zur Vereinigung der italienischen Gewerkschaften“ als unhaltbar bezeichnet. Exponenten des katholischen Arbeitnehmerverbandes — Sartori,x Marini, Marcario — haben jegliche Form einer amerikanischen Einmischimg in die internen italienischen Angelegenheiten von sich gewiesen. 1975 sei nicht 1948, als die Vorstellung, mit Dollars lasse sich alles kaufen, noch eine gewisse Berechtigung haben mochte. Wer wie Brown auf grobschlächtige Art solche Lockvögel aussende, könne — wenigstens in Italien — nur Enttäuschung erleben.

So erhebend sich diese Rhetorik ausnimmt, so wenig vermag sie zu überzeugen. Daß sich Gewerkschaftsführer und auch gewisse Parteienvertreter für hohe Summen kaufen lassen, gehört in Italien zu jenen Dingen, die jedermann weiß und niemand beweisen kann.

Italiens „besseres Ich“, das man ohne Ironie mit dem Wortgefüge „Italiani — brava gente“ zusammenfassen kann, hat sich in Geduld längst mit dieser Eigenschaft des politischen und gewerkschaftlichen Establishments abgefunden und kann seine Weisheit und Tüchtigkeit gerade unter dieser schweren Last um so eher unter Beweis stellen.

Unter solchen Vorzeichen liegt der Verdacht nahe, daß das offizielle Nein der CISL-Gewerkschaftsführer lediglich dazu dienen könnte, den Preis für eine Lossagung vom Prozeß der Vereinigung sämtlicher Linksgewerkschaften noch zu erhöhen. Sie wissen, daß es bei diesem Prozeß nicht nur um das Gewerkschaftswesen, sondern um Demokratie und Freiheit in Italien samt und sonders geht, und sie möchten ihr Dazwischentreten nicht um einen Pappenstiel verkaufen. KPI-Boß Berlinguer hofft bekanntlich, in Jahresfrist den sogenannten historischen Kompromiß mit der Democrazia Cristiana, eine Allianz auf Regierungsebene mit der Mehrheitspartei, zu verwirklichen und bedarf zu einer solchen Aufnahme in die Regierungskoalition der gewerkschaftlichen Unterstützung. Seit fünf Jahren füllen die Arbeitnehmerverbände das Machtvakuum aus, das die unter sich zerstrittenen Koalitionspartner des linken Zentrums mit ihrem Immobilismus hinterlassen, und sie können weit eher als die eigentlichen Herren Italiens bezeichnet werden. Ihr Zusammenschluß zu einer Einheitsgewerkschaft würde die KPI wegen ihrer Vormachtstellung über den CGIL-Verband noch mehr in die Lage versetzen, den seit 26 Jahren beabsichtigten Würgegriff endlich anzuwenden.

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