6955756-1984_29_05.jpg
Digital In Arbeit

Dollfuß: Märtyrer ?

Werbung
Werbung
Werbung

Fortsetzung von Seite 4 me und Schwierigkeiten hatte Dollfuß verursacht, sie waren ihm samt und sonders aufgezwungen und zur Lösung vorgegeben. Das zu bedenken scheint vonnöten, ehe man über Dollfuß urteilt oder Vergleiche mit anderen Politikern und Bundeskanzlern anstellt.

Die höchste Instanz des Staates, der Bundespräsident, sah zwar bisweilen höchst widerwillig zu, wie „sein" Bundeskanzler nach der Parlamentslahmlegung am 4. März 1933 Zug um Zug die Einrichtungen der parlamentarischen Demokratie abbaute und, gestützt auf das kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz, sein autoritäres Regime errichtete. Zum direkten Eingreifen fehlten ihm jedoch sowohl der feste Standpunkt wie auch die Entschlußkraft.

Inspiriert und gedrängt von Benito Mussolini, bei dem Dollfuß Schutz und Hilfe gegen Hitlers Macht- und Anschlußstreben gesucht hatte, versuchte er die vorhandenen politischen Parteien zugunsten der im Mai 1933 kreierten Einheitspartei „Vaterländische Front" (VF) zurückzudrängen. Im sozialdemokratischen Lager wertete man zunächst in Dollfuß' autoritärem System und in der VF den gleich schlimmen Faschismus wie im Hitler-Regime und im Nationalsozialismus.

Als im Herbst 1933 die Sozialdemokratie im Nationalsozialismus die eigentliche barbarische Gefahr erkannte, machte sie der Dollfuß-Regierung höchst bemerkenswerte Kooperationsangebote. In dem knapp einen Monat vor dem katastrophalen Bürgerkrieg vom 12. Februar 1934 Bundeskanzler Dollfuß zugeleiteten Angebot stand z. B. zu lesen:

„Die Sozialdemokratie... gibt sich keiner Täuschung darüber hin, daß die Rückkehr zu den normalen parlamentarischen Verhältnissen derzeit nicht möglich ist und daß die Regierung in einer Zeit außerordentlicher Bedrohung des Staates außerordentlicher Vollmachten bedarf."

Leider ist diesem weitgehenden Verständigungswillen der Sozialdemokratie auch im heurigen Jubiläumsjahr in der Forschung weit weniger Aufmerksamkeit geschenkt worden, als dem auch der sozialdemokratischen Führung aufgezwungenen Bürgerkrieg. Dollfuß und die Sozialdemokratie — zumindest deren Parteivorstand — waren einander nämlich zu diesem Zeitpunkt politisch nahe wie kaum zuvor.

Da zerfetzte der 12. Februar mit seinen Maschinengewehren, seinem Kanonendonner und seinen Galgen den letzten Rest von Vertrauen zwischen beiden. Die in den Tagen des Bürgerkrieges geübte Blutjustiz markiert eine bleibendeBlutschulddesSystems.

Mit 1. Mai 1934 trat sowohl die Verfassung des Ständestaates in Kraft wie auch das am 5. Juni 1933 in Rom feierlich unterzeichnete Konkordat. Während drei Persönlichkeiten bei der geistig-ideologischen Grundkonzeption des Ständestaates im Sinne der Sozialenzyklika „Quadragesimo anno" Pate standen, nämlich der später so bekannte Soziologe und Politologe August Maria Knoll und die weit über Österreich hinaus anerkannten Theologen Johannes Meßner und Karl Rudolf, hat sich der Hauptautor jener Enzyklika Pius' XL, der Jesuit Oswald von Nell-Breuning, vernehmen lassen, es sei ein Humbug, den Ständestaat als Verwirklichung genannter Enzyklika interpretieren zu wollen.

Die nationalsozialistische Wühlarbeit gegen den Ständestaat nahm in Österreich ungeahnte Formen an. Flugschriften wurden über die Grenze geschmuggelt; die Flüsterpropaganda blühte und zeigte Wirkung. Die Nationalsozialisten griffen aber auch zur Gewalt und verübten verheerende Sprengstoffanschläge und Attentate.

Enorme Faszination

Am 25. Juli 1934 ist Dollfuß bei einem Putschversuch seiner Hauptwidersacher ums Leben gekommen. Bei diesem tödlichen Attentat, bei dem übrigens noch nicht alle Umstände völlig geklärt sind, hatten auch solche Männer ihre Hand im grausamen Spiel, von denen man es nicht erwartet hätte.

Zu jenen historischen Fragen, die noch ungeklärt sind, gehört, daß Dollfuß im Sterben den Wiener Bürgermeister Richard Schmitz und nicht Kurt Schuschnigg als seinen Nachfolger benannt haben soll beziehungsweise in seinem Vizekanzler Fürst Ernst Rüdiger Starhemberg den logischen Nachfolger sah.

Die Faszination, die Engelbert Dollfuß ausgestrahlt hat, muß enorm gewesen sein. Ansonst ließ es sich kaum erklären, daß er von nicht unmaßgeblichen Kreisen spontan als Heiliger verehrt wurde. Verbissen hatte er dem nazistischen Machtstreben getrotzt, und so wurde sein Sterben, dem seine Henker auch noch den priesterlichen Beistand versagten, von manchen dem Opfertod Christi gleichgesetzt.

So unsinnig und ungerecht es wäre, diese an Blasphemie grenzende Übertreibung in der Verehrung ihm selber anzulasten, so ist dem jedoch anzufügen, daß sie die leidenschaftslose, historisch-wissenschaftliche Forschung um und über Dollfuß bis zum heutigen Tag mehr erschwert als erleichtert hat. Dollfuß-Denkmäler, die nun 50 Jahre überlebt haben, sollte man heute als Zeugen einer bewegten Vergangenheit belassen, wo und wie sie sind. Das könnte auch für Kirchen gelten, wo Madonnenbilder bisweilen zur Sichtverdeckung aufgestellt scheinen.

Der Autor ist Leiter der Abteilung für Theologiegeschichte und kirchliche Zeitgeschichte an der Universität Graz.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung