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Doppelbödiger Pole

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Ein schwarzer Kinderwagen, mit Sand gefüllt, im Wiener Künstlerhaus. Kerzen und winzige Kreuze in den Sand gesteckt; Christus fällt vom Himmel, eine Blutspur nach sich ziehend - ein roter Komet; ein Meer von wehenden Fahnen, wie bei großen katholischen Prozessionen. Auf den ersten Blick wirken die Objekte und Collagen des polnischen Objektemachers Wladyslaw Hasior wie blanker Hohn.

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Ein schwarzer Kinderwagen, mit Sand gefüllt, im Wiener Künstlerhaus. Kerzen und winzige Kreuze in den Sand gesteckt; Christus fällt vom Himmel, eine Blutspur nach sich ziehend - ein roter Komet; ein Meer von wehenden Fahnen, wie bei großen katholischen Prozessionen. Auf den ersten Blick wirken die Objekte und Collagen des polnischen Objektemachers Wladyslaw Hasior wie blanker Hohn.

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Doch wer den tiefkatholischen Hintergrund der polnischen Mentalität kennt, bückt tiefer, erkennt kulturgeschichtliche und eminent politische Bezüge, erfaßt, wogegen die Attacke Hasiors gerichtet ist: gegen die Verdrängung des rituellen Moments der Religion, gegen den Verlust einer originären Mystik, gegen Machthaber, die religiöse Rituale zur Selbstbeweihräucherung mißbrauchen, zur Fetischie-rung ihrer eigenen unterdrückenden Politik.

Polen ist das künstlerisch vielleicht lebendigste Land unter den Ostblockstaaten, in dem die Auseinandersetzung zwischen Einzelnem und Kollektiv viel schärfer ist als in anderen kommunistischen Ländern. Ein Land mit einer tief verwurzelten Religiosität. Genau dieses Spannungsfeld trifft Hasior, hier baut er seine Theatralik, sein religiöses Pathos auf. Er distanziert sich scheinbar von Ritualen, von der Zelebration, ironisiert die Formen und läßt dahinter das originäre Pathos, eine unverfremdete Mystik und Emotion sich freispielen. Der Versuch zur Rettung der Identität.

Hasior verwendet seine Objekte zu

Aktionen, zu Umzügen und Happenings - so steht es zumindest im Katalog -, zu einer Zusammenführung von Religiosität und theatralischem Ritual. Eine fast archetypische Konstellation. Hier hegt auch die Qualität Hasiors, die eminent politische Relevanz seiner Objektkunst. (Bis 25. März).

Im Erdgeschoß des Künstlerhauses stellen Zürcher Künstler aus: „Kunstszene Zürich 1978“ - eine offizielle Präsentation der Stadt Zürich. Ein buntes Durcheinander von Stilen, Tendenzen, von Themen; ein willkürliches Angebot von unterschiedlicher Qualität. Quantität allein macht's halt doch nicht. Auch wenn, zumindest was das Formale betrifft, alles vorhanden ist, was gängig und in Mode ist. Collagen, Objekte, Graphiken, ein bißchen Photokunst, scheue Experimente, ein Hauch von provinzieller Avantgarde. Der Erkenntniswert bleibt gering, man hat eine Ausstellung absolviert.

GALERIE KUNST-KONTAKTE (Wien, Ruprechtsplatz): Nach langem Hin und Her ist es gelungen, die amerikanische Druckgraphik aus der Sammlung Alexander Henrici nach Wien zu bringen. Bissige, auf den Konsumismus, den versteckten Terror und das Dogma des Wirtschaftswachstums abzielende Plakate, aggressiv, aber nicht ohne ästhetische Relevanz. Ein zynisches Bild eines nicht ganz gut funktionierenden Amerika. (Bis 25. März).

GALERIE AMBIENTE: Alfred Hagel war in den zwanziger Jahren ein beliebter Zeitschriftenillustrator und Kostümbildner. Ein Zeuge der sogenannten goldenen zwanziger Jahre. Ein pessimistischer Zeuge allerdings. Einer, der das absterbende Bürgertum in seinem letzten, dekadenten Glanz, zeichnete. Die schleichende Aushöhlung der bürgerlichen Kultur schwingt mit, gibt den scheinbar flott und locker hingemalten Figuren und Theaterdekorationsentwürfen ein morbides Moment, einen überhöhten Ästheti-zismus. Eine Ausstellung, die gerade heute so virulente und aktuelle Sehnsüchte befriedigt, und eine Regression ins Manierierte. (Bis 25. März).

GALERIE PRISMA (Singerstraße 8): Der Steirer Anton Url gilt als einer der bedeutendsten Holzschneider Österreichs, was Ausstellungen in Rom und in Frankreich beweisen. Seine neuesten Arbeiten, vorwiegend Landschaften und Personen aus seiner nächsten Umgebung, beeindrucken vor allem durch ihre Schlichtheit, durch die Verknappung der Form, der Linie. Alles Unwesentliche, Überflüssige bleibt ausgespart, die nackten Linien verselbständigen sich zu einer fast mystischen, naturverbundenen Innerlichkeit (bis 30. März).

GALERIE EUROART (Führichgasse 3): Man kommt sich unwillkürlich um Jahre zurückversetzt vor, in die Zeiten der Anfänge des Wiener phantastischen Realismus, eines Ernst Fuchs oder Arik Brauer. Ein sowjetisches Künstlerehepaar, gerade erst aus der UdSSR emigriert, stellt aus. Man würde sie für Epigonen halten, wüßte man nicht um die künstlerische Isolation in der Sowjetunion. Anachronismen, die ein verkrustetes, kunstfeindliches und autoritäres System hervorbringen muß, da jeglicher freier Gedankenaustausch schon als Verrat betrachtet wird, jede Abweichung von der Staatskunst verfassungszersetzend ist (bis 30. März).

GALERIE WÜRTHLE (Weihburggasse 9): Zwei österreichische Künstler, beide eher ältere Jahrgänge, Hilda Uccusic und Hans Plank, stellen Aquarelle, Graphiken und Ölbilder aus. Biedere, geschmackvoll arrangierte Landschaften und Porträts ohne besondere Akzente, handwerklich geschickt gemalt. Dutzendware, mehr nicht (bis 18. März).

GALERIE NÄCHST ST. STEPHAN: Eine Schule des Sehens. Es geht nicht mehr um das Betrachten von Bildern, Plastiken, nicht um Objekte, Raumassemblagen, auch nicht mehr um Kunstgenuß. Was die Franzosen Jean Le Gac, Paul-Armand Gette, Didier Bay und Christian Boltranski und der Deutsche Jochen Gerz vorstellen, ist nicht mehr „Kunstprodukt“ im traditionellen Sinn. „Spurensicherung“ ist ihr Anliegen. Mit den Mitteln von Photographie, Dokumentation, durch Fundobjekte, mit Schrift Entstandenes zu fixieren, die Aufgabe. Für Wien ist diese Bilanz der neuen Richtung eine Premiere.

„Ein trojanisches Pferd und ein Kuckucksei im Kunstrevier“ nennt der Theoretiker Günter Metken diese Richtung. Und dieses Gefühl wird man auch nicht los, wenn man dem Verfahren auf die Spur, auf die Schliche und Tricks kommt: Denn einerseits will die „Spurensicherung“ den Wissenschaftsaspekt in die Kunst einbringen, andrerseits aber Wissenschaftlichkeit zugleich ad absurdum führen. Einen Zustand ständigen Uberdenkens, Neudenkens, des Aufspürens des Wie, Warum, unter welchen Umständen provozieren.

Im Zentrum dieser Spurensicherung steht allerdings doch der Künstler in seiner Verhaftung dem Werk gegenüber: Von „Kunst als Antrophologie und Selbsterforschung“ spricht Metken. Aber ist das im Grunde nicht das gleiche wie die Bilanzen der Höhepunkte unseres Lebens, die jeder von uns zu Hause hat: in Form eines Photoalbums?

KARLHEINZ ROSCHITZ

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