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Doppelte Angst

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NorodomSihanouk, ein Meister bildhafter Vergleiche, hat einmal Kambodscha als Fischgräte im Hals Vietnamsbezeichnet. Nun könnte diese Gräte operativ entfernt werden.

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NorodomSihanouk, ein Meister bildhafter Vergleiche, hat einmal Kambodscha als Fischgräte im Hals Vietnamsbezeichnet. Nun könnte diese Gräte operativ entfernt werden.

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Gewiß klingt das Ergebnis der ersten Runde der Pariser Kambodscha-Konferenz zu schön, um auch schon vollends und endgültig wahr zu sein. Die 18 Außenminister und vier Vertreter der Kambodschanischen Fraktionen einigten sich auf: Waffenstillstand, Abzug der vietnamesischen Truppen, Einstellung der Waffenlieferungen an die Widerstandsarmeen, Abhaltung freier Wahlen unter interna tionaler Kontrolle, Sicherung der Souveränität und Neutralität Kambodschas, Bildung einer Vier-Parteien-Regierung (bestehend aus Vertretern des PnomPenh-Regimes, der Roten Khmer, der Son SanFraktion und den Kräften Siha-nouks).

Damit sind so gut wie alle Punkte des Sihanouk-Plans erfüllt, während von dem Konzept Vietnams, in dem die Auflösung der Roten Khmer, die Erhaltung des Marionettenregimes Hun Sen und die Ablehnung eines UNO-Engage-ments enthalten war, so gut wie nichts Übriggebheben ist.

Erstaunlich und positiv überraschend war die seltsame Einmütigkeit der beiden Supermächte und Chinas zur Zurückdrängung des Einflusses der Roten Khmer bei einer künftigen Lösung, die auch eine Einstellung chinesischer Waffenhilfe an die Pol Pot-Armee voraussetzt. Befürchtungen, der Richtungswechsel Pekings könnte seine Auswirkung in einer hardline-Au-ßenpolitik bedeuten, haben sich (vorläufig) nicht erfüllt.

Dennoch - trotz aller guten Vorsätze -bleibt der Rote Khmer das Schlüsselproblem, denn seine übergewichtige militärische Streitmacht kann durch noch so geduldiges Papier nicht eliminiert werden. Schätzungen der militärischen Stärke der Fraktionen sind großen Schwankungen ausgesetzt. Nimmt man die Stärke der Son San-Armee mit 10.000 und der Sihanouk-Truppe mit20.000 an, so variieren die Roten Khmer-Zahlenzwischen2 0.000 und 50.000, wobei die Kuriosität zu berücksichtigen ist, daß beide Seiten zu Übertreibungen neigen: die Roten Khmer, um ihre Verhandlungsposition zu verbessern, die Gegner, um dadurch Druck auf die USA für mehr Waffenhilfe auszuüben.

Vor allem die benachbarten ASEAN-Staaten (Thailand, Philippinen, Malaysia, Indonesien, Brunei, Singapur) befürchten nach einem einseitigen vietnamesischen Abzug (geplant für 30. September) die Entwicklung afghanischer Zustände, wenn es nicht gelingt, die Streitmacht der Roten Khmer wirkungslos zu machen. Das kann solange nicht geschehen, bis Thailand seine Rolle als zweites Pakistan aufgibt.

Denn ebenso wie dort die afghanischen Mudschahe-din können bislang die Roten Khmer-Truppen thailändisches Territorium als sicheres Hinterland nutzen, in das sie sich taktisch zurückziehen, sichneu formieren und bewaffnen und die Verwundeten pflegen können. Thailand hat bisher diese Rolle mit Rücksicht auf die guten Beziehungen zu China beibehalten. Ob sich angesichts der sich abzeichnenden Abkühlung in den Beziehungen China-Rote Khmer etwas ändern wird, bleibt abzuwarten.

Unterdessen bemühen sich sowohl die Roten Khmer als auch das Regime in Pnom Penh, für künftige Verhandlungen ihr schwer angeschlagenes Image aufzupolieren. Immerhin müssen die Führer der „Volksrepublik“ vergessen machen, daß Partei- und Staatsführer Heng Samrin und Ministerpräsident Hun Sen bis zur vietnamesischen Invasion von Weihnachten 1978 selbst führende Rote Khmer-Militärs waren; der eine als Divisionskommandeur, der andere als Chef eines Regiments. Umso mehr betont man jetzt in Pnom Penh die Entfernung vom Sozialismus, öffnet Discos und Bars, läßt den Buddhismus sich entfalten, fördert Kleinunternehmer und Einzelbauern.

Was die Roten Khmer betrifft, so waren sie stets Meister der scheinheiligen Respektabilität. Selbst Intellektuelle der Spitzenklasse, die die Sorbonne absolviert haben, führten sie einen grausamen Vernichtung sfeldzug gegen Arbeiter des Geistes bis zum Volksschullehrer.

Nie werde ich meine Begegnung mit Khieu Sampan, Ieng Sary und dessen Frau Thirit (die über Shakespeare dissertierte) vergessen. Auf ihre Verantwortung für den Völkermord angesprochen, antworteten die Herrschaften im Nadelstreif treuherzig, ob ich sie denn wirklich für Massenmörder halten könntet

Als Lösung des Roten Khmer-Pro-blems sieht man deren Integration in eine Nationalarmee. Aber die gegenwärtige Pnom Penh-Armee wird auf nur 35.000 Mann geschätzt, bestenfalls gleichstark mit den Ro-. ten Khmer. Prinz Sihanouk, der von der Hand der Pol Pot-Mörder fünf Söhne und 14 Enkelkinder verloren hat, wird oft fälschlich der Kollaboration mit ihnen beschuldigt. Doch welche Wahl bliebe ihm, sagte er mir einmal in Linz.

Sihanouk ist auch heute überzeugt, daß einige 10.000 vietnamesische Soldaten, als Kambodschaner drapiert, zurückbleiben werden. Und welche Rolle werden die 600.000 vietnamesischen Siedler spielen? Die doppelte Angst vor den Roten Khmer und der Vietna-misierung bleibt. Bis zu einer Lösung wird trotz gutenAnfängen noch viel Wasser den Mekong hinunterfließen.

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