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Dorf strukturen erhalten

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Friedrich Achleitner lehrt an der Hochschule für Angewandte Kunst Architekturgeschichte und arbeitet seit vielen Jahren an einem großen österreichischen Architekturführer („Österreichische Architektur des 2 0. Jahrhunderts ", Residenz Verlag, Salzburg). Auch Achleitner, der die Probleme der Stadtpla-

nung fachspezifisch aus historischem Blickwinkel betrachtet und aus früheren Jahrhunderten etliche Beispiele für mißglückte „Reißbrett-Städte" bei der Hand hat, hält Wien für eine der noch planbaren Städte.

Planung, so Achleitner, sei zwar natürlich notwendig, aber immer nur ein ganz kleiner Teil der die Entwicklung einer Stadt bestimmenden Kräfte.

Seiner Ansicht verdankt Wien die relative Planbarkeit nicht nur der relativen Kleinheit. Klar sei, daß Planbarkeit eine Frage der Größenordnung ist, sicher sei New York nicht mehr planbar und in Städten wie Mexico City oder einigen indischen Städten könne sie überhaupt nicht mehr greifen: „Diese Städte steuern auf einen Tag X zu, an dem das alles kollabiert."

Wien aber ist nicht nur von der Größenordnung her begünstigt. Es hat, so der Architekturhistoriker, auch „eine Struktur, die eigentlich eine Agglomeration von Dörfern darstellt und ist dadurch unglaublich strukturiert. Man kann wirklich behaupten, daß jeder Bezirk eine eigene Atmosphäre und Topographie hat. Es ist ganz klar, daß Wien planbar ist, es ist nur die Frage, ob es als Ganzes planbar ist.

Da stößt man, glaube ich, an Grenzen, weil jede Problemlösung neue Probleme schafft."Die Wiener Dörfer-Struktur ermöglicht es, die Probleme der einzelnen Bezirke individuell zu erfassen und zu lösen. Roland Rainer amtierte nur drei Jahre als Wiener Stadtplaner, setzte in dieser kurzen Zeit aber starke Akzente.

Achleitner schreibt ihm etwa das Verdienst gut, daß Hietzing einen guten Teil seiner Identität bewahren konnte. Eine wichtige Funktion hatte dabei das neue Bezirkszentrum. Auch die Weichen für die Aufwertung Favoritens wurden zu Rainers Zeiten gestellt. Dank Fußgängerzone und U-Bahn, mit der man „ in fünf Minuten bei der Technik" ist, wird es derzeit von Studenten bevorzugt. Achleitner hält dies keineswegs für Zufall: „Nein, die Wiener Stadtplaner, Brunner und später Roland Rainer, haben das natürlich nicht mathematisch simuliert, aber sie haben diese Effekte gekannt und die restlichen alten dörflichen Strukturen sollten ja gestützt werden."

Die Eigenart der Wiener Bezirke ist Produkt von Jahrhunderten. Doch machen sich in diesem komplexen Produkt historischer Prozesse namens Identität die nicht besonders weit zurückliegenden planerischen Eingriffe besonders stark bemerkbar.

Favoriten zum Beispiel konnte in jüngster Zeit nicht zuletzt deshalb Wohngebiet für besonders viele junge Menschen werden, weil es über eine reiche alte Bausubstanz mit vielen Substandardwohnungen verfügt, und Substandardwohnungen sind eben für Studenten erschwinglich.

Diese Bausubstanz wieder verdankt der Bezirk „dem ungeheuren

Impuls durch den Bahnbau und den Bau des Arsenals. Bis 1850 gab es dort ja nichts außer ein paar Wirtshäusern. Durch die stadtplaneri-schen Maßnahmen, sprich Gürtel, Linienwall, Bahn entlang der Linie und durch die Situierung des Arsenals wurden Bauarbeiter, Eisenbahner und Militär angezogen und plötzlich wurde dieses Favoriten zu einem bevorzugten Industriestandort."

Ein anderes Beispiel: Die Planung des Westbahnhofes führte dazu, daß die Mariahilfer Straße keine Ausfallsstraße geblieben ist, sondern zur Gqschäftstraße wurde. Damit hat hier eine Citybildung eingesetzt, Kaufhäuser entstanden durch den Bau des Westbahnhofes, schließlich wurde das Einkaüfsviertel, das ursprünglich im Hinblick auf ein mit den Zügen ankommendes Einkaufspublikum errichtet wurde, von ganz Wien angenommen.

Stadtplanerische Lehre für die Gegenwart: Auch Achleitner sieht das Hoffnungsgebiet Wiens „sicher nördlich der Donau. Die ominöse Achse, die vorläufig ins Leere geht, gibt es ja schon. Man wird sich damit beschäftigen müssen, wie sich Kagran entwickeln soll."

Das heute existierende Kagran mag im Vergleich zu dem, was sich nördlich der Donau eines Tages abspielen wird, wirtschaftlich zwar wenig ins Gewicht fallen, aber es ist ein historisch gewachsener Ort -einer der wenigen in diesem Teil Wiens. Und darum eine Ressource, wenn in dieser Gegend etwas wie „Bezirks-Identität" oder „Viertels-Atmosphäre" gefragt sein sollte.

Wien steht vor großen Veränderungen: „Bis vor kurzem hat man noch von Stadtreparatur, Umbau und qualitativer Veränderung geredet, also eher von Verdichtung als Erweiterung. Seit der Wende im Osten hat Wien ganz andere Probleme und wird wahrscheinlich wieder eine wachsende Stadt werden. Damit stehen wir vor einer völlig neuen Situation." Der Zuzug wird vor allem aus dem Osten kommen, „das ist ganz klar und ist historisch auch nicht unlogisch."

Vehement ist Friedrich Achleitner gegen all die Aktivitäten, die darauf abzielen, die Innenstadt im Interesse des Fremdenverkehrs zu „verschönern" und historisch herauszuputzen. Auf diese Weise, meint er, wird die historische Substanz

von der historischen Kulisse überwuchert und verfälscht. Wird das verfälscht, worauf man hinweisen und was man herausstreichen möchte. Die ganze Innenstadt droht auf diese Weise zur Kulisse zu werden. Auch von nachgegossenen eisernen Kandelabern hält er nichts -sie sprechen die Formensprache der Gaslaternenzeit, nicht unsere heutige.

Die Stadtbeleuchtung soll auf heutigem Stand sein, was mit historischen Kandelabern nicht geht. Aber heutiges Leuchtendesign ist auch nicht immer auf heutigem Stand. Anstelle jeglichen Historisierens zum Ausdruck der eigenen Zeit zu stehen, setzt voraus, daß diese eigene Zeit ihren Ausdruck gefunden hat.

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