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Dorfkultur bleibt wichtig

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Was Schiller von menschlichen Eigenschaften gesagt hat, gilt auch für Gesellschaftseinheiten: • Das Dorf ist naiv, es ist Natur, seine Eindrücke sind direkt. Die Stadt gewinnt ihre Eindrücke aus Büchern und Gesprächen.

• Die Stadt ist Gehirn, das Dorf Herz.

• Das Dorf gibt uns Brot, die Stadt Kuchen.

• Das Dorf gibt uns Frieden, die Stadt Revolution.

• Die Stadt ist die Geburtsstätte des Theaters, das Dorf die der Dichter.

• Die Stadt ist groß, das Dorf ist klein.

Beide haben eine vitale Funktion im Gesellschaftsleben, und beide müssen im Interesse des Gleichgewichtes erhalten bleiben.

Beide sind notwendig, um ein Gemeinwesen zur Blüte zu bringen. Für eine städtische Zivilisation das Dorf auszuschalten ist dasselbe, wie wenn in einer Demokratie die Regierung die Opposition ausschaltet.

Das heißt nicht, daß das Dorf in Opposition zur Stadt steht. Es soll, wie eine Oppositionspartei, der Stadt die Waage halten. Sie kann das nur, wenn beide ihren unterschiedlichen Charakter beibehalten. ,

Beide werden aber im Augenblick zerstört Die Stadt dehnt sich nicht nur physisch, sondern auch geistig immer mehr aufs Land hinaus aus: durch Vororte, Villenviertel, Ausflugsziele… Das Dorf nimmt hingegen durch die Industrialisierung der Land- und Forstwirtschaft immer mehr städtische Manieren und Gesichtspunkte an, mit der Gefahr, daß beide in eine undifferenzierbare nationale Masse verwandelt werden.

Durch Fernsehen, Zeitungen und Fremdenverkehr wird das Dorf immer mehr urbanisiert: nicht nur physisch durch Fabriksanlagen, die nichts produzieren, was das Dorf braucht sondern auch geistig, durch die Fusion städtischer und ländlicher Beruf sambitionen.

In den Dörfern gibt es noch immer Felder, Wiesen und Weiden. Aber der Geruch ist der von Kunstdünger, das Aroma stammt vom Benzin, die Söhne der Bauern sind Doktoren der Rechte oder Schilehrer in Amerika mit

einer Dollarerbin als Frau und einem Mercedes als Transportmittel für ihre Manager oder Publizisten, Buchhalter oder Sekretärinnen.

Das Dorf ist nur mehr ein Andenken- und Ansichtskartengeschäft, dessen idyllisch strukturell noch existierende Kleinheit nur mehr vom Denkmalamt und vom Fremdenverkehrsverein, aber nicht mehr durch eine dörfliche Lebensweise erhalten bleibt In diesem Fall: „Small is no longer beautiful.“

Der Grund, warum sowohl Marxismus als auch Kapitalismus in eine Gesellschaftsrichtung marschieren, in der es nicht nur vertikal, zwischen den Klassen, sondern auch horizontal, zwischen Dorf und Stadt keinen Unterschied mehr geben wird, liegt nicht in einer gleichschaltenden Ideologie, oder wie Marx auf Grund seiner so glänzend argumentierten Geschichtsauslegung behaupten würde, in einer maschinellen Massenproduktionsweise, die alle und alles gleichhobelt sondern in dem gleichschaltenden Druck einer über Optimalgrenzen hinauswachsenden und immer mehr zentralisierten und integrierten menschlichen Gesellschaft.

Der Dorfbewohner produziert dann nicht mehr für seine nähere Umgebung, sondern für die große Welt, die ihrerseits das eine, ursprünglich in sich gekehrte, sich selbst erhaltende Dorf zu einem undifferenzierbaren Weltdorf

macht, auch wenn es physisch noch immer aus nur einer Handvoll Häusern besteht

Die Welteinheitgesellschaft des Turmes von Babylon hat Gott nicht gesegnet, sondern als lebens- und naturwidrig zerstört. Die Welt ist nicht auf Einheit aufgebaut, sondern auf Gleichgewicht das eine Vielfalt an Bestandteilen voraussetzt

Vielfalt kann nur dadurch gefördert werden, wenn einige Bestandteile zwar vergrößert werden können, aber die Mehrheit klein bleiben muß. Ist das nicht der Fall, entstehen all die Probleme wie Krieg, Verbrechen, Wirtschaftskrisen, Terrorismus, Studentenunruhen, Arbeitslosigkeit

Sie sind nicht ihrer Natur wegen unlösbar geworden, sondern we

gen des Ausmaßes, das sie angenommen haben. Das Ausmaß ist von der Größe der Gesellschaft abhängig.

Wenn die Probleme wieder auf ein menschlich meisterbares Maß zurückgeführt werden sollen, muß die Welt nicht in Wirtschaftsgemeinschaften, Großallianzen und Einheitsgesellschaften zusammengeschlossen, sondern in ein augustinisches System von Kleinstaaten aufgeteilt werden, in denen Städte wieder Städte und Dörfer wieder richtige Dörfer werden können - in sich gekehrt, naturverbunden, selbsternährend und klein.

Beide müssen im Interesse des sozialen Gleichgewichtes wieder zu ihren eigentlichen Funktionen zurückkehren.

Eine Verkleinerung und föderative Auflockerung der zentralisierten Staaten allein könnte das nicht zustande bringen. Dazu gehört auch eine technologische Rückrevolution zu einfacheren Produktionsmethoden, die ihrerseits aber nur in verkleinerten Stadt’gesellschaften ihren Zweck erfüllen können.

Denn nur in kleineren Gemeinschaften können Handarbeit und mehr menschliche Arbeitskraft benötigende einfachere Maschinen denselben höheren Lebensstandard garantieren, der in Großgesellschaften nur mit der fortgeschrittenen Technologie erreicht werden kann.

Diese produziert zwar alles, beeinträchtigt aber unsere Lebenslust, weil sie jeden von uns überflüssig macht.

Der Autor ist Professor am University College of Wales, der vorliegende Beitrag ein Auszug aus seinem Vortrag beim Intern. Symposium 1981 der österr. Gesellschaft für Land- und Forstwirtschaftspolitik.

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