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Drastische Änderungen

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Bemerkenswerte Entwick- lungen sind festzustellen, wenn man die Kon- fessionszugehörigkeit im deutschen Sprachraum, speziell in Deutschland, von 1930 und 1990 vergleicht.

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Bemerkenswerte Entwick- lungen sind festzustellen, wenn man die Kon- fessionszugehörigkeit im deutschen Sprachraum, speziell in Deutschland, von 1930 und 1990 vergleicht.

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Der demographische Befund, das heißt der Anteil der Katholiken und Protestanten in einem vereinten Deutschland, zeigt ein überraschen- des Bild (siehe Tabelle 1). In der Weimarer Republik der Zwischen- kriegszeit (1930) war das Verhält- nis zwischen Protestanten und Katholiken fast exakt 2:1. Die Son- stigen (andere Konfessionen und Konfessionslose) spielten eine un- tergeordnete Rolle. Diese Situation ist jedoch 1990 drastisch verändert.

In der Bundesrepublik konnten die Katholiken im Laufe der letzten Jahre die Protestanten leicht über- runden. Erstens einmal liegen auf dem Gebiet der Bundesrepublik die zwei traditionell katholischen Re- gionen (Süddeutschland und Rhein- land/Westfalen) und zweitens wirk- ten sich sowohl die katholische Kin- derfreudigkeit als auch die katho- lischen Gastarbeiter (vor allem Italiener und Spanier) aus.

Überraschend hoch ist sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR der Anteil der Sonstigen. Während in Westdeutschland in dieser Gruppe auch die hohe Zahl der islamischen Gastarbeiter zu berücksichtigen ist, hat sich allge- mein der hohe „Säkularisations- schub" der Nachkriegszeit bemerk- bar gemacht.

Im Fall der DDR kommt sicher auch der kirchenfeindliche Druck des Regimes hinzu. Die „Gottgläu- bigen" der Nazi-Zeit gingen offen- bar statistisch nahtlos in die Emp- fänger der „Jugendweihen" über. Dies traf besonders die Protestan- ten, die ihren volkskirchlichen Cha- rakter in der DDR weitgehend ver- loren haben, während sich die Ka- tholiken dort behaupten konnten.

Interessant ist daher der gesamt- deutsche Vergleich 1930 zu 1990. Das ursprüngliche 2:1-Verhältnis der beiden Konfessionen ist derzeit bei einem leichten Vorteil der Pro- testanten nahezu ausgeglichen. Gerade dabei wird sehr deutlich, daß die Katholiken ihre Substanz halten, ja sogar etwas ausbauen konnten, während die Protestanten die „Kirchenaustrittswelle" offen- bar voll getroffen hat.

Auch aus historisch-politischen Gründen empfiehlt sich der Ver- gleich zwischen 1930 und 1990 für Deutschland und Österreich ge- meinsam (Tabelle 2). In der An- schlußdiskussion kurz nach dem Ersten Weltkrieg spielte die Kon- fessionsstruktur eine große Rolle. Die Katholiken im Deutschen Reich wollten Österreich nicht zuletzt deshalb dabei haben, um ihren Anteil zu erhöhen, während die Katholiken in Österreich distan- zierter zum Anschluß eingestellt waren, weil sich trotzdem an der Dominanz des Protestantismus nichts geändert hatte. (Die Rela- tion wäre nur etwas besser gewor- den: statt 2:1 dann 1,5:1).

Betrachtet man die Konfessions- struktur Deutschlands und Öster- reichs gegenwärtig zusammen, so nehmen nun die Katholiken eine Mehrheitsposition ein. Im histori- schen Rückblick sicherlich eine Sensation!

Ob es nun beiden Kirchen in der DDR gelingt, nicht zuletzt wegen ihrer Haltung in der Novemberre- volution 1989, Vertrauen zurück- zuerhalten und damit die Konfes- sionslosenzahl zu drücken, wird vielfach bezweifelt. Jedenfalls ge- genwärtig ist kein Ansteigen der Kirchlichkeit zu bemerken.

Eine weitere Frage ist die staats- kirchenrechtliche Situation in der DDR. In der Bundesrepublik gelten das Reichskonkordat (1933) sowie die einzelnen Länderkonkordate (Preußen, Bayern, Baden) weiter fort. Die DDR hat diese Konkorda- te nicht anerkannt.

Der Heilige Stuhl ist jedoch, wo es ging, so verfahren, als ob diese weitergelten würden. Bei seinem Besuch am 13. Februar 1990 in Bonn erklärte der damalige Ministerprä- sident Hans Modrow, daß er nun von der Weitergeltung der Konkor- date ausgehe.

Es ist daher zu erwarten, daß die neue Regierung in der DDR in Form eines Notenwechsels mit dem Hei- ligen Stuhl die Gültigkeit der Kon- kordate anerkennen wird. Bei ei- nem Beitritt der DDR nach Artikel 23 des Bonner Grundgesetzes wür- de sich die Geltung völkerrechtli- cher Verträge ohnedies automatisch ausdehnen.

Für das Gebiet der DDR gilt einmal das Reichskonkordat, für die ehemals zu Preußen gehören- den Landesteile (Ost-Berlin, Sach- sen-Anhalt, Vorpommern, Bran- denburg, Görlitz-Schlesien) das Preußenkonkordat von 1929. Hin- sichtlich der Bischofsbestellung für die Diözese Dresden-Meißen (Sach- sen) gilt das Badische Konkordat (1932).

Neben vielen anderen Fragen würde die Geltung der Konkordate vor allem in zwei Bereichen prakti- sche Auswirkungen für die Bevöl- kerung der DDR zeigen, nämlich im Religionsunterricht und bei der Kirchensteuer, die ja in Deutsch- land zusammen mit der Lohn- und Einkommensteuer eingehoben wird.

Der Autor ist Dozent für Kirchengeschichte an der Universität Graz.

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