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Drehbühne schief - Spielplan im Lot

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In der kommenden Spielzeit feiert das Linzer Landestheater sein 175jäh-riges Bestehen. 1803 wurde das „Große Haus“ als intimes dreirängiges Logentheater auf der oberen Linzer Promenade, unweit vom Hauptplatz, erbaut. Nach grundlegenden Umbauten in den fünfziger Jahren hat es mit Sicherheit nur eines dazugewonnen, nämlich Plätze.

Ansonsten ist man mit der von Clemens Holzmeister geschaffenen Lösung nicht recht glücklich. Außer der bereits 1940 erneuerten Bühne, dem Orchestergraben und dem Portal wurde alles verändert (die Logen wichen zwei freitragenden Baikonen),-die Chance, ein modernes, funktions-tüchtiges Haus zu schaffen, jedoch nur

schlecht genützt. Seither muß sich die Theaterleitung mit vielen schlechten Plätzen (so fallen zum Beispiel die Parterresitze in die dritte Preiskategorie, weil sie zu niedrig sind), mit unbrauchbaren Foyers und schlechter Akustik herumschlagen.

Seit 1919 hatte der an das große Haus anschließende Redoutensaal als Kammerspielhaus gedient. Die sprunghaft ansteigende wirtschaftliche und damit auch kulturelle Entwicklung des oberösterreichischen Zentralraumes machten aber schließlich den Bau eines neuen Hauses notwendig. 1957 wurden die Kammerspiele eröffnet, ein Holzmeister-Bau, der direkt an das große Haus angefügt ist.

In den folgenden Jahren hagelte es Vorwürfe an die Intendanz wegen des allzu progressiven Spielplans in den Kammerspielen. „Gebt uns eine dritte Spielstätte!“ forderten die Theaterverantwortlichen daraufhin von den Politikern. Und sie bekamen sie. 1973 wurde der Theaterkeller im Landeskulturzentrum Ursulinenhof in der Linzer Landstraße eröffnet. Dort erleben nun zeitgenössische, avantgardistische Stücke ihre Aufführung - wobei in Linz auch Klassiker der Moderne, wie Becketts „Warten auf Godot“, zur Avantgarde zählen. In dieser Saison findet man Ionesco, Brecht, Fo, Behan, Müller und Venclik auf dem Spielplan des Theaterkellers, dessen Dimensionen (80 bis 100 Plätze je nach Inszenierung) für einen engen Kontakt des Zuschauers mit dem Bühnengeschehen sorgen.

In der Jubiläumssaison kommen insgesamt 650 Vorstellungen/davon 30

Premieren, auf den oberösterreichischen Theaterfreund zu. Auf dem Spielplan könnte das Motto „Für jeden etwas“ stehen. Acht Opern, mit Sme-tanas „Verkaufter Braut“ und Mozarts „Cosi fan tutte“ als Wiederaufnahmen, zwei Operetten, ein Musical und drei Dramen im großen Haus. Mit Spannung erwartet werden von den Opernfreunden „Pelleas und Melisande“ von Debussy und „Palestrina“ von Pfitz-ner. Voraussichtlich das interessanteste Sprechstück im großen Haus: Pavel Kohouts „Wie Gott in Frankreich“.

Die Herausforderung Musical wurde in den letzten Jahren regelmäßig angenommen und von den Linzel? Theaterleuten mit beachtlichem Erfolg gemeistert. Nach der gelungenen Aufführung von „Cabaret“ 1976/77 brachte in der vergangenen Spielzeit „Der Mann von La Mancha“ gute Kritiken und ein volles Haus. Für die kommende Saison hatte sich die Dramaturgie für „Chicago“ entschieden -Rolf Kutschera vom Theater an der Wien machte ihr allerdings einen Strich durch die Rechnung. Er wollte das Musical nicht gleichzeitig im 200 Kilometer entfernten Linz aufgeführt wissen. Man einigte sich schließlich, und so werden die Oberösterreicher ab Februar 1979 statt „Chicago“ Cy Cole-mans „Sweet Charity“ sehen und hören. Der Linzer Intendant Alfred Stögmüller stellt „Chicago“ für die nächste Spielzeit in Aussicht.

In den Kammerspielen hat die heitere Muse das Ubergewicht. Moliere, Feydeau, Labiche versprechen unterhaltsame Komödienabende, ebenso Lessings „Minna von Barnhelm“ und Eichendorffs selten gespieltes Lust-

spiel „Die Freier“. Die Kammerspiele sind jedoch nicht ausschließlich der Komödie verschrieben, auch Schillers „Räuber“, Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“, Weisenborns „Ballade vom Eulenspiegel, vom Federte und von der dicken Pompanne“ und als ein weiterer Schritt in der Hor-väth-Pflege „Glaube Liebe Hoffnung“ stehen auf dem Programm.

Dem oberösterreichischen Theaterfreund bleibt nicht nur die Qual der Wahl, sondern auch die bange Frage, ob er für sein gewünschtes Stück auch

eine Karte erhält - es sei denn, er besitzt ein Abonnement. Und damit ist ein großes Linzer Problem angeschnitten. Ohne daß in den letzten Jahren dafür geworben worden wäre, hat das Landestheater derzeit 15.000 Abonnenten. Rechnet man pro Abonnent durchschnittlich zehn besuchte Vorstellungen, stellen die „Dauermieter“ 150.000 Besucher in einer Saison. In der vergangenen Spielzeit hatte das Landestheater 275.000 Gäste, bleiben also 125.000 Theaterbesucher, die ihre Karten im freien Verkauf erworben haben. Diese mußten zu einem großen Teil mit schlechten Plätzen vorliebnehmen. Insgesamt stehen in den drei Linzer pielstätten etwa 1250 Plätze zur Verfügung (diese Zahl variiert um jene 20 Sitze, die im Theaterkeller weggelassen werden können). Das große Haus verfügt über 685 Sitz- und 71 Stehplätze, die Kammerspiele bieten 391 Sitz- und 30 Stehplätze an.

Wenn auch nicht immer leicht zu bekommen, sind die Eintrittskarten im Linzer Landestheater doch relativ erschwinglich. Die Eintrittspreise im großen Haus reichen von der 17-Schil-ling-Stehplatzkarte bis zum 182-Schil-ling-Sitz in der ersten Preiskategorie beim Musiktheater (16 bis 156 Schilling bei Sprechstücken). In den Kammerspielen kostet der billigste Sitzplatz 57 Schilling (Sprechstück 36 Schilling), der teuerste 150 (120 Schilling}. Im Theaterkeller gibt es alle Karten zum Einheitspreis von 68 Schilling.

Bei den 680 Vorstellungen der vergangenen Spielzeit, zu denen noch 45 vertraglich fixierte Abstecher in andere Städte kamen, waren das große

Haus zu 82 Prozent, die Kammerspiele zu 77,5 und der Keller zu 77 Prozent ausgelastet. Bei einem auf mittlerweile rund 100 Millionen Schilling angewachsenen Gesamtbudget betragen die Einspielergebnisse laut Intendant Stögmüller 14 bis 15 Millionen Schilling. Der Rest wird mit Subventionen gedeckt, die 1977 zu 37,5 Prozent vom Land Oberösterreich, zu 31,5 Prozent von der Stadt Linz und zu elf Prozent vom Bund kamen.

Seit nunmehr 14 Jahren leitet Intendant Alfred Stögmüller die Geschicke

des Theaters, ihm zur Seite stehen Verwaltungsdirektor Adolf Holschan und Opernchef Theodor Guschlbauer. Als spezifisch für „sein“ Theater bezeichnet Stögmüller das homogene, leistungsstarke Ensemble. Gäste sind in Linz „geschätzte Notfälle“. 147 Künstler stehen derzeit im festen Vertrag, davon 50 Damen. Drei Dramaturgen zeichnen für den Spielplan verantwortlich, sechs Regisseure und eine Choreographin realisieren die ausgewählten Werke. Die Gagen der Künstler liegen zwischen 8000 und 26.000 Schilling. 172 Mitarbeiter werden für Technik und Werkstätten gebraucht, 27 für die Verwaltung der Häuser. Die Personalkosten beziffert Stögmüller mit 82 Prozent der Gesamtausgaben, während die Ausstattungskosten nur zwei Prozent betragen.

Wichtigster Partner des Landestheaters ist das Brucknerorchester. Mit seinen 96 Musikern und vier Verwaltungsangestellten bildet es einen eigenen Rechtskörper, der dem Theater vertraglich verbunden ist. Die Verpflichtung, am Linzer Theater Oper, Operette und Musical zu spielen, füllt den ohnehin schon ausgelasteten Terminkalender der Musiker zur Gänze. Denn nicht nur der Chef, Theodor Guschlbauer, sondern auch das Orchester selbst, dessen Ruf als ausgezeichneter Klangkörper sich immer mehr festigt, sind begehrte Gäste in den Konzertsälen.

Stögmüller ruht nicht auf seinen Lorbeeren aus. Dynamisch und stets ein wenig unzufrieden, analysiert er Erfolge wie Mißerfolge. Sorgen bereitet ihm das große Haus, bei dem Erneuerungen wieder einmal dringend nötig werden. Die Drehbühne knarrt und hängt um vier Zentimeter durch, doch an den Bau einer neuen mag man nicht denken. Der Theaterchef hegt einen anderen, bedeutenderen Wunsch: ein neues Opernhaus. „Schließlich haben wir die VÖEST, die uns ein vom Stahl her perfektes Haus herstellen könnte!“, wunsch-träumt Stögmüller mit realistischem Hintergrund. Das große Haus würde dann ausschließlich dem Schauspiel zur Verfügung stehen. Bleibt die Frage nach dem Geldgeber. Stadt und Land sind zweifellos überfordert, Hoffnungen werden auf den

Bund gesetzt. Das Versäumnis, die Rieseninvestition Brucknerhaus als kombiniertes Konzert- und Opernhaus anzulegen, kann freilich nicht mehr nachgeholt werden.

Zurück zum Theater, wie es ist: Gastspiele anderer Theater gibt es nicht, man ist durch die Abonnements und geschlossene Vorstellungen für Betriebe und andere Organisationen vollends ausgelastet. Ebenfalls aus Raum- und Termingründen fehlen Ballettaufführungen. ,

Viel Arbeit wird für Kinder und Jugendliche geleistet. Zwar ist man eingeschränkt, was spezifisch geeignete Aufführungen betrifft; pro Jahr muß man sich mit einem Kinderstück begnügen. Ein eigenes Team „Jugend und Theater“ steht jedoch bereit, um für Jugendliche vom Kindergartenalter bis zur Matura Führungen durchs Theater, Einführungen in bestimmte Werke, Diskussionen nach der Aufführung, szenisches Spiel oder Hilfe für junge Laienspieler zu ermöglichen. 15.000 Kinder und Jugendliche haben in der vergangenen Saison einen oder mehrere Punkte aus dem vielfältigen Programm in Anspruch genommen.

Und man tut gut daran, die jungen Oberösterreicher möglichst früh mit dem Theater in Kontakt zu bringen, denn sie sind das Publikum von morgen. Jenes Publikum, mit dem ein Theater steht oder fällt.

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