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Drehscheibe der Völker

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(fg)-Makedonien hat sich für die Unabhängigkeit entschieden, möchte aber im Verband eines föderalen Jugoslawien bleiben. Die Probleme, die aus dem Zerfall des Titoreiches entstehen - oder nun erneut hochkommen-, reichen mit ihren Wurzeln über mehr als zwei Jahrtausende zurück.

„Jugoslawisch-Makedonien, das im Osten an Bulgarien, im Süden an Griechenland, im Westen an Albanien und im Norden an ...Serbien grenzt, liegt wie eine Drehscheibe im Herzen des Balkans." (Carl G. Ströhm) Die strategisch wichtige Lage hat seine Geschichte geprägt. Das Zusammentreffen verschiedener Völker und Stämme schuf die ethnischen Probleme, Ausgangspunkt blutiger Konflikte.

Schon die Griechen des Altertums sahen mit Hochmut auf die ebenfalls griechischen, aber mit Nachbarvölkern vermischten Makedonier herab, die dann seit Philipp II. für 150 Jahre die Halbinsel zwischen Ägäis und Jonischem Meer dominierten.

Römer, Byzantiner, Bulgaren, Serben, seit dem 14. Jahrhundert die Türken beherrschten den makedonischen Raum, in den erst seit dem 6. Jahrhundert die Slawen eingeströmt waren. Seither ist Makedonien Streitobjekt und Spielball der Nachbarn wie der Großmächte.

Die Unruhen, die zum Balkankrieg und schließlich zur Unabhängigkeit Albaniens führten, brachen in Makedonien aus. Die gemeinsame Front gegen die Türken zerbrach, als sich Bulgarien und Serbien über den Norden Makedoniens, das Vardargebiet, Bulgarien und Griechenland über die Ägäisküste und Saloniki zerstritten. Das Ende des Ersten Weltkriegs teilte Vardar-Makedonien Serbien und damit dem neuen Jugoslawien zu, Ägäis-Makedonien Griechenland; der östliche Teil, Pirin-Makedonien, bleibt bulgarisch.

Denn die Aspirationen aller Nachbarn stützen sich, abgesehen von weit hergeholten historischen Begründungen, vor allem auf die Behauptung, es gebe keine makedonische Nation. Die .Makedonier seien „Südserben", behaupten die jugoslawischen Sprecher; sie seien Bulgaren, ihre Sprache ein bulgarischer Dialekt, behauptet man in Sofia. „Slawisierte Hellenen", lautet die griechische Feststellung.

Infolgedessen wurde die makedonisch-slawische Bevölkerung in Griechenland seit dem Zweiten Weltkrieg total assimiliert, vor allem, nachdem sie den kommunistischen Partisanen im Bürgerkrieg geholfen hatte. Im Gebiet von Pirin (Bulgarien) gab es bei der Volkszählung 1956 noch 180.000 Makedonier - 1971 überhaupt keine mehr. Weil es sie nicht geben durfte.

Nur Tito erkannte den Nutzen der Anerkennung einer makedonischen Nation sowie einer eigenständigen makedonischen Sprache und etablierte Makedonien als südlichste Teilrepublik Jugoslawiens mit der Hauptstadt Skopje, dem türkischen Üsküb, mit 1,7 Millionen Einwohnern auf 26.000 Quadratkilometern.

Die von ihm und dem bularischen Diktator Georgii Dimitrow geplante Balkanföderation, die auch ein kommunistisches Griechenland einschließen sollte, hätte den Weg für ein Groß-Makedonien freigemacht. Das Ende des griechischen Bürgerkrieges und der Konflikt Belgrads mit Moskau machten solche Ideen hinfällig.

Ein - erstmals - unabhängiges Makedonien wird nicht nur die Probleme einer unterentwickelten Wirtschaft bewältigen müssen, sondern auch die aus der Existenz einer starken albanischen Minderheit erwachsenden - aber auch die Erbschaft jahrhundertelanger Auseinandersetzungen mit den Nachbarn.

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