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Drei Grundsätze für eine Kulturpolitik

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Josef Ratzenböck war in der oberösterreichischen Landesregierung (neben seiner Funktion als Finanzreferent) schon für die Kulturpolitik zuständig, bevor er noch zum Landeshauptmann aufstieg. Er hat auch in neuer Funktion die Sorge für das kulturelle Geschehen im Land ob der Enns beibehalten. Von welchen Grundsätzen er sich hierbei leiten läßt, skizzierte er kürzlich in seinem Festvortrag in der traditionellen Thomas-Akademie der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Linz.

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Josef Ratzenböck war in der oberösterreichischen Landesregierung (neben seiner Funktion als Finanzreferent) schon für die Kulturpolitik zuständig, bevor er noch zum Landeshauptmann aufstieg. Er hat auch in neuer Funktion die Sorge für das kulturelle Geschehen im Land ob der Enns beibehalten. Von welchen Grundsätzen er sich hierbei leiten läßt, skizzierte er kürzlich in seinem Festvortrag in der traditionellen Thomas-Akademie der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Linz.

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Was ist das eigentlich, Kultur? In den Nachschlagewerken findet man allerlei Definitionen. Die einen meinen, Kultur sei die Gesamtheit der geistigen Werte einer Gesellschaft. Andere sagen, Kultur ist alles, was Menschen geschaffen haben für andere Menschen. Ein dritter meint, Kultur sei alles, was über das physiologisch zum Leben unbedingt Notwendige hinausgeht.

Kultur ist wirklich so umfassend, wie sie definiert wird. Wenn man das weiß, muß man sagen: Eigentlich ist jeder meiner Kollegen in der Landesregierung auch Kulturreferent. Jeder verwaltet ein ganz großes Stück Kultur. Ich allein heiße „Kulturreferent“, aber wir alle miteinander sind es.

Kultur so landläufig, das ist das Landestheater und das Brucknerorchester und ein bißchen Museum dazu; die bildnerische Kunst, die Plastik und die Malerei - dann sind wir schon am Ende.

Doch das ist nur ein kleiner Sektor dessen, was eigentlich Kultur bedeutet. Mit diesem kleinen Sektor treibe ich Politik. Um Mißverständnisse auszuschließen: Unter Politik verstehe ich jed,es zielgerechte Handeln für die Gesellschaft.

Ein Politiker hat Entscheidungen zu treffen. Wenn er Entscheidungen trifft, muß er wissen, welche Ziele er hat. Politik betreiben, heißt eben, Ziele anstreben, wissen, wohin man will. Politik betreiben heißt, eine größtmögliche Zahl von Menschen möglichst glücklich zu machen, und Kulturpolitik eben, das auf dem Sektor der Kultur zu tun.

Als Kulturpolitiker hat man gewisse Grundsätze. Ich möchte mich auf einige wenige beschränken. • Da ist einmal der Grundsatz, daß jeder Mensch Anspruch auf Befriedigung seines Kulturbedürfnisses hat. Das setzt voraus, daß jeder Mensch überhaupt ein Kulturbedürfnis hat. Das hat er - und zwar von den Anfängen der Zeit an.

Die Funde aus der Steinzeit beweisen, daß der Mensch damals schon ein schöpferisches, ästhetisches Bedürfnis gehabt hat. Dasselbe zeigen die Höhlenmalereien in Altamira, die Fels ritzereien und -zeichnereien im Tassiii oder im Hoggarmassiv in Afrika.

Wenn wir unsere Heimatmuseen anschauen und sehen, was dort übriggeblieben ist aus der Steinzeit, mit welcher Mühe und Kraft man geformt und gestaltet hat, dann muß man sagen: Das ist uns angeboren. Dieses Bedürfnis haben wir.

Und wenn wir es haben, dann sind wir verpflichtet, jedem zur Erfüllung dieses Bedürfnisses zu verhelfen. Wenn ich diesen Grundsatz anerkenne, dann heißt das, daß ich überall im Land für ein entsprechendes Kulturangebot zu sorgen habe.

Dabei kommen uns die Stifte zuhilfe, die immer eine ungeheure Bedeutung für die Kultur dieses Landes gehabt haben und jetzt wieder ganz stark das Kulturleben mittragen. Sie waren und sind Bildungs- und Kulturzentren. Wir sind bemüht, sie zu fördern und weitere Zentren zu errichten.

1978 haben sich mehr als hundert Gemeinden auf ihre kulturelle Kraft besonnen und Kulturwochen durchgeführt Wir holen unsere Kinder aus dem ganzen Land in unser Museum herein, als Beitrag zur Anhebung des Kulturniveaus.

Wir haben schon in einigen hundert Betrieben Betriebskulturräte, die sich um die Kultur im Betrieb kümmern sollen. Wir schicken unsere Künstler in die Schulen zu Lesungen und Ausstellungen überall im Land.

Das ist das erste Anliegen: Die Anhebung des Kulturangebotes, damit das Kulturbedürfnis überall im Land befriedigt werden kann.

• Ein zweites Anliegen: Die schöpferische Kraft unserer Bevölkerung zu steigern, anzuheben, zu fördern. Wir müssen denen helfen, die schöpferisch tätig sind. Wir sind dabei auch der Kritik ausgesetzt, weil nicht alles, was schöpferisch gemacht wird, Anerkennung findet.

Aber ist das nicht immer so gewesen? Haben nicht viele Künstler in ihrer Zeit schwere Kritik erlebt, und ist man nicht erst im nachhinein drauf-gekommen, was sie zu sagen haben?

Die Kirche ist und war in dieser Hinsicht ihrer Zeit oft weit voraus. Manches wird in Auftrag gegeben, das nicht unbedingt sofort die Billigung aller Gläubigen findet. Geben wir hier Freiheit. Wir leben in einer Zeit, die ihren Stil noch nicht gefunden hat - oder wir sehen ihn noch nicht.

Die Jahrhunderte früher waren sozusagen aus einem Guß. Heute haben wir den Eindruck, daß es nicht zwei Künstler gibt, die gleich sehen, die sich gleich ausdrücken. Ich meine hier nicht die selbstverständliche Originalität des Künstlers, sondern daß man den Eindruck hat, jeder kommt aus einer anderen Zeit.

Die Künstler sind die Sensoren am Leib der Gesellschaft, die das Beben und die Bewegungen schon lange vor den anderen spüren. Sie sagen uns etwas über die jetzige und die kommende Zeit Wir brauchen die Künstler, weil sie ein feineres Gefühl haben, weil sie uns Signale geben können, auch wenn es nur Signale der Verwirrung wären, die uns zum Nachdenken bringen.

• So komme ich zu einer» dritten, das ich behandeln möchte: Es muß eine Aufgabe der Kultur sein, uns zu einem neuen Zeitbegriff zu verhelfen. Wir leben, gerade in unserer Generation, fast geschichtslos nur in der Gegenwart Wir haben keine Zeit zurückzuschauen, wir haben keine Zeit in die Zukunft zu blicken. Wir beschäftigen uns nur mit den Problemen der Gegenwart, wobei diese Probleme im Vergleich zu früheren Jahrhunderten manchmal fast belanglos sind.

Wer nur Gegenwart hat, dem fehlt nicht nur die Vergangenheit, dem fehlt genauso die Zukunft. Ihm fehlt die Dimension Zeit. Das Leben wird kurz und kümmerlich.

Wenn ich die Vergangenheit kenne, dann ist mein Leben um tausend, um fünftausend Jahre länger. Was ich über die Vergangenheit weiß, ist ein Teil meines Lebens und Erlebens. Ich halte es für wichtig, daß diese .Bewußtseinserweiterung ohne Drogen' der Allgemeinheit zugänglich gemacht wird.

Ich denke jetzt nicht so sehr an das Lernen aus der Geschichte. Man sagt ja, aus der Geschichte lernt man nicht. Mich wundert das gar nicht Wie soll man aus der Geschichte lernen, wenn man sie nicht kennt? Wer kennt denn die Geschichte?

Ich rede nicht von den alten Ägyptern. Ich frage vielmehr: Was wissen unsere 20- und 25jährigen von den 40iger Jahren, von den 30iger oder 50iger Jahren? Nichts. Und die sollen lernen aus der Geschichte? Ich bin überzeugt, man kann aus der Geschichte lernen. Aber da muß man sie kennen, und solange wir nicht die Geschichte kennen, werden wir sie strafweise immer wieder wiederholen müssen, bis wir sie kennen.

Mir geht es nicht nur um das Lernen aus der Geschichte. Ich sage nicht, daß die frohe Zukunft beginnt, wenn wir wissen, wie es den Römern und Griechen gegangen ist, sondern mir geht es jetzt um diese Form einer Bewußtseinserweiterung, einer Vergrößerung der Bandbreite unseres Erlebens.

Das ist ein Ziel, aber wie erreicht man es? Wir probieren es halt auf irgendeinem Sektor, etwa durch unsere großen Ausstellungen, durch die Erschließung der Schätze in unseren Museen. Das geht nicht von heute auf morgen. Wir brauchen sie, um Lebensqualität zu vermitteln, die auch in der Verbreiterung des Erlebnisbandes besteht.

Kulturpolitik soll eine Atmosphäre schaffen, die bewirkt, daß man Kultur als etwas Wichtiges und mindestens Gleichberechtigtes gegenüber allen anderen Formen der Politik anerkennt. Jetzt kämpfen wir um Gleichberechtigung. In der Zukunft wird Kultur das Dominierende sein, das, was uns vor allem leben, ja überleben hilft.

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