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Dreier-Team statt Eltern?

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Wenig Gegenliebe erntete in der Fachwelt. ein recht kinderunfreund-licher Vorschlag der „SP-Kinder-fretmd'in“'Dr:3Rotraud Ferner, demzufolge sich Sexualerziehung in der Schule nur mehr auf den rein anatomischen Bereich konzentrieren, alles andere ambulanten mobilen Dreierteams überlassen solle. Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter würden dann im anonymen, gruppendynamischen Gespräch jeweils die „Bedürfnisse“ eines Jahrganges abdecken, freilich über den Kamm geschoren und ohne individuelle Abstimmung auf den einzelnen Schüler. Bis zum 14. Lebensjahr können Eltern ihre Kinder von der Sexualerziehung abmelden. Ob dadurch freilich Probleme gelöst werden, sei dahingestellt.

Einer der ersten, die sich ganz energisch gegen dieses Projekt ausgesprochen haben, war der Salzburger Psychologe und stellvertretende Vorsitzende der Studiengesellschaft für Kinderpsychologie, Dr. Ernst Bornemann: Die jüngste Perner-Idee sei ohnehin uralt und damals schon nicht besser gewesen. Allein seine eigenen Untersuchungsergebnisse seit Anfang der sechziger Jahre, sagte Bornemann, widersprächen entscheidend dem Glauben an das Dreier-Team, von Erfahrungen in anderen europäischen Ländern ganz zu schweigen.

Die Basis einer sinnvollen, also wertbezogenen und altersgerechten Sexualerziehung kann allein das Elternhaus liefern, denn dort liegen die Kompetenzen, dort allein kann jener Grundstock vermittelt werden, auf dem der Schulunterricht aufzubauen hat.

Vielfach fehlt Erwachsenen noch heute die eigene positive Einstellung zur Sexualität, weshalb sie in der Erziehung ihrer Kinder versagen. Gerade deshalb ist der Lehrer nun mit sehr unterschiedlichen Entwicklungsstufen konfrontiert. Er wird beurteilen müssen, wie in der individuellen Behandlung jedes einzelnen Kindes langsam ein halbwegs einheitliches Niveau herbeigeführt werden kann. Das aber ist genau der logische Gegensatz zum Dreier-Team, dem kaum eine andere Befähigung als die der Weitergabe biologischer Informationen gegeben sein kann. Wo sollte es sonst ansetzen, in der Unkenntnis jener Voraussetzungen, die sich eine Lehrerschaft in Elternabenden oder ähnlichen Veranstaltungen erarbeiten kann?

Die vorgeschlagene Beiziehung von Schulärzten und Psychologen provoziert zunächst die Frage, wer noch aller in den institutionalisierten Unterricht einbezogen werden soll — gegen Bezahlung natürlich? Heute schon gibt es zuwenig Schulärzte für die gesundheitliche Betreuung der Schüler, die Budgetmittel für die Lehrer sind beschränkt — wer soll dann die fahrenden Sex-Ambulatorien zahlen?

Im übrigen widerspricht der Vorschlag, den Erlässen zur Schulerziehung, die von den Ministern Mock und Gratz, 1969 und 1970, präsentiert wurden und die eindeutig von einem „Unterrichtsprinzip“ sprechen, also keinem eigenen Fach. Sexualkunde als Unterrichtsfach würde erreichen, was verhindert werden soll, daß der gesamte Bereich geschlechtlicher Beziehungen zur „Kunde“ absackt, weil der wertorientierte Aufhänger eines sich ergebenden Gespräches in den Klassen fehlt, die Situation an sich gestellt und wenig einladend wirkt.

Voraussetzungen für den modernen Sexualunterricht müssen aber auch in der Lehrerbildung geschaffen werden, in den Pädagogischen Akademien und den Instituten der Universität. Die in den letzten Jahren entstandene Unsicherheit wird nur dann abzubauen sein, wenn man die Schule in Rutie1* arbeiten läßt, Ihr nicht permanent neue Idealrezepte an den Kopf wirft. Auch bedarf es eines Prozesses des Vertrautwerdens zwischen Lehrern und Schülern, bevor über den — sicherlich — sehr intimen Bereich des geschlechtlichen Zusammenlebens gesprochen werden kann.

Hauptgewicht wird in der Grundschule liegen, wo der Lehrer größere Koordinationsmöglichkeiten besitzt, den Religions- und die Arbeitslehrerin leichter einbeziehen kann. Bei den 10- bis 18jährigen wird es nicht so sehr auf eine Verlängerung der Unterrichtszeiten ankommen als vielmehr auf eine verbesserte Lehrform, deren wesentlichster Inhalt die Vertiefung menschlicher Beziehungen sein müßte.

In der Sexualerziehung ist die Verantwortung des Lehrers und Erziehers ungeheuer groß. Ausrutscher in Latein oder Mathematik tragen bestenfalls eine Erwähnung in der Maturazeitung ein. In der Sexualerziehung sind die Folgen bedeutender. Deshalb sollte man es den Lehrern auch nicht so schwer machen, ihre Aufgabe anerkennen und an der Lösung mitarbeiten.

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