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Dreimal Gesellschaftskritik

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Vor zwei Jahren wurde im Theater in der Josefstadt mit erheblichem Erfolg die Tragikomödie „Das Wort“ von Arthur Schnitzler uraufgeführt. Nun, fast genau vierzig Jahre nach seinem Tod, bringt das Volkstheater ein bisher unaufgeführtes, doch im Vorjahr im Druck erschienenes Drama „Zug der Schatten“ zur Wiedergabe, das dem Autor zur Veröffentlichung noch nicht geeignet erschien: „Ich liefere immer zu früh ab“, sagt eine Figur. Schnitzler hatte daran zwei Dezennien, bis ein Jahr vor seinem Tod, gearbeitet, es bestehen von den neun „Bildern“ zahlreiche Fassungen, doch gelang es der Französin Francoise Derre in Lyon, eine Auswahl zu treffen, die das Stück — entgegen anderen Meinungen — zur Einheit bindet. Es ist das tatsächlich ein „Zug der Schatten“, etwas gewandelte Revenants früherer Gestalten, Revenants der von Schnitzler dargestellten versunkenen Gesellschaft treten auf, die aber keineswegs schattenhaft wirken.

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Vor zwei Jahren wurde im Theater in der Josefstadt mit erheblichem Erfolg die Tragikomödie „Das Wort“ von Arthur Schnitzler uraufgeführt. Nun, fast genau vierzig Jahre nach seinem Tod, bringt das Volkstheater ein bisher unaufgeführtes, doch im Vorjahr im Druck erschienenes Drama „Zug der Schatten“ zur Wiedergabe, das dem Autor zur Veröffentlichung noch nicht geeignet erschien: „Ich liefere immer zu früh ab“, sagt eine Figur. Schnitzler hatte daran zwei Dezennien, bis ein Jahr vor seinem Tod, gearbeitet, es bestehen von den neun „Bildern“ zahlreiche Fassungen, doch gelang es der Französin Francoise Derre in Lyon, eine Auswahl zu treffen, die das Stück — entgegen anderen Meinungen — zur Einheit bindet. Es ist das tatsächlich ein „Zug der Schatten“, etwas gewandelte Revenants früherer Gestalten, Revenants der von Schnitzler dargestellten versunkenen Gesellschaft treten auf, die aber keineswegs schattenhaft wirken.

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Zwei Lebensbereiche berühren sich, das gehobene Wiener Bürgertum von einst und die Welt des Theaters, verbunden durch den jungen Arzt Richard, der mit Mathilde, einem Mädchen aus gutem Haus, verlobt ist und mit der 19jährigen Schauspielerin Franzi ein Verhältnis hat oder schon nicht mehr hat.

Was Schnitzler meisterhaft darstellt, ist die Labilität, der seelische Schwebezustand, man könnte auch sagen die Zweischichtigkeit dieses Richard, der sich von Franzi löst, seinen Entschluß zu spät wieder rüdegängig machen will und sie ungewollt in den Selbstmord treibt. Sein leidvolles Verstricktsein in gegensätzliche Neigungen führt bei ihr zu Katastrophe. Ist es Schuld oder Nichtschuld? Aus dem Spiel des Lebens wird auf der Bühne Ernst, Franzi, die eben eine Hauptrolle erhielt, hat in einer Szene ohnmächtig niederzusinken, aber sie steht nicht wieder auf, sie nahm Gift. Das ist nun freilich ein kolportagehafter Effekt, fremd in diesem Stück.

In der Vielzahl der vorgeführten Figuren ersteht eine versunkene Gesellschaft kultivierter Lebenshaltung, der Nonchalance, es sind das Menschen, denen wir ihren Beruf gar nicht recht glauben, wenn man von den Theaterleuten absieht. Was wir erfahren, sind ihre Liebesbeziehungen, die tändelnd geknüpft und wieder gelöst werden, mischt sich nicht der Tod ein. Nirgendwo gibt es einen Halt, Gefühle, Einstellungen wechseln, so auch bei Bern, dem Autor des zur Aufführung gelangenden Stücks, der bereut, Richard gegenüber Schicksal gespielt zu t haben, so bei Ludwig, dem früheren Liebhaber Franzis, der, nun verheiratet, sie rückgewinnen will. Nicht so bei Franzi und vor allem nicht bei Mathilde, die schließlich dem nun erschütterten Richard eine Stütze sein, ihm Halt geben will. Wird es ihr gelingen? Paradoxon: Offener Schluß, der das Stück durch diese Kontraposition klarer Entschiedenheit befriedigend abschließt.

Das österreichische Unbeschwerte, das keineswegs durch Unterspielen erreicht wird, kommt bei fast allen 32 Darstellern der Aufführung unter der Regie von Gustav Manker trefflich heraus. Im Gegensatz dazu steht die „leidvolle“ Unentschiedenheit Richards, die Rick Parsi in Verhaltenheit spüren läßt. Durch Nonchalance und spielerischen Zynismus kennzeichnet Eugen Stark den Autor Bern. Kitty Speiser gibt der Franzi leidenschaftliches Gefühl. Die neun Bühnenbilder ersetzt Georg Schmid durch Hänger als Hintergrundwände.

Ist das deutsche Märchen „Der Hauptmann von Köpenick“ von Carl Zuckmayer, das derzeit im Burgtheater gegeben wird, veraltet? Die Macht der Uniform, die da grandios verhöhnt wird, setzt knechtselige Untertanen wilhelminischer Prägung voraus. Bei uns hat die Uniform kaum noch Geltung. Aber wird Macht nicht auch heute oft nur angemaßt und erweist sich als innerlich hohl? Vollends ist die Ohnmacht gegenüber den Behörden, gegenüber widersinnigen Gesetzen, gegen die sich der Zuchthäusler Wilhelm Voigt vergeblich aufzulehnen versucht, ein Faktum, das dauernde Gültigkeit besitzt. So übt dieses Stationenstück mit den eindrucksam gezeichneten Figuren nach wie vor starke Wirkung aus.

Dies um so mehr, als das Burgtheater unter der Regie von Hons Schweikart mit großem Aufwand eine überaus sehenswerte Aufführung bietet. Von den 21 „Bildern“ sind vier berechtigt gestrichen, 15 keineswegs nur angedeutete Dekorationen von Lois Egg folgen in auffallend raschem Wechsel. Die norddeutschen Idiome werden von den norddeutschen Ensemblemitgliedern und Externisten, die 62 fast ausschließlich norddeutsche Gestalten wiederzugeben haben, erfreulich überzeugend gesprochen. Man fragt sich nach diesem Abend, wieviele österreichische Burgschauspieler wir eigentlich haben? Werner Hinz beeindruckt als Voigt vielleicht noch stärker als seinerzeit Werner Krauss, und zwar durch seine Schlichtheit. So gut wie sämtliche anderen Rollen sind deckend besetzt.

*

Ist Ibsens Schauspiel „Nora“, das im Akademietheater aufgeführt wird, veraltet? Es gibt da Mißverständnisse. Wie ein gereizter Tiger fuhr Strindberg „gegen diesen Gallert, der Nora“ heißt los. Er nannte Ibsens Gestalt eine Puppe, in deren Körper Sägespäne seien, im Kopf habe sie gar nichts, sie sei ein „verrücktes Weib mit schönen Waden“. Strindberg, in ständig gespannter Beziehung zu den Frauen, fühlte sich offenbar persönlich getroffen, „Nora“ ist ein scharfer Angriff gegen den Mann.

Dieser Helmer erweist sich als ein Egozentriker, für den die Frau kein Eigendasein hat. Die ganze Kraßheit dieser Einstellung kommt heraus, als er sich durch die von seiner Frau gefälschte Unterschrift auf einem Schuldschein in seiner Existenz bedroht glaubt, wobei er völlig blind dafür ist, daß sie es tat um durch geliehenes Geld seine gefährdete Gesundheit zu retten. Wie er sich da ihr gegenüber verhält, entblößt völlig seine männliche Ichvergötzung. Dieser Helmer ist kein Fossil, er steckt, nicht immer verdrängt, auch heute noch in so manchem Mann.

Völlig falsch ist es zu behaupten, Nora sei ein großes Kind, und es werde ihre Wandlung zur Frau, zur Eigenpersönlichkeit gezeigt. Wenn sie sich als „kleine Lerche“ gehabte, ist das nichts anderes als ein Verhalten, durch das sie schon beim Vater und beim Gatten Erfolg hatte. Sie spielte diese Rolle. Die Nora des Anfangs und des Schlusses sind keine Gegensätze, es muß in der Darstellung von der ersten Szene an das „Vögelchenhafte“ als etwas nur Äußerliches spürbar sein. Der Mann wird in diesem Stück angeklagt, das kindlich Weibchenhafte der Frau zu fördern, damit er seine Überlegenheit behauptet.

In der Aufführung unter der Regie von Gerhard F. Hering herrscht vorwiegend eine lastende Stimmung, wodurch Noras Entschluß, Mann und Kinder zu verlassen, vorgebaut wird. Das gespielt Weibchenhafte fehlt Elisabeth Orth als Nora, aber sie macht das Leichtsinnige glaubhaft. Die Gestalt fällt nicht auseinander, bleibt aber im Lauf des Abends etwas monoton. Walther Reyer bietet als Helmer Züge lehrerhafter Überlegenheit, Eva Zilcher ist als Frau Linde ganz Besorgtheit. Für den Dr. Rank wirkt Joachim Bissmeier doch zu jung, Rudolf Melichar setzt als Krogstadt verhaltene Energie ein. Günter Walbeck entwarf einen dezent vornehmen Wohnraum.

• Die erste DDR-Kulturwoche in Schweden hat in der nordschwedischen Stadt Umeaa stattgefunden. Außerdem wurde eine Ausstellung über Albrecht Dürers Werke, über DDR-Theater, Plakatkunst und über historische Bauten in der DDR gezeigt.

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