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Dreißig Jahre neue Musik
Das Konzert am vergangenen Freitag im Großen Musikvereinssaal, das die Musikalische Jugend mit dem Jeunesse-Chor und der ORF mit seinem Chor und Orchester unter der Leitung von Milan Horvat gemeinsam veranstalteten, illustrierte auf eindringliche Weise, ohne jedoch didaktisch zu wirken, die Entwicklung der neuen Musik innerhalb der letzten dreißig Jahre.
Das Konzert am vergangenen Freitag im Großen Musikvereinssaal, das die Musikalische Jugend mit dem Jeunesse-Chor und der ORF mit seinem Chor und Orchester unter der Leitung von Milan Horvat gemeinsam veranstalteten, illustrierte auf eindringliche Weise, ohne jedoch didaktisch zu wirken, die Entwicklung der neuen Musik innerhalb der letzten dreißig Jahre.
Die Variationen für Orchester op. 31 sind dias erste große Orchesterwerk, in dem Schönberg seine neue Technik anwendet. Er tut dies aber nicht nur mit Konsequenz, indem er alle 48 Veränderungsmöglichkeiten der Reihe ausnützt, sondern auch mit Phantasie und künstlerischem Gelingen. Es fehlt weder an Plastizität noch an Abwechslung und Klang- 1 r^-ÖAi*äticit’föwnäl- sind die’von einer Introduktion (mit dem Reihen- und dem B-A-C-H-Thema) und einem Finale umschlossenen neun Variationen durchaus mit dem Ohr zu erfassen. — Übrigens war es Wilhelm Furtwängler, der den nach Berlin übersiedelten Schönberg ermunterte, das 1926 in Wien begonnenen Werk zu vollenden und der es einem verblüfften Publikum am 2. Dezember 1928 in der Berliner Philharmonie vorführte.
Luigi Nono, Jahrgang 1924, hat die Durchorganisation des Materials auf die Spitze getrieben und steht, auch was sein politisches Engagement betrifft (für den kommunistischen Osten, besonders für Nordvietnam und Kuba, wo er neue Musikschulen gegründet hat und leitet), in vorderster Front. Der Gefahr des Konstruktivismus entgeht er durch eine alles durchpulsende, gleichsam ständig vibrierende Erregung, die in seinen Instrumentalwerken oft zu völlig unerwarteten dynamischen Explosionen führt. Am stärksten und überzeugendsten ist Nono immer dann, wenn er sich am dichterischen Wort Gleichgesinnter entzündet. In „La victoire de Guernica" sind es Verse Paul Eluards, die durch das berühmte Gemälde Picassos angeregt wurden. Die Welt der Ruinen und der Minen wird mit grellen, schneidenden, die der Frauen und Kinder in den zartesten Farben dar- gestellt. Die Schlußworte „Wir werden darüber siegen!“1 klingen freilich nicht sehr hoffnungsvoll…
Wir haben dieses Werk zum erstenmal in Wien gehört; Schönbergs Orchestervariationen hingegen sind nicht unbekannt, und wir erlebten schon präzisere, durchsichtigere und überzeugendere Wiedergaben, als die hier besprochene.
Nonos Partitur ist 1954 entstanden. In jenen Jahren kam der gleichaltrige Györgi Ligeti zu der Erkenntnis, daß die serielle Technik verbraucht sei: In dem allzudichten Gewebe und Stimmengeflecht, das jede persönliche Eigenart überwuchert, in dem es keine Spannung und Entspannung mehr gebe, weil der Gegensatz von Konsonanz und Dissonanz aufgehoben ist, sei nichts Einzelnes mehr auszunehmen, das heißt man könne es nicht mehr so hören, wie es konzipiert wurde: das Ohr ist überfordert. Ligeti versucht, erstmalig mit den 1958/59 entstandenen „Apparitions für Orchester“ etwas Neues, und zwar mit Hilfe der
Klangfarben. Er hat die Vorstellung von weitverzweigten, mit Klängen und zarten Geräuschen ausgefüllten Labyrinthen, in denen es freilich auch harte Felsbrocken gibt: grelle Schlagwerkeffekte und Sforzato- Akkorde. Diese Technik hat Ligeti später mit solcher Virtuosität gehandhabt, daß die frühen „Apparitions“ ein wenig flau und schülerhaft klingen. Aber das mag zum Teil auch an der Wiedergabe gelegen haben. Als Dokument sind sie jedenfalls interessant genug, um in einem solchen Rahmen vorgeführt zu werden.
Bartoks „Cantata profaną“, 1930 entstanden, hat andere Quellen. Der auf einer rumänischen Ballade basierende Text von den „Zauberhir- schen“, von denen auch ungarische Volkslieder zu berichten wissen, ist folkloristischen Ursprungs. Aus diesem reinen, kühlen Quell hat Bartok sein Leben lang geschöpft. Aber er hat dazu eine sehr eigenständige, moderne Musik geschrieben und seinen Protest gegen die Unnatur und Freiheitsberaubung jeder Art hineingelegt. Dem Chor ist die Rolle des Erzählers zugewiesen. Der dramatische Dialog zwischen dem Vater und seinen neun Söhnen, mit denen er früher die wilden Hirsche jagte und die dann selbst in Zauberhirsche verwandelt werden, ist einem Tenor und einem Bariton anvertraut. Peter Baillie und Reid Bunger waren die Solisten. Und obwohl Bartók mit der oben aufgezeigten Entwicklung — von Schönberg zu Ligeti — nicht viel zu tun hat (Schönberg war bereits 1951 gestorben), gehört dieses Vokalwerk zu den harmonisch avan- ciertesten Kompositionen des ungarischen Meisters: es steht zwischen dem fredtonalen 4. Streichquartett und dem revolutionären 2. Klavierkonzert. Erst die letzten Takte münden in gewohnten Harmonien. (Das besprochene Konzert ist am 22. März um 20 Uhr im Sender ö I zu hören.)
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