7007080-1987_46_07.jpg
Digital In Arbeit

Dreiteilung Jerusalems

Werbung
Werbung
Werbung

Einer der größten politischen Erfolge Israels im Sechs-Tage-Krieg war die Wiedervereinigung Jerusalems. Häufig wiesen deutsche und israelische Politiker, mit Augenmerk auf Berlin, auf diese Wiedervereinigung hin. Nun droht Jerusalem zwar keine politische Teilung, de facto besteht aber eine Art Dreiteilung der Stadt.

Laut jüngster Statistik leben in Jerusalem heute rund 500.000 Einwohner. Ein Viertel von ihnen sind Araber, ein weiteres Viertel

strenggläubige („ultra-orthodo-xe“) Juden, die zum Beispiel keinen Militärdienst leisten und den Staat nicht anerkennen wollen, und nur knapp die Hälfte sind sozusagen „normale“ Staatsbürger mit Rechten und Pflichten wie jeder andere — darunter übrigens ein Teil von religiösen Juden, die sich nicht mit dem Extremismus der Ultra-Orthodoxen identifizieren.

Ist diese Situation heute an sich

für einen „Normalbürger“ bereits mehr als unangenehm, dürfte sich diese Tendenz in Zukunft eher verschlechtern. Denn die Geburtenrate sowohl bei den Arabern als auch bei den Ultra-Orthodoxen ist im Steigen begriffen, die der „Nicht-Religiösen“ im Fallen. Hinzu kommt, daß ein Großteil der Neueinwanderer, besonders aus den USA, gerade den ultra-or-thodoxen Kreisen angehört, die sich als neuen Heimatort Jerusalem ausgesucht haben.

So gesehen wird der Druck auf diejenigen, die nicht den ultra-or-thodoxen Kreisen angehören, ständig größer. Autos werden am Sabbat mit Steinen beworfen, sogar Ambulanz-Wagen, die Kranke in Hospitäler zu bringen haben — der öffentliche Verkehr ist total lahmgelegt, Kinos und Vergnügungsstätten sind geschlossen, Frauen in kurzärmeligen Kleidern werden als „Huren“ beschimpft.

Eine Abwanderung von vielen Hunderten, besonders Jüngeren, nach Tel Aviv wird in den letzten Jahren verzeichnet, Gerade dadurch aber wird die Position sowohl der Araber als auch der Ul-

tra-Orthodoxen in Jerusalem nur gestärkt. Schon gibt es Horror-Visionen, daß anstelle des weltaufgeschlossenen Bürgermeisters Teddy Kollek ein ultra-orthodo-xer antizionistischer Bürgermeister mit Hüfe der Stimmen der Araber gewählt werden könnte. In einem solchen Fall könnte Jerusalem zu einer Art iranischen Kom degenerieren, in dem es nur Platz für „wahre Gläubige“ gäbe.

Schon hat der arabische Journalist Hana Siniora einen Versuchsballon steigen lassen, genau in diese Richtung. Er wurde allerdings bald von der PLO zurückgepfiffen. Im Bereich des Unmöglichen liegt die ganze Überlegung also durchaus nicht.

Die „Schlacht“ um Jerusalem wird von Straße zu Straße, von Viertel zu Viertel geführt. Immer weiter hinein schieben sich ultraorthodoxe kinderreiche Familien in Viertel, die bisher von „weltlichen“ Juden bewohnt waren, und zwingen diese, sich nach Wohnungen in einem anderen Viertel umzuschauen.

Noch ist Jerusalem für den Zionismus nicht verloren. Die Resignation im zionistischen Lager ist aber groß. Denn die Aggressivität

der Ultra-Orthodoxen, die bei Demonstrationen bis zu 10.000 Personen aufbieten können, nimmt von Woche zu Woche zu.

Anhand einer Karte, die der Geograph Elischa Efrat nun veröffentlichte, lassen sich einwandfrei klar drei verschiedene Wohngebiete in Jerusalem erkennen — mit jeweils einigen kleinen „Enklaven“.

So nimmt es nicht wunder, daß man bereits begonnen hat, über eine Art Dreiteilung der Hauptstadt zu sprechen, in der die Ultra-Orthodoxen ihren strengen Glaubens- und Lebensweisen nachgehen könnten, die weniger Religiösen sich nicht von ihnen belästigt fühlen müßten, während die arabische Bevölkerung ohnedies ziemlich kohärent zusammenwohnt.

So steht Israel heute vor einer äußerst schmerzlichen Entwicklung. Niemand kann gegenwärtig mit Bestimmtheit voraussagen, ob Jerusalem in allernächster Zukunft noch die Richtung einer westlich-modernen Stadt beibehalten oder aber in einem ultraorthodoxen, beinahe mittelalterlichen Alltag versinken wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung