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Droht ein neuer Bürgerkrieg:?

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Im Libanon hat die Rücknahme der Demissionsdrohung von Präsident Elias Šarkis nur zu vorübergehender Entspannung geführt. Die angeblich von Heckenschützen der Kataeb provozierten Beschießungen christlicher Viertel Beiruts durch syrische Einheiten der arabischen „Friedenstruppe“, gegen die der sonst machtlose libanesische Staatschef mit seinem Rücktritt protestieren wollte, haben schon eine Woche nach seiner Funk- und Fernsehbotschaft vom 15. Juli, in der Šarkis das Verbleiben im Amt bekanntgab, aufs Neue begonnen

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Im Libanon hat die Rücknahme der Demissionsdrohung von Präsident Elias Šarkis nur zu vorübergehender Entspannung geführt. Die angeblich von Heckenschützen der Kataeb provozierten Beschießungen christlicher Viertel Beiruts durch syrische Einheiten der arabischen „Friedenstruppe“, gegen die der sonst machtlose libanesische Staatschef mit seinem Rücktritt protestieren wollte, haben schon eine Woche nach seiner Funk- und Fernsehbotschaft vom 15. Juli, in der Šarkis das Verbleiben im Amt bekanntgab, aufs Neue begonnen

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Beirut mit seinem trotz Ruinen schon wieder geschäftigen Treiben wird von der gleichen Lähmung wie in den Bürgerkriegsjahren 1975/76 befallen. Nur auf dem Flugplatz geht es hektischer zu denn je: Wer nur irgendwie kann, verläßt Stadt und Land, oder schickt wenigstens Frauen und Kinder nach Zypern und Amman, Kairo und Bagdad, Europa und Ubersee.

Nicht einmal der Norden, dessen christliche Bergdörfer den Bürgerkrieg fast unbeschadet überstanden hatten, ist länger eine „heile Welt“. Das gilt vor allem für das maronitische Kemland zu Füßen der Zedern, die sogenannte „Qadissa“ (Heilige) der Kirchen und Klöster auf den Anhöhen über der von Tripoli heraufziehenden Schlucht von Zghorta und Ehden. Hier hat sich seit der Ausrottung fast der gesamten Familie des zghortiotischen Altpräsidenten Suleiman Frandschie durch ein Mordkommando der ebenfalls maronitischen Kataeb ein Staat im Staate Libanon herausgebildet. Jeden Abend wiederholt Frandschies Privatsender „Radio Ehden“ das nach der Mordnacht an seinen Rivalen Scheich Pierre Dschumail und dessen Kataeb-Milizen gerichtete Ultimatum, sich aus dem Nordlibanon zurückzuziehen oder zu sterben.

Im Norden verfolgt und in Beirut beschossen - im Südlibanon bleiben die Kataeb, die auch als „Phalangisten” bekannte äußerste Rechte der Maroni- ten, das Zünglein an der Waage zwischen Palästinensern und UNO-Trup- pen, Linksmuslimen und ersten Einheiten der neuen libanesischen Armee.

Das erste Bild eines unmittelbar bevorstehenden Kampfes aller gegen alle, in dem sich auch die libanesischen Christen untereinander zerfleischen,

trügt jedoch. In dem scheinbaren Chaos eines sich anbahnenden neuen Bürgerkrieges sind immer deutlicher neue Fronten zu erkennen, die diesmal quer durch die’konfessionellen Lager laufen, die einander in den Kämpfen vor zwei und drei Jahren gegenübergestanden waren. Jetzt scheinen die sozialen Gegensätze die Oberhand zu gewinnen, die den ersten Bürgerkrieg eigentlich auch verursacht, in ihm aber nicht ausgetragen, sondern vom Gruppenpatriotismus überlagert worden waren.

Das neue Bündnis Suleiman Frandschies mit den hauptsächlich drusi- schen „Progressiven Sozialisten“ ist durch die Tatsache erleichert worden, daß auch deren Führer, Walid Dschumblat, Leidtragender des politischen Mordterrors ist, im März 1977 seinen berühmten Vater Kamai Dschumblat bei einem Anschlag verloren hat. Der Kondolenzbesuch, den Walid Mitte Juli an der Spitze einer Delegation der Progressiven und der mit diesen verbündeten „Nationalen Bewegung“ dem Altpräsidenten in Zghorta abgestattet hatte, ist inzwischen zum Knotenpunkt für eine neue und überkonfessionelle politische Gruppierung geworden. Deren Unterstützung für Syrien geht bis zur Gutheißung des Artilleriebeschusses der vollgedrängten christlichen Wohnviertel in der Hauptstadt, da dort der alte Dschumail und der junge Dany Schaamun den Ton angeben.

Kein Wunder, daß sich diesem Bündnis Zghortioten-Drusen unter dem Motto „Einiger Libanon mit Syrien gegen Israel“ selbst Frandschies einstiger Widersacher, der sunnitische Altministerpräsident Raschid Karame, angeschlossen hat. Das

Triumvirat Frandschie-Dschumblat- Karame ist schon für viele Libanesen Symbol für eine wieder bessere Zukunft nationaler Eintracht, von sozialer Gerechtigkeit und Wohlstand geworden. Präsident Šarkis soll hauptsächlich deshalb von seinem Rücktrittsgedanken wieder abgekommen sein, weil dann eine Machtergreifung des Kleeblatts mit syrischer Unterstützung zu befürchten gewesen wäre.

Unterdesseh versuchen in Beirut Šarkis und sein Regierungschef Selim al-Hoss einen verzweifelten Wettlauf mit der Zeit. Nachdem es weder Außenminister Fuad Butros noch dem schiitischen Partner der Regierungskonstellation, Parlamentspräsident Kamel al-Assad, gelungen ist, die Syrer von ihren Angriffen auf den christlichen Ostteil Beiruts abzuhalten erblicken sie im raschesten Wiederaufbau der libanesischen Armee den einzigen Ausweg aus dem dauernden Kleinkrieg zwischen syrischen Besatzern und christlichen Heimwehren im Norden, zwischen Palästinensern und Kataeb im Süden.

Seine „Aufrüstungspläne“ haben Šarkis Widerspruch und Kritik von fast allen Seiten eingebracht, finden totale Unterstützung nur bei den Nationalliberalen. Selbst die Kataeb halten mit ihrem Beifall zurück. Schaamun junior weiß genau, daß wederBei- rut noch Deir al-Qammar im Ernstfall gegen die Syrer gehalten werden können und will vor allem einmal die „Friedenstruppe“ aus dem Land haben. Dschumails Position ist nur noch im Süden stark, wo seine Kataeb die von den Israelis übernommenen Stellungen, die sie den UNO-Soldaten verweigerten, der libanesischen Armee sehr wohl übergeben müßten.

Abgesehen von der armenischen Minderheit, in deren Namen sich Exminister Osseiran ebenfalls für den Sarkis-Plan ausgesprochen hat, stellen sich alle anderen Kräfte gegen den Armeeeinsatz und akzeptieren das Verbleiben der Syrer. So die „Islamische Sammlung“ von Altmiriisterprä- sident Taki ed-Din Solh, die „Front zum Schutz des Südens“ und der so- gannnte „Iskaff-Block“. Auch für sie ist Damaskus die eigentliche Hauptstadt das Libanon, wo sie ihre Wünsche verbringen und Weisungen ent- gegenehmen. Šarkis wird es hoffentlich nicht zu bereuen haben, unter diesen für die libanesische Eigenständigkeit so tristen Vorzeichen doch noch im Amt geblieben zu sein!

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