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Drohung und Realpolitik

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Der vom SVP-Obmann Roland Riz groß angekündigte Termin für den Paketabschluß am 23. November ist verstrichen und nichts ist geschehen - außer einer für viele Südtiroler enttäuschenden Landesversammlung, der 39. in der Geschichte der Südtiroler Volkspartei (siehe auch Klipp & Klar, FURCHE 48/1991).

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Der vom SVP-Obmann Roland Riz groß angekündigte Termin für den Paketabschluß am 23. November ist verstrichen und nichts ist geschehen - außer einer für viele Südtiroler enttäuschenden Landesversammlung, der 39. in der Geschichte der Südtiroler Volkspartei (siehe auch Klipp & Klar, FURCHE 48/1991).

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Noch vor wenigen Monaten hatte Riz der italienischen Regierung mit energischen Worten nahegelegt, das seit Jahrzehnten fällige Südtirol-Paket endlich abzuschließen, damit man Österreich, in seiner Rolle als Schutzmacht, grünes Licht für die Streitbeilegungserklärung geben könne. Es klang fast wie ein Ultimatum, als Riz sagte: „Bis zum 23. November soll das Paket fertig sein, oder..." Was im Falle einer Nichterfüllung dieser zeitlich begrenzten Forderung geschehen würde, hat der SVP-Obmann nie sehr klar definiert.

Vom völkerrechtlichen Standpunkt gibt es, soferne man in der Legalität bleiben will, kaum Auswege. Obwohl von Selbstbestimmung sehr viel die Rede war - besonders seit der Kundgebung vom 15. September auf den Griesberg-Wiesen nahe dem Brenner -, ist es nicht gut vorstellbar, daß Südtirol seine Unabhängigkeit als „Freistaat Tirol" ausruft und sich von Rom loslöst - ganz abgesehen davon, daß die italienische Regierung auf einen solchen Schritt mit militärischer Intervention reagieren würde. Damit hätten wir einen Krisenherd mehr in Europa. Was das bedeutet, hat man uns in den letzten Monaten in Kroatien vorexerziert.

Weil sie sich auch ein solches Szenario lebhaft ausmalen können, haben sowohl Riz als auch der Südtiroler Landeshauptmann Luis Durnwalder den Weg der Realpolitik eingeschlagen: wenn nicht mehr herauszuholen ist als das, was man bis jetzt erreicht hat, dann muß man sich damit abfinden. Man muß andere Wege suchen, um doch noch so vorteilhaft wie möglich auszusteigen, „ohne das Gesicht zu verlieren", wie Riz bei einer Pressekonferenz andeutete.

Die Gefahren für das Autonomie-Statut Südtirols sind mannigfach. Wenn in diesem Moment die SVP-Politiker, inklusive der grauen Eminenz, des früheren Landes- und Parteiobmannes Silvius Magnago, an die Besonnenheit ihrer Anhänger appellieren, so ist das nicht von ungefähr. Die Regierung Andreotti hat in den letzten Wochen Verständnis für die Sorgen der Südtiroler gezeigt, aber wie lange sich diese Regierung noch halten kann, kann niemand voraussagen. Deshalb wäre es günstig, das Paket in einer sehr nahen Zukunft abzuschließen. Neuwahlen könnten auch in Italien, wie in verschiedenen anderen europäischen Ländern, einen Rechtsruck bringen. Das hieße in diesem Fall eine Verstärkung der faschistisch angehauchten MSI/DN (Movimento Sociale Italiano/Destra Nazionale). Erst kürzlich mokierte sich der Landtagsabgeordnete Luigi Montal i in einem Pressegespräch über die Zielsetzungen der S VP, die er als lächerliche Hirngespinste ohne Bezug auf das ursprüngliche Gruber-Degasperi-Abkommen hinstellte.

Schon seit 1988 werden im italienischen Parlament ständig Gesetze verabschiedet, mit denen die schon bestehenden Zusagen an die Region Südtiröl-Trient ausgehöhlt werden. Und es ist nur ein schwacher Trost, daß die Zentralregierung in Rom mit den anderen autonomen Regionen -wie dem Aostatal, Friaul-Julisch Venetien, Sizilien und Sardinien — nicht besser verfährt, im Gegenteil.

Auch die Wirtschaftslage Italiens tendiert immer mehr zum kompletten Bankrott. Sowohl die EG-Experten in Brüssel, als auch der Präsident der deutschen Bundesbank, Otto Pohl, haben vernichtende Urteile über das Management der italienischen Geschäfte und Finanzen abgegeben. Seit Jahren läßt Rom aber hohe Zulagen Südtirol zukommen - als eine Art Schweigegeld, um die Gemüter durch einen künstlichen Wohlstand zu beruhigen. Aber wenn die Staatskassen einmal leer sind, wird es kein Geld mehr für Südtirol geben.

Gerade mit dieser Überlegung argumentiert die oppositionelle „Union für Südtirol", um ihre Utopie eines „Freistaates Tirol" ihren Anhängern schmackhaft zu machen. Als Beispiel für die Lebensfähigkeit eines kleinen Staatsgebildes innerhalb der EG zitieren die Unionsleute Luxemburg. Sie verraten aber nicht, daß allein die Auslandsverschuldung des Jroßher-zogtums über 500 Millionen Dollar ausmacht - trotz Benelux und Wirtschaftsunion mit Belgien.

Ganz außer acht gelassen wird von der „Union" die eventuelle Reaktion Wiens auf einen Freistaat Tirol, der Nordtirol einschließen müßte, um somit die „Unrechtsgrenze" am Brenner abzuschaffen.

Realistischer scheinen uns die Bemühungen der drei Landeshauptleute Alois Parti (Tirol), Durnwalder (Südtirol) und Mario Malossini (Trient), die sich kurz vor der S VP-Landesver-sammlung in Trient trafen. Es war, wie schon im Juni 1989 in Innsbruck, ein Gespräch über gemeinsame Probleme einer Region, die bis 1918 ein einheitlich gewachsenes wirtschaftliches Gebilde war. Es ging darum, die Länderinteressen gegenüber den Zentralregierungen besser zu schützen. Es wurde auch eine Neuregelung und Ausweitung des schon seit Jahrzehnten bestehenden Accordino ins Auge gefaßt. Weitere Probleme, die besprochen wurden, umfaßten den Straßenbau, das Bank- und Kreditwesen, eine engere Zusammenarbeit der Universitäten Innsbruck und Trient, sowie den gemeinsamen Naturschutz im Alpengebiet. Die Verwirklichung des Brenner-Basistunnels soll durch ein TreffenderdreiLandeshauptleutemit den Verkehrsministern der beteiligten Länder (Italien, Österreich und Bayern) beschleunigt werden.

Die Kontakte zwischen den drei Ländern sollen im Rahmen einer ständigen Konferenz zu einer bleibenden Einrichtung werden. In Trient gab es kein Phrasengedresch, wohl aber praktische Anregungen, die für die Zukunft Südtirols von viel größerer Bedeutung sind.

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