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Drückeberger scheuen Opfer

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Die Landesverteidigung - wieder einmal auf dem Prüfstand? Glauben wir, uns vor den Lasten, die die Neutralitätswahrung mit sich bringt, drücken zu dürfen? Darauf antwortet der frühere Armeekommandant.

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Die Landesverteidigung - wieder einmal auf dem Prüfstand? Glauben wir, uns vor den Lasten, die die Neutralitätswahrung mit sich bringt, drücken zu dürfen? Darauf antwortet der frühere Armeekommandant.

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Der Kanzler will mit der ÖVP reden, wie sie eigentlich grundsätzlich zur Landesverteidigung steht — hat er gesagt.

Zum wievielten Male seit dem Staatsvertrag eigentlich? Zuerst waren die Sozialisten de facto gegen ein ernsthaftes Heer und die ÖVP dafür, wenn es so wenig wie nur möglich kostete. Dann, nach 1970, haben die neuen Alleinregie-rer mit der Staatverantwortung auch das „Ja, aber” übernommen, und nach jahrelangen, ebenso grundsätzlichen wie manchmal qualvoll langsamen und umständlichen Diskussionen aller drei Parteien wurde der Landesverteidigungsplan gemeinsam beschlossen.

In dem steht alles Wichtige drinnen, zum Beispiel auch die Luftraumbehauptung als unverzichtbarer Anteil glaubhafter Neutralitätspflichterfüllung.

Und jetzt, nachdem die Bevollmächtigten, die für die Wehrpolitik verantwortlichen Sprecher aller drei Parteien, zum Ankauf von 24 Flugzeugen ja gesagt haben, wollen die Länder nicht.

St. Florian als Neutralitätsapostel.

Und dieses nur mit Leerformeln zu begründende Verhalten wird nun schon wieder einmal Anlaß geben, die militärischen Konsequenzen der Neutralität zu hinterfragen.

Seit der Neugeburt unseres unabhängigen Staates, die zwar nicht formal, aber in der Wirklichkeit untrennbar mit unserer Verpflichtung zur Neutralität verbunden war, geht das schon so. Die Vorteile der Neutralität zum Nulltarif, das wäre halt schön.

Wir wurden frei mit der zunächst versprochenen und dann festgeschriebenen Verpflichtung, via Neutralität einen uns angemessenen Beitrag zur Erhaltung der politischen Sicherheit und Stabilität in der Mitte Europas zu leisten: „mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln”.

Diese Formulierung haben wir selbst gewählt und im Parlament einstimmig beschlossen.

Wie aber das zu erhalten und wie das zu bewahren ist, kann man im kodifizierten Völkerrecht nachlesen, und zudem haben wir— wiederum eigenständig — uns verpflichtet, dies in der Art der Schweiz zu üben.

Derart sind wir halt „leider” verpflichtet, unsere Souveränität als Voraussetzung der Neutralitätsbewahrung nachdrücklich und glaubhaft mit eigenen Mitteln zu beanspruchen: im gesamten österreichischen Territorium, und das reicht nach internationaler Rechtsauffassung bis zirka 20 Kilometer über dem Boden.

Kaum aber verlangt dieses „Pflichtenheft” Opfer, dann beginnen wir flugs mit einer neuen Grundsatzdebatte über Sinn und Zweck der Landesverteidigung. Auf Völkerrecht, Verfassungsgesetz und internationales Normverhalten nehmen wir da doch keine Rücksicht. Wir sind ja souverän - die Insel der Seligen eben.

Am Boden haben wir mit Heeresreform und Raumverteidigung einiges getan. Im Luftraum aber hört unsere Neutralität sei 30 Jahren fünf Kilometer über dem Boden de facto auf, weil die ja nur gilt, wenn man sie auch gegen Gewalt beanspruchen kann.

Wir brauchen den Schirm

Ein Beispiel? Zur Zeit des „Prager Frühlings” wurde unser Luftraum in 62 Fällen von fremden Flugzeugen benützt, die einfach einmal kontrollieren wollten, was sich am Boden so tut und was die andere Partei in der Luft tut oder läßt. Leicht vorstellbar, was da hätte passieren können aus unserer Schuld, weil wir selber nicht aufpaßten.

Landesverteidigung ist Bundessache und damit im Zusammenhang auch Souveränitätsbehauptung und Neutralitätswahrung im Gesamtterritorium, also auch im neutralen Luftraum.

Vor den Lasten, die das mit sich bringt, können wir uns aber nicht drücken, weder als Ganzes noch im einzelnen.

Eine Neutralität aber, die uns berechtigt und zu nichts verpflichtet, einen Schönwetterstatus also, gibt es nicht. Brauchen tun wir sie wirklich nur bei Schlechtwetter — als Schirm. Und der Regen kommt von oben.

Wir können uns das nicht leisten? Alle in Europa können es — außer San Marino und Monaco.

Aus gegebenem Anlaß: Wer regiert, hat die schwere Last übernommen, Entscheidungen, die in seiner Kompetenz liegen, zu verantworten. Dazu haben wir ja unsere Verfassung.

Als Opposition aber zu verlangen, daß alle Sachfragen von der gegnerischen Regierung mit ihr konfliktfrei zu lösen seien, geht am Wesen der Demokratie vorbei.

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