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Drückende ,Altlast’

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Obwohl die große Koalition bemerkenswerte Erfolge verzeichnen kann, versagen ihr die Bürger die erwartete Zustimmung. Dafür werden allerlei Begründungen herangezogen, die sicher einiges für sich haben: Es mangle an der richtigen „Umsetzung“, also Werbung, die Skandale „überdeckten“ alles. Natürlich wird da und dort auch hinter vorgehaltener Hand vermerkt, daß die Menschen in ihrem Urteil eben unreif und ungerecht, weil vordergründigen Eindrücken zugeneigt seien. Stichwort: Jörg Haider.

Betrachtet man die Dinge genauer, scheint aber gerade das Gegenteil der Fall zu sein. Bei allem Bemühen der heute Regierenden ist ein Mangel spürbar, der alles andere als Vordergründiges

betrifft und den die Bevölkerung sehr wohl spürt. Es ist das Fehlen langfristiger Perspektiven in der Politik.

Nun könnte diesem Vorwurf sogleich entgegengehalten werden, daß im Arbeitsprogramm der Koalition wichtige Weichenstellungen vorgenommen wurden. Budgetpolitisch etwa durch den über Jahre geplanten Abbau des Defizits, ordnungspolitisch durch Steuerreform und Privatisierung, demokratiepolitisch durch

Schritte verschiedener Art.

So weit, so gut. Hier nahm man Überfälliges in Angriff, beseitigte also offenkundig gewordene Mängel und Ärgernisse. Dies mag vorübergehende Erleichterung ausgelöst haben, welche aber sicher nicht in anhaltender Wählerdankbarkeit zum Ausdruck kommen kann.

Gerade wenn wieder einmal über irgendeine Postenbesetzung gezankt wird oder Politiker zum x-ten Mal Injurien austauschen, dringt die Tatsache in unser Bewußtsein, daß wir nicht mit solchen Sorgen, sondern daß wir vielmehr mit Problemen konfrontiert sind, die nicht weniger als den gesicherten Fortbestand der Nation betreffen. Es geht um die Fragen, die mit dieser Schärfe noch nie in unserer Geschichte auftraten.

Zerstören wir mit unserer heutigen Lebensweise die Lebensgrundlagen für uns und unsere Kinder? Und gleich damit zusammenhängend: Vernichten wir nicht auch die innere Lebenskraft des Volkes durch schreckliche Kinderarmut und nachfolgende Vergreisung? Wird Österreich letztlich zu einem riesigen Altersheim, das der nachfolgenden jüngeren Generation nur noch als einzige,Altlast“ am Halse hängt?

Bedrohungen von elementarem Charakter sitzen sehr tief im Bewußtsein der Menschen. Sie lassen uns nicht los, auch wenn sie immer wieder verdrängt werden. Wir haben es zunehmend mit Ängsten zu tun, die—auch im politischen Reagieren - teils Aggression, teils Resignation und Verweigerung auslösen.

Eine solche Situation schreit geradezu nach einer energischen und unkonventionellen Politik. Gefragt wäre ein Vorgehen, das rücksichtslos alle kleinlichen Streitereien zur Seite schiebt und sich ganz aufs Wesentliche konzentriert. Genau das hat man sich ja auch von einem Zusammenarbeiten der großen politischen Kräfte in dieser Gesetzgebungsperiode erwartet.

Immer weniger ist freilich davon zu spüren. Wohl wurstelt sich eine engagierte Umweltministerin vor aller Augen ab, aber es bleibt bei der Politik der (zu) kleinen und zögernden Schritte. Sie stößt überall auf fehlende Kompetenzen, gegenläufige Interessen und lebensgefährliche Bequemlichkeit.

Noch ärger ist es um die Sicherung des Generationenvertrages bestellt. Jedes Kind weiß heute schon, daß das heutige System der

Altersvorsorge nicht mehr lange finanzierbar ist. Das Koalitionsvorhaben der Pensionsreform ist im Morast der Gruppenauseinandersetzungen steckengeblieben. Eisenbahnerfunktionäre kämpfen um „wohlerworbene Rechte“ - nicht bedenkend, daß sie sich genau der Sorge entledigen konnten, welche die Nation hat, nämlich im eigenen Kreis die erforderlichen Mittel aufzubringen. Wir haben ja niemanden, der für uns zahlt.

Bleiben wir bei der verhängnisvollen Überalterung: Warum wird nicht bedacht (und auch nicht so gehandelt), daß es wirklich nur einen einzigen Ausweg gibt, nämlich das Steuer energisch in Richtung kinderfreundlicher Politik herumzureißen? Daß dies letzten Endes nichts nützen würde, ist nur eine faule Ausrede. Liegt es doch auf der Hand, daß die traurige und tausendfache Entscheidung gegen das Kind vorwiegend aus beruflichen und wirtschaftlichen Gründen erfolgt. Bequemlichkeit und mangelnder Lebensmut seien gleich danebengestellt.

Auch Österreichs Familienpolitik trägt — im wahrsten Sinn des Worts - an Altlasten. Ein Viertel ihrer wichtigsten Einnahmsquelle entzog man ihr zugunsten der

Pensionsfinanzierung. Eine große Steuerreform ging ohne die große Entlastung derer, die mit ihren Kindern für die Zukunft Vorsorgen, vorbei. Besteuert wird nicht

die Familie nach ihrer geringeren Leistungskraft, sondern der einzelne ohne wirkliche Rücksicht darauf, wie viele von seinem Einkommen leben müssen. Wer Wirtschaftskapital investiert, erhält beträchtliche Vorteile, wer gleiches mit Humankapital tut, geht leer aus. Politiker, die solches durchsetzen, handeln angesichts einer aussterbenden Bevölkerung nicht nur verantwortungslos, sondern auch dumm. Und das spüren die Menschen eben.

Man braucht sich ja nur anzusehen, wie Familienfragen im Parlament diskutiert werden. Kleinliche Eifersüchteleien zwischen Frauen, die sich am Arbeitsplatz einerseits und in der Familie andererseits „selbstverwirklichen“, beherrschen im Grunde genommen die Szene. Steuerermäßigungen für Familienerhalter scheitern daran, daß sie naturgemäß von denen am meisten genützt würden, die hohe Abgabenlasten tragen. So sägt sich die Neidgenossenschaft den Ast ab, auf dem sie sitzt. Die staatspolitische Sicht geht verloren.

In den großen Lebensfragen der Republik fehlt es an energischem Handeln. Der zähe Stellungskrieg und der kleinliche Grabenkampf der Politik scheinen alle Kräfte aufzuzehren. Die Versäumnisse werden sich fürchterlich rächen. Die Wähler — so wird es immer deutlicher - auch.

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