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„Dubcek — wer ist das?“

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Die drei uniformierten Polizisten vor dem Haus Ulica Miiikovä Nr. 49 im früher vornehmen Villenviertel von Preßburg sind höflich, aber energisch. Sie wüßten schon, weshalb sie hier seien, mit Revolvern und Sprechfunkgeräten ausgerüstet, Tag und Nacht. Aber erzählen dürften sie es halt niemandem. Weiß ja ohnehin jeder Bescheid, nämlich, daß hinter dem graubraunen, abbröckelnden Verputz der vom Regime in Prag heute wohl meistgehaßte Mann sitzt: Alexander Duböek. (Ein Polizist: „Wer ist das?“)

Ganz so, wie es das Regime will, ist es um Alexander Duböek nicht bestellt. Gustav Husdk wiegte sich in Sicherheit. Die Erinnerung an die 200 Tage des Prager Frühlings schien immer mehr zu verblassen, die CSSR ging zum „sozialistischen, normalisierten“ Alltag über. Duböek schwieg, sechs Jahre lang. Manchen seiner früheren Mitstreiter erschien diese Ergebenheit in die Reali-

täten als Schwäche. Übersehen wurde dabei aber die Dickköpfigkeit des Slowaken. Zwar hat er auf politische Aktivitäten verzichtet, doch sich gleichzeitig bis heute mit Erfolg geweigert, die von ihm abverlangte Selbstkritik zu üben.

Was den früheren Apparatschik Duböek, der nur widerstrebend Held der Reformbewegung geworden war — als deren geistigen Vater man den verstorbenen Josef Smrkovsky ansprechen kann — nun bewogen hat, sein Schweigen zu brechen, kann nur vermutet werden. Sein letzter Brief an die Bundesversammlung <&#9632; der CSSR ist wahrscheinlich nur eines von vielen Schreiben, die er in den letzten Jahren an alle möglichen Institutionen und Behörden gerichtet hat.

Als Josef Smrkovsky im Jänner des Vorjahres starb, schrieb Duböek an dessen Witwe einen privaten Brief. Auch darin zeigte er, daß er sich eigentlich von den Sowjets so-

wohl, als auch von den Tschechoslowaken unverstanden fühlte und bis heute noch fühlt; „Bis heute kann ich nicht verstehen, wie unsere Verbündeten (die Sowjetunion, Anm. d. Red.) den unwahren und entstellenden Berichten... in der Zeit nach dem Jänner... Glauben schenken konnten.“

Offenbart sich hier ein politisch reiner Tor? Grenzt eine solche Anbiederung an die Genossen im Kreml, die offenbar nur „schlecht informiert waren“ und deshalb Panzer nach Prag rollen ließen, nicht an eine gefährliche Naivität?

Feststeht Duböeks unerschütterlicher Glaube an den Kommunismus, den er wohl von seinem Vater, einem idealistischen (und kommunistischen) slowakischen Tischler geerbt hat. Als der für seine Kompromißbereitschaft bekannte Duböek im Jänner 1968 Antonin Novotny als Parteichef ablöste, brachte er kaum die notwendigen Voraussetzungen für dieses Amt mit, er galt als unbeschriebenes Blatt. (Im Gegensatz zu Smrkovsky, Ota Sik oder Jifi Hajek.) Die Reformbewegung erblickte in ihm eigentlich nur eine Übergangslösung bis zum nächsten Parteitag. Man wußte, daß er in der Sowjetunion erzogen worden war und hoffte, er könne mit Moskau geschickt taktieren.

Dabei bewegte er sich stets auf dem schmalen Grat zwischen den drei Flügeln der Partei, dem liberaldemokratischen mit dem vorsichtigen Humanisierungswillen, den radikaler nach Demokratisierung verlangenden Intellektuellen und, last, not least, den „orthodoxen“ Moskautreuen. Duböek geriet in eine echte Führungskrise. Entscheidungen zu fällen, wie es sein Amt stündlich von ihm verlangte, flt ihm schwer. Er zögerte. Er zögerte auch noch am 21. August 1968, alt er im Gebäude des Zentralkomitees ausharrte, bis er verhaftet wurde.

Und dennoch — in dieser Beziehung muß man im Westen das

Duböek-Bild revidieren — hielt er an seiner eigentlichen Auffassung von der führenden Rolle der Sowjetunion im Weltkommunismus auch nach den schlimmsten Demütigungen in Moskau fest. Ein Phänomen, das man übrigens nicht nur an ihm, sondern an fast allen älteren Kommunisten in Ost und West beobachten kann. Moskaus Spruch ist unanzweifelbares Dogma, komme, was da wolle. Apparatschikdenken.

Auch in seinem jüngsten Brief an die Nationalversammlung findet sich kein Wort gegen die Sowjetunion. Im Gegenteil: Duböek warnt vor den Gefahren des Antisowjetismus in der CSSR, die aus dem Machtmißbrauch des Husäk-Regimes leicht entstehen könnte. Daraus kann man schließen, daß sich Alexander Duböek heute noch für eine personelle Alternative hält, für den Fall, daß der Kreml sich entschließt, das Husäk-Regime wegen erwiesener Unfähigkeit zu stürzen... Steht er vielleicht nicht auf Initiative Moskaus, sondern lediglich Gustau Husäks seit rund 14 Tagen unter Hausarrest in Preßburg? Die Frage klingt weniger provokant, wenn man Gerüchten Glauben schenken will, wonach Duböek im Herbst des Vorjahres von den Kreml-Herren zur Lage in der CSSR konsultiert worden sei.

Die Lage ist nämlich tatsächlich bedenklich. Sabotage und Wirtschaftsverbrechen sind an der Tagesordnung. Güterzüge werden umgeleitet, Frischfleisch wird in Kühlhäusern zurückgehalten, Benzin und Ersatzteile werden verschoben, Devisen unterschlagen. Gustav Husäk, der laut internen Umfragen nur auf einen Rückhalt in knapp 15 Prozent der Bevölkerung zählen kann, ist ebenso, wie seinerzeit Dubcek, nicht imstande, die CSSR so aufzubereiten, wie es den Sowjetführern gefallen würde. Die Heftigkeit, mit der man in Prag auf Kritik und letztlich auch auf Duböeks Äußerungen reagiert hat, beweist nur zu deutlich die tiefe Unsicherheit der Führung.

Dubcek-Haus (in einem Preßburger Villenvorort): Höfliche, aber energische Polizeibewaehung...

Photo: Bock

Ob Duböek seine Rolle als Michael Kohlhaas der tschechoslowakischen politischen Szene weiterspielen wird, erscheint heute als ungewiß. Ein Prozeß gegen ihn würde dem Prestige der CSSR und der Sowjetunion schwer schaden, besonders aber dem Detente-Kurs Breschnjews. Schafft man Dubcek außer Landes, wären die Folgen Proteste und Solidarisie-rungsaktionen, und damit wäre der Skandal ungleich größer. Die folgenden Wochen und Monate werden zeigen, ob die vorerst gewählte Lösung zum Ziel führt oder ob es der „kleinen Eiche“ (Duböek * tschechisch „kleine Eiche“) nicht doch gelingt, sich noch einmal gegen den alles beugenden Sturm zu erheben.

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