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Düsseldorf, Wien und Rom…

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Der erste Monat des Jahres 1971 scheint für christliche Demokraten mehrere Lostage zu enthalten; freilich, entlang einer imaginären europäischen Nord-Süd-Achse mit einigen Temperaturunterschieden.

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Der erste Monat des Jahres 1971 scheint für christliche Demokraten mehrere Lostage zu enthalten; freilich, entlang einer imaginären europäischen Nord-Süd-Achse mit einigen Temperaturunterschieden.

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In Düsseldorf trat diese Woche der außerordentliche Parteitag der CDU zusammen: auf der Tagesordnung steht ein neues Programm, das Klarheit über Ziel und Kuns bringen soll. In einem niederösterreichischen Höhenluftkurort tagte schon letzte Woche die österreichische Volkspartei: Man lieferte wenig Neues über Programm und Politik — dafür um so mehr Verwirrung über die künftigen Personen.

Und in Italien rüstet die Democratia Christiana für die Wahl des Staatspräsidenten — eine entscheidende Weichenumstellung, falls ein Mann der DC zum höchsten Amt der Apenninenhalbinsel gekürt werden soll; und falls nicht ein jederzeit möglicher Bruch die Links-Mitte-Koalition sofort zu Neuwahlen zwingt Zwischen Düsseldorf, Gösing und Rom besteht freilich ein engerer Konnex, als es vordergründig erscheint: Die christlichen Demokraten sind überall in die Isolierung geraten, nachdem allzuviel Selbstsicherheit durch Jahre ein Verrosten der Parteiapparate, ein Verlust ideologischer Basis und eine personelle Erstarrung bewirkt hat. Überall geht es um längst fällige Flurbereinigung und politisches Saubermachen, um neue Zielvorstellungen mit neuen personellen Profilen. Und überall verteidigen Konservative, die von schönen schwarzen Tagen träumen, den Ansturm junger, neuer Technokraten und linker Reformer.

In Düsseldorf sind es die Sozialausschüsse, die eine neue Gesellschaftspolitik der CDU fordern: zusammen mit der Jungen Union und dem Ring Christlich-Demokratischer Studenten eine respektable Feldmacht Das neue Parteiprogramm soll ihre Forderungen zum Ausdruck bringen: • Mehr gesellschaftspolitische Reformen als konservative Außen- und Ostpolitik durch Schlagworte;

• die „gleichgewichtige“ Vertretung von Kapital und Arbeit in den Großunternehmen;

• Erleichterungen für Enteignungen, insbesondere Maßnahmen gegen die Grundstücksspekulation.

Die Junge Union — Stoßtrupp für Parteireform — will, so ihr Vorsitzender Echternach, obligatorische Vorschule, familienunabhängige Bildungsförderung, eine Erweiterung der Mitbestimmung, Steuererhöhung zugunsten staatlicher Großprojekte. Vor allem aber: die Weiterentwicklung der Demokratie als „ein wesentlicher Auftrag im Rahmen unserer Gesellschaftspolitik“.

Wer so ruft (und sich dabei noch glaubwürdig auf päpstliche Enzykliken berufen kann), fordert den Widerspruch taktierender und längst mit Industrie und Handelslobby verbündeter Konservativer heraus. Und tatsächlich: was kann die CDU durch linkes Überholen schaffen? Sowohl bei SPD als auch bei FDP wandert der jüngere Flügel viel konsequenter und auch lärmender nach links.

Es mag in Österreich ein Trost der Volkspartei sein, daß derartig Ideologisches nicht auf der Tagesordnung steht.

Und doch: kann es der Volkspartei erspart bleiben, ein neues Verhältnis zur Gesellschaftsentwicklung zu finden? Kann man weiter die Augen vor der Tatsache verschließen, um wieviel mehr Arbeitnehmer es gegenüber den Selbständigen und Bauern gibt? Spätestens von einem neuen Parteiobmann wird man auch in Österreich klare Worte verlangen: und der Disput zwischen Links und Rechts ist in Wien bloß vertagt — nicht aufgehoben.

Ein neues Grundsatzprogramm — das nunmehr von der Bundesparteileitung an die Parteiöffentlichkeit geht — kann der Startschuß dafür sein. Aber, echt österreichisch, erst die Taten werden die Glaubwürdigkeit einer Neuorientierung dokumentieren. Immerhin enthalten die vielen Papiere der ÖVP vom Wiener Programm des ÖAAB bis zum Klagenfurter Manifest genug Material für eine Selbstdarstellung. Und vom neuen Programm kann man nur wünschen, daß es nicht nur einen wortreichen Schleier über die eigentlichen Probleme zieht.

Italiens Demochristiani haben noch kurze Zeit Schonfrist: der neue Staatspräsident kann nur mit KP- Hilfe in den Quirinal kommen. Amintore Fanfani hat das Feld wohl- vorbereitet: seit Jahren ist der heimliche Duce der Linken in der DC und zusammen mit dem Bürgermeister von Florenz, La Pira, das Brecheisen für ein Arrangement mit den Kommunisten. Das Zentrum der DC wankt: Linkskathöliken stürmen vehement in den lokalen Parteibüros nach vorn, der Vatikan hat Löcher und steht nicht mehr im Lager der Partei-Rechten.

Das alles weist auf neue Zeichen: man mag sich noch so sehr in personellen Disputen ergehen, die Plattform der christlichen Demokraten ist rutschig geworden. Verlassen vom treu gehüteten Wohlwollen kirchlicher Autorität verschwimmen die Prinzipien und halten den lästigen Fragen junger Skeptiker nicht mehr stand: wie halten es die christlichen Demokraten tatsächlich mit der christlichen Sozialreform? Sind sie, müde vom Rangeln um Steuer- protgression und Budgetdefizit, ernährt von den Spenden der Industrie und gewählt von den Bauern und Gewerbetreibenden, zu Interessenkulis geworden? Wo sind die glaubhaften Führer, die nicht mehr die „Väter“ der Wiederaufbaugeneration sind? Barzel, Kohl in Deutschland, Schleinzer, Koren in Österreich, Colombo, Fanfani in Italien — sind sie die charismatischen Retter aus der Partei-Not der siebziger Jahre?

Was sich zwischen den wilden Reformern und den bedächtigen Profis an Auseinandersetzung tut, schmeckt wie bittere Medizin. Aber sie kann die Heilung beschleunigen. Man kann nicht mehr dem Namen nach „christliche“ Politik machen, ohne nach der Legitimation gefragt zu werden. Deshalb wird man sich entscheiden müssen. In Düsseldorf, in Wien, in Rom.

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