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Dunkel um des Lichtes willen

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Christliche Literatur „schildert den Menschen, der den Sinn des Lebens in Gewißheit oder Ungewißheit voll Vertrauen und voll Zweifel” zu verwirklichen sucht, definiert der FURCHE-Wettbewerb für christliche Literatur. Fällt die Entscheidung über Christlichkeit von Literatur heute nicht der einzelne Christ selbst als Leser - etwa der besonders verschlossenen Gedichte von Paul Celan?

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Christliche Literatur „schildert den Menschen, der den Sinn des Lebens in Gewißheit oder Ungewißheit voll Vertrauen und voll Zweifel” zu verwirklichen sucht, definiert der FURCHE-Wettbewerb für christliche Literatur. Fällt die Entscheidung über Christlichkeit von Literatur heute nicht der einzelne Christ selbst als Leser - etwa der besonders verschlossenen Gedichte von Paul Celan?

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Der Versuch einer Klärung des Zusammenhangs von Glauben und Dichtung sei hier stellvertretend anhand von Texten des als besonders „dunkel” und hermetisch geltenden Paul Celan unternommen.

In Schullesebüchern scheint inzwischen die „Todesfuge” des 1970 gestorbenen Lyrikers und Ubersetzers aus Czernowitz auf. Sie bringt in strenger Bildverknüpfung - man meint eine Cellosolosonate zu hören — die „Endlösung der Judenfrage” zur Sprache. Das Gedicht entstand 1945, Celan war Jude, er verleugnet die Erlebnisse nicht, die in seine Dichtung eingingen.

Aber die Signatur des Erlebten müßte noch nicht den Anschein von Hermetik erwecken, wie die Psalmen zeigen, die nach zweieinhalb Jahrtausenden übersetzt und gebetet werden. Eher wird dieser Eindruck mit der unausgesprochenen Bedingung zusammenhängen, die an die Lyrik geknüpft ist: sie braucht Zeit. Wahrnehmen kann man nicht en pas-sant, weder Dinge noch Worte, etwa die im Oktober 1957 entstandenen Verse mit dem Titel „Köln, Am Hof”:

Herzzeit, es stehn die Geträumten für die Mitternachtsziffer. Einiges sprach in die Stille, einiges schwieg, einiges ging seiner Wege. Verbannt und Verloren waren daheim. Ihr Dome. Ihr Dome ungesehn. ihr Ströme unbelauscht, ihr Uhren tief in uns.

Die mechanische Uhrzeit verblaßt vor dem Inhalt der Träume in einer stillen Nachtun der einem ist, als ob es das Schicksal der Verbannung und des Verlassenseins nicht gäbe. In unmittelbarer Nähe des überragenden gotischen Baus, den das 19. Jahrhundert vollendete, dann der Anruf „Ihr Dome”, der dieses nächtliche Mit-sich-selbst-im-Frieden-Sein meint („Du hast mir Raum geschaffen, als mir angst war” heißt es in Psalm 4).

Statt des romantischen Rheins kommen die „unbelauschten Ströme” zur Sprache. Der Leser hat es mit dem Gegenteil von „Zeitlosigkeit” zu tun, wie sie in gedankenlosen Phrasen dahinvegetiert. Vor dem Beständigen, Ewigen, das Celan besingt, verstummt das Lied, sobald es seiner ansichtig wird. Man verharrt bei der Nacht, die allein zur Dämmerung, zur Verheißung des Tages werden kann — in den vergifteten Worten der Meute, die den Tag beherrscht, ist kein Licht (.Argumentum e silentio”, veröffentlicht 1954).

Celan flieht die erklärte, erfüllte Liebe („Lob der Ferne”, 1952 veröffentlicht), er meidet selbst die überlieferten Antworten der Religion, nimmt Rilkes Grabspruch beim Wort und gibt Gott den. Eigennamen „Niemand” (Psalm, 1963 veröffentlicht) - ein Pseudonym, das Odysseus in der Kyklopenhöhle gerettet hat, das mit dem jüdischen Verbot, den Namen Gottes auszusprechen, eng zusammenhängt.

Ein Assisi-Besuch schlägt sich in folgender Vers-Litanei nieder:

Umbrische Nacht. Umbrische ftacht mit dem Silber von Glocke und ölblatt.

Umbrische Nacht mit dem Stein, den du hertrugst.

Stumm, was ins Leben stieg, stumm. Füll die Krüge um.

Irdener Krug. Irdener Krug, dran die

Töpferhand festwuchs. Irdener Krug, den die Hand eines

Schattens für immer verschloß. Irdener Krug mit dem Siegel des Schattens.

Stein, wo du hinsiehst. Stein. Laß das Grautier ein.

Trottendes Tier. Trottendes Tier im Schnee, den die nackteste Hand streut. Trottendes Tier vor dem Wort, das ins Schloß fiel. Trottendes Tier, das den Schlaf aus der Hand frißt.

Glanz, der nicht trösten will, Glanz,

Die Toten — sie betteln noch, Franz.

Warum, solche Sätze, Bilder, Bildabfolgen, die kaum nachzu-vollziehen sind? Geprägt von der Erfahrung des Sprachmißbrauchs, erlebt der Dichter die Welt „überwuchert von Worten” („Flügelnacht”, 1953 veröffentlicht). „Ein Wort - du weißt:/ eine Leiche” heißt es einmal in demselben Band, aus dem das Assisi-Gedicht stammt.

V

Später wird Celan so weit gehen, programmatisch festzuhalten: „Es sind noch Lieder zu singen, jenseits / der Menschen” („Fadensonnen”, 1967 veröffentlicht). Die Angst vor Vergewaltigung durch Ubereinkunft („Welches der Worte du sprichst — / du dankst / dem Verderben.” — Welchen der Steine du hebst, 1953/54), vor dem „bunte(n) Gerede des An-/erlebten” („Weggebeizt”, 1967 veröffentlicht) zwingt zu einem andeutenden, verknappenden, Paradoxien geradezu suchenden Sprechen.

Wie ein im Wasser wachsender Ring umkreist die erste Strophe durch erweiternde Wiederholung den Eindruck einer Nacht in Assisi. Silberner Glockenton und mondbeschienenes Olblatt werden verschmolzen. In der Nacht (wir sind an der Grenze des Vorstellbaren) ist ein „Stein” anwesend — eines der häufigsten Bildworte bei Celan, das für etwas Hartes, Bleibendes, auch als anstößig, unausweichlich Erlebtes steht, für das zu entbergende Zentrum.

„Stumm, was ins Leben stieg, stumm”: Der erste, rhetorische Teil des Refrains, jedesmal gleich gebaut, stellt das Schweigen des Lebendigen in der Nacht fest und mündet abrupt in den freilich sich reimenden — Befehl (an sich selbst?): „Füll die Krüge um”.

Nun steht ein „Krug” im Zentrum der meditierenden Rede; er hat einen Schatten in sich, an sich. den er nicht los wird, der mit seiner Entstehung zusammenhängt und ihn erst zum ,.Krug” macht. Man beachte auch das Beiwort, das an „irdisch” erinnert. Entsprechend den „Krügen” (Gottes) im Band „Mohn und Gedächtnis” („Sie trinken die Augen der Sehenden leer und die Augen der Blinden”) ist der „Krug” unteilbarer Fassungsraum für die Wahrheit mit allen Schattierungen, über die es keine menschliche Verfügung gibt.

Der zweite Abgesang greift wieder auf den Anfang zurück: Uberall ist „Stein”. Neuerlich überraschend die Aufforderung, das „Grautier” einzulassen. Man denkt an die Anekdote vom reißenden Wolf von Gubbio, nachdem vom Titel an klar ist, daß das Gedicht auf den anspielt, für den „Assisi” zum Synonym wurde.

Dieses „trottende Tier”; gegenwärtig in unverdorbenen Worten, im Schlaf, schweift vor der Stadtmauer der Behausten umher, die mit sich und der Welt abgeschlossen haben.

Der Gedichtschluß muß im Zusammenhang mit dem Gedichtanfang gelesen werden: Der „Glanz”, der auf Assisi liegt, zieht dieser Dichtung nicht den Stachel. Der letzte Vers hat nicht mehr die Form eines Befehls, sondern einer Feststellung, gereimt auf Franz von Assisi. Da ist der Tod, der auf Antwort harrt, auch 800 Jahre nach der Konzeption der „zweifellos menschenwürdigsten und weltwürdigsten Weltinterpretation, die es je gegeben hat”.

Der schwingende, stockende, fürs erste befremdliche Redegang des Celanschen Gedichts stehe hier für die Sprache der gegenwärtigen Lyrik und für die „moderne Literatur” überhaupt. Er leitet, vermittelt, aber auch direkt, zum Bereich einer Hoffnung, die in dem Gedicht mit dem bezeichnenden Titel „Spät und tief” (1948) einmal ausgesprochen wird.

Die letzten Zeilen lauten dort: „Es komme, was niemals noch war! / Es komme ein Mensch aus dem Grabe.” Wir sind im Zentrum und beim Anfang unseres Glaubens. Die Dichtung, die es genaunimmt und freilich auch entsprechend genau gelesen werden will, bis sie ihre Vorbehalte und Skrupel preisgibt, braucht nicht durch äußerliche Postulate und meinungsmäßigen Aufputz „christlich” gemacht zu werden — um vielleicht als Ersatz für das Fehlen gelebter Christlichkeit herzuhalten. Sie ist Vorschule des Glaubens, dem sich auch Christen nicht entziehen sollten.

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