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Dunkelzellen Jugoslawiens

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In Slowenien ist er fast schon eine Persönlichkeit. Dort erwarb sich Dobroslaw Paraga unter Studenten und Intellektuellen den Ruf eines „Verfechters der Menschenrechte“ . In seiner kroatischen Heimat hingegen hat kaum jemand seinen Namen im Gedächtnis behalten. Paraga steht in Zagreb vor Gericht. Er muß sich „wegen Verbreitung lügenhafter Nachrichten, die zur Beunruhigung der Öffentlichkeit führen“ , verantworten.

Paragas Fall erregte 1980 weltweites Aufsehen. Der gebürtige

Zagreber hatte das „Verbrechen“ begangen, daß er in „studentischem- Leichtsinn“ eine Petition initiierte, die die Freilassung aller Gewissensgefangenen in Jugoslawien zum Ziel hatte. Der Richter gab ihm drei Jahre. Das Oberste Gericht Kroatiens gar fünf, und der Bundesgerichtshof in Belgrad befand, vier Jahre Haft auf Goli otok seien genug.

Danach herrschte Ruhe im Land. Zumindest in Kroatien. Bis heute, so erinnert sich Paraga, geschah es kein einziges Mal, daß kroatische Intellektuelle von dem Petitionsrecht Gebrauch machten, das in der Verfassung Jugoslawiens verankert ist, und gegen Einschränkungen der Meinungsfreiheit protestierten. Proteste, die die Belgrader Zentralregierung übrigens ständig erreichen, aus Serbien, der Vojvodina und Slowenien vor allem. „Denn willkürliche Übergriffe gegen Andersdenkende sind an der Tagesordnung“ , wie Dobrica Co sic erbittert konstatiert.

Cosič, einer der alten Männer der serbischen Literatur, weiß,

wovon er spricht. Er zählt zu den wenigen Schriftstellern, die Goli otok (Kahle Insel) als Besucher in Augenschein nehmen durften. Das war in den fünfziger Jahren, als die kahle Adriainsel als „Umerziehungslager“ gegen die „Stalintreuen“ eingerichtet wurde. Cosič konnte mit eigenen Augen sehen, daß es weniger darum ging, die Genossen von den Greueln Stalins zu überzeugen, als sie zu brechen. Aber er schwieg sich aus.

Es waren andere, die nach Jahrzehnten das Tabu lüfteten.

Zum einen Antonio IsaT kovič in seinem historischen Roman „Tren 2“ , der solange als Samisdat zirkulierte, bis er 1982 in einem Belgrader Verlag erscheinen konnte. Und eben auch Paragas Essay „Chronik meiner Leiden, in den Dunkelzellen Jugoslawiens“ — publiziert in der sloweni

schen Monatsschrift „Nova Revi- ja“ im Sommer letzten Jahres. In beiden Fällen war die Entrüstung groß.

Zeigt man als ausländischer Journalist in den Kneipen Belgrads und den Kaffeehäusern Zagrebs Bruchstücke der Aufzeichnungen Paragas, wenden sich die Gäste erschrocken ab und erklären barsch, „mit Emigranten“ habe man nichts zu tun.

Es galt als ungeschriebenes Gesetz der nackten Insel, daß jeder, der darüber plauderte, wie es ihm dort erging, erneut verhaftet wurde, um „seine Knochen wirklich dort zu lassen“ (Paraga).

Dies belegen Dokumente in Isakovič Roman. Und daß dies auch Cosič widerfahren wäre, behauptete so nebenbei der ehemalige Direktor der amtlichen Nachrichtenagentur in einem Gespräch mit der Wo

chenzeitung „Duga“ . Gilt dieses Gesetz noch heute, gilt es nun auch für Paraga?

Denn obwohl niemand Teile seiner Ausführungen dementierte, die Redaktion von „Nova Re- vija“ wöchentlich Dutzende von zustimmenden Zuschriften bekam, das ZK-Mitglied der slowenischen KP, Jože Smole, öffentlich erklärte, ein Untersuchungsausschuß müsse Foltervorwürfen nachgehen, steht Paraga nun vor Gericht. „Und das nur, weil ich in Kroatien lebe“ , erzählt er. „Wäre ich Slowene oder wohnte ich in Slowenien, niemand würde mich belangen. Dort ist das Klima so liberal, daß niemand wegen seiner Ansichten verfolgt wird. Mein Delikt besteht darin, daß ich an der Erneuerung, die aus Slowenien kommt, Anteil nahm, die allein in der Lage ist, Jugoslawien aus der Krise zu führen.“

Slowenische Medien, Schriftsteller und Jugendgruppen sagten Paraga ihren moralischen Beistand zu. Kardinal Franjo Kuha- ric, Erzbischof von Zagreb, hat an die Behörden appelliert, das Verfahren gegen Paraga einzustellen.

Seit Dienstag tagt das Zentralkomitee. Ziel ist kaum eine Erneuerung ä la Gorbatschow. In Belgrad soll die Partei auf Einigkeit getrimmt und die slowenische Führung in ihrem Reformeifer gestoppt werden.

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