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Dunkle Gegenwart

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Hat sich das Blatt gewendet? Geht es wieder aufwärts? Oder durchleben wir bloß eine Periode der Täuschung, narrt uns eine Fata Morgana? Wie immer bei der Beurteilung von Stimmungen, ist äußerste Vorsicht angebracht. Aber daß die Stimmung in den USA in den letzten Wochen umgeschlagen hat, ist kaum zu verkennen.

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Hat sich das Blatt gewendet? Geht es wieder aufwärts? Oder durchleben wir bloß eine Periode der Täuschung, narrt uns eine Fata Morgana? Wie immer bei der Beurteilung von Stimmungen, ist äußerste Vorsicht angebracht. Aber daß die Stimmung in den USA in den letzten Wochen umgeschlagen hat, ist kaum zu verkennen.

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Stimmungsbarometer par excellence ist natürlich die Börse. Hier ist unverkennbar eine positivere Beurteilung der Wirtschaftsaussichten Grundlage eines dramatischen Anstiegs. Natürlich spielen technische Faktoren eine große Rolle. Nach Monaten ständigen Absackens und nach Wertverlusten gewaltigen Ausmaßes, warten viele Institutionen und Anleger auf den Moment der Umkehr, in der Hoffnung, bei rechtzeitigem Einste»gen schnellen Profit zu machen. Daß diese Umkehr jedoch mit dem größten Volumen an Aktienumsätzen in der Geschichte der New Yorker Börse erfolgte, bedeutet doch etwas mehr als ein erfolgreiches Spekulieren professioneller Marktbeobachter. Vielmehr werden Anleger aus den festverzinslichen Werten durch das radikale Fallen der Zinssätze in die Aktienanlage gelockt und eine wesentlich liberalere Politik der Notenbank verhindert Liquiditäteengpässe, die viele von der Rezession betroffene Firmen in ihrer Existenz bedroht batten. Da die Börse — wie man als Faustregel immer annimmt — die Wirtschaftsentwicklung um 6 bis 8 Monate antizipiert, scheinen die Neuanleger den Beteuerungen der Regierung zu glauben, die einen Aufschwung der Wirtschaft im dritten Quartal dieses Jahres prognostiziert. Sich über die dunkle Gegenwart hinwegsetzend — 8 Prozent Arbeitslosigkeit, zweistellige Inflation und ungelöste Bnergįeprobleme übersehend richten slöh fctie ‘Erwartungen dieser Anleger auf eine bessere Zukunft, die sie vom nächsten Jahr an erwarten. Da Optimismus eine der Voraussetzungen des Funktiome- rens des amerikanischen Systems überhaupt ist, muß man den jüngsten Brösenaufschwung, selbst wenn er nicht anhält, als ein positives Symptom bewerten.

Ein gewisses Gefühl der Festigkeit gewährt auch Präsident Fords neues oder altes Profil. Nicht daß sein Programm zur Bekämpfung der Rezession oder der Energiekrise unwidersprochen bliebe. Im Gegenteil. Was schließlich an Programmen nach der Auseinandersetzung mit dem Kongreß Gesetz wird, dürfte mit dem ursprünglichen Konzept Fords nichts mehr zu tun haben. Was aber positiv bewertet wird, ist die Tatsache, daß der Präsident ein geschlossenes Programm vorgelegt bat und daß er für dieses Programm zu kämpfen scheint. Es vergebt kaum ein Tag, an dem er sich nicht über die Köpfe der Abgeordneten hinweg an das Publikum wendet, und wenn er auch nicht obsiegen wird, so hat er doch sehr an Prof il gewonnen.

Daß der Kongreß — seiner überwiegenden Mehrheit nach demokratisch — Fords Programm der hohen und durch einzuhebende Zölle noch höheren Energiepreise ablehnen werde, war van Haus aus klar. Politiker gehen immer den Weg des geringeren Widerstandes und der billigen Popularität. Statt die Beschränkung des Energieverbrauches höheren Preisen und damit dem Markt zu überlassen, befürworten sie Bewirtschaftung.

Daß ein Bezugscheinäystem für Benzin und Heizöl auf viele Jahre Sicht ebenso teuer, wenn nicht teurer ist, ficht Politiker nicht an, die sich in zwei Jahren zur Wiederwahl stellen müssen. Wie aber auch immer diese Auseinandersetzung ausgeht, sie wird das Bild eines völlig heterogenen, zerstrittenen Kongresses hinterlassen und auf der anderen Seite das eines Präsidenten, der weiß, was er will.

Bei den jetzigen Mehrheitsverhält- missen bleibt Ford auch keine andere Politik übrig, als klare, verständliche, oft auch unpopuläre Vorschläge zu machen und sich von der Mehrheit niederstimmen zu lassen. Die Geschichte wird dann zu entscheiden halben, wer recht hatte. ..

Im Fall Dėtente hat der Präsident bereits einen Teilsieg errungen. Die Kündigung des Handelsvertrages durch die Sowjets, die Sperre der jüdischen Emigration aus der Sowjetunion gehen zu Lasten der politischen Opposition. Eine ähnliche Entwicklung kündigt sich ton Zusammenhang mit der Finanzhilfe an Südvietnam an. Saigon ist wieder einmal in militärischer Not und braucht dringend mehr Geld. Die ursprüngliche Zuwendung wurde vom Kongreß bereits auf die Hälfte gestrichen, mehr Willi das Parlament nicht geben, während der Präsident noch zusätzliche 300 Millionen verlangt hat. Zweifellos eine unpopuläre Forderung, wenn man im gleichen Atemzug heimische Sozialdienste einschränken will. Aber Ford kämpft für diese 300 Millionen einen aussichtslosen Kampf. Fällt Saigon, so kann er die Verantwortung jenen anlasten, die ihm lächerliche 300 Millionen vorenthalten haben. Wenn man demokratische Gegner über die neue Linie des Präsidenten befragt, hört man meist das Urteil: „Halsstarrig und konservativ“. Führerqualitäten werden Ford ebensowenig konzediert wie die Fähigkeit, andere Standpunkte verstehen zu wollen. Es ist auch noch zu früh, sich ein schlüssiges Urteil zu bilden. Gewisse , Kompromisse werden die politischen Mehrheits- Verhältnisse erzwingen. Aber es ist wichtig, daß am Schluß noch die groben Umrisse des Programms erkenntlich bleiben, oder daß man der Übermacht erst nach hartem Kampfe weicht.

Scheint jetzt also Fords „Halsstarrigkeit“ gegenüber seiner anfänglich gezeigten „Kopflosigkeit“ ein Gefühl der Stabilität einzuflößen, so sind auch andere Symptome sehr positiv zu bewerten.

Als die Stadt New York wegen Geldmangels ankündigte, Polizisten und Feuerwehrmänner entlassen zu müssen, erboten sich die Männer der Sicherheit, auf Überstundenbezahlung zu verzichten, damit für die von Entlassung bedrohten Kollegen die Arbeitsplätze erhalten blieben. Dieses Einfühlen in die Probleme des Arbeitgebers zeitigte auch merkwürdige Blüten, als kürzlich Mr. Wood cock, Präsident der mächtigen Auto- mobilarbeitergewerkscbaft, die Unternehmer — also General-Motors, Ford-Chrysler und American Motor davor warnte, weitere Rabatte beim Verkauf von neuen Automobilen zu gewähren. Woodcock meinte, die Profite der Industrie seien bereits so geschrumpft, daß die Existenz der Autoerzeuger und damit von weiteren Millionen Arbeitsplätzen bedroht sei.

So ungewohnt eine solche Einstellung für den europäischen Betrachter der sozialen Szene ist, den USA ist sie nicht fremd. Schon des öfteren haben toi der Vergangenheit Gewerkschaften den Unternehmern Kredite gewährt, um sie über Wasser zu halten. Erst in den letzten Jahren war dieses Bekenntnis zum Kapitalismus unter sozialistischen Schlagworten begraben worden und hatte der Auffassung Platz gemacht, daß Profit eigentlich Sünde sei.

So klein auch diese Mosaiksteine noch sein mögen, sie fügen sich langsam zu einem positiveren Bild, das für die Zukunft wieder Hoffnung schöpfen läßt.

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