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Dunkle Zeitungsverkäufer.

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Die „heiteren Spiele“ wurden durch blutigen Ernst unterbrochen. Doch, wie es dem wahren Wesen Olympischer Spiele in konsequenter Fortentwicklung zum gigantischen Kommerz- und Prestigespektakel der Nationen entsprach, konnte auch das Blutbad von Fürstenfeldbruck keinen Abbruch bewirken, wobei von den zahlreichen fadenscheinigen Begründungen für die Weiterführung besonders diejenige ins Auge sticht, daß das Massaker schließlich nicht im Olympischen Dorf stattgefunden habe. Dort gab es ja „nur“ zwei Ermordete.

Unter den mannigfachen . Kommerzverpflichtungen im Hintergrund des „The games must go on“, wie es Avery Brundage, diese gelungene Mischung aus Träumer und Heuchler, pathetisch während der Trauerfeier durch das Stadion tönen ließ, seien beispielsweise nur die 560 Millionen Schilling erwähnt, die für die Übertragung der Fernsehrechte an Großgesellschaften kassiert worden waren — der ABC (American Broadcasting Company) spielten allein 350 Millionen Schilling für die Spiele keine Rolle. Die ehrwürdigen Herren des IOC naschen immerhin zu einem Viertel vom großen Einnahmekuchen mit, während drei

Viertel dem Münchner Organisationskomitee verbleiben. Diese und etliche ähnliche Verträge bezogen sich natürlich auf die Gesamtdauer der Spiele — wer also hätte einen Abbruch riskieren und finanzieren wollen?

Das ÖOC, seit dem Schranz-Skan-dal in Sapporo im Kreuzfeuer der Presse, bemühte sich, in München möglichst wenig aufzufallen. In der leidigen Rhodesienaffäre, die schon zu Beginn die heiteren Spiele mit politischem Unrechtsbeigeschmack würzte, stimmte Österreichs Vertreter Dr. Nemetschke im internationalen Olympiergremium für das Recht (der Teilnahme Rhodesiens) und befand sich damit auf Seiten der Verlierer. Die Entscheidung über einen etwaigen Abbruch wurde nach diversen Interventionen der kommerziellen Interessenten von Brundage selbst vorweggenommen, das nachträgliche einheitliche Placet des Exekutivausschusses für die Weiterführung der Spiele blieb reine Formsache.

Einheitliche Reaktionen auf das Verbrechen von München kamen von Bundeskanzler Dr. Kreisky und Oppositionschef Dr. Schleinzer. Es werden des Kanzlers Worte, daß man sich „sehr ernst mit den Ländern unterhalten müsse, die wissentlich die Vorbereitung von Terrorakten dulden“, ebenso uneffektiv bleiben, wie Schleinzers Statement, daß „wenn die Großmächte und die UNO gemeinsam agieren, es doch zu einem Ergebnis kommen müßte“. Glücklicherweise blieben bislang auch die telephonischen Drohungen gegen die Ägyptische Botschaft in Wien uneffektiv. Das goldene Wienerherz reagierte sich einerseits durch einige Attacken auf dunkle Zeitungsverkäufer, deren Aussehen auf Herkunft aus dem arabischen Raum schließen läßt, anderseits durch enormes Gedränge vor den gemeindeeigenen Farbfernsehgeräten im Rathaus ab. Nun war es Olympia auch gelungen, die sportlich völlig Desinteressierten in seinen Bann zu schlagen — politisch verbrämter Mord anläßlich eines weltweiten Großereignisses zieht also doch mehr als die Duelle der schnellsten oder stärksten Männer und Frauen der Erde. Ob das Nachlassen des Interesses an den umfangreichen Fernsehberichterstattungen von den Spielen auf die blutige „Entweihung“ oder ganz einfach auf Übersättigung des Publikums zurückzuführen war? Abreagiert haben sich auch zahlreiche Österreicher in Unmutstelegrammen an Ilona Gusenbauer, die in einem ORF-Interview zwar nicht sehr opportun, dafür wohl um so ehrlicher die Meinung vertrat, daß ein Spitzensportler durch diese traurigen Ereignisse kaum überdurchschnittlich abgelenkt werde, wenn sie ihn nicht unmittelbar betreffen. Umfragen unter den österreichischen Sportlern in München zeigten deutlich, daß hauptsächlich diejenigen für einen Abbruch stimmten, die ihren Wettkampf bereits absolviert hatten, während für die anderen das Ziel, auf das sie jahrelang hingearbeitet hatten, wichtiger schien. „War all die Arbeit umsonst?“ — diese Frage hatte nicht nur für den Gewinner der Österreichradrundfahrt, Wolfgang Steinmayer, Vorrang. Am deutlichsten demonstrierte Sprinter Dr. Axel Nepraunik die Schnellebigkeit unserer Zeit und der Meinungen; noch am Mittwoch hatte er erklärt: „Ich kann mir nicht vorstellen, wieder im Stadion zu rennen“ — und schon am Samstag, wenn auch langsamer als die meisten Konkurrenten, rannte er in der österreichischen 4X 100-Meter-Staffel den Favoriten nach ...

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