7032490-1989_36_11.jpg
Digital In Arbeit

Dunkler Kontinent namens Frau

Werbung
Werbung
Werbung

Erscheint Ödipus-Freud als Rätsellöser oder in der traditionellen Haltung des Heros mit Speer, Schwert und Keule? Freuds Haltung gegenüber der weiblichen Sexualität ist sehr ambivalent. Einerseitsbetont er in dieser Hinsicht ständig sein unzureichendes Wissen, andererseits stellt er doch eine komplizierte Theorie auf, womit er die klinischen Phänomene interpretiert und in Kontroversen, so zum Beispiel mit Jones, unnachgiebig daran festhält. Sein Gefühl des mangelnden Verständnisses für das „Rätsel im Wesen der Frau“ nimmt im Lauf der Zeit nicht ab. Nach vielen Jahren klinischer Forschung und Erfahrung stellt er fest, daß „das Geschlechtsleben des erwachsenen Weibes ein dark continent für die Psychologie“ sei, was mit einer Bemerkung über das Unbewußte korrespondiert, wo das Es als der „dunkle... Teil unserer Persönlichkeit“ beschrieben wird.

In einer änderen, ebenfalls späten Arbeit, klagt er, daß die „Entwicklungsvorgänge beim Mädchen“ ihm „lücken- und schattenhaft“ geblieben seien. Sehr spät erst entdeckt er die ausgedehnte präödipale Geschichte des Mädchens in ihrer Beziehung zur Mutter. Er empfindet „die Einsicht in die präödipale Vorzeit des Mädchens... als Überraschung, ähnlich wie auf anderem Gebiet die Aufdeckung der mi-noisch-mykenischen Kultur hinter der griechischen“.

Aus den beschriebenen Hinweisen wird deutlich, daß Freud die Psychologie der Frau, vor allem ihre Sexualentwicklung, in ähnlicher Weise definiert wie das Unbewußte. Beides hat Mangel- und Lückenhaftigkeit als Konstruktionsprinzip.

Ausgehend von ihrer konflikthaften Selbstdarstellung innerhalb des klinischen Erfahrungsbereichs konzipiert Freud die weibliche Sexualität unter Gesichtspunkten, die von der männlichen Psychologie abgeleitet sind, so daß Weiblichkeit als Ähnlichkeit mit und Abweichung von dem Männlichen erscheint, das heißt als Negativum, aber nicht als Positivum sui generis.

Ohne nun Freuds Theorie der weiblichen Sexualentwicklung in extenso aufzurollen, scheint soviel deutlich zu sein, daß Freud das Rätsel der Weiblichkeit nicht gelöst hat. Gerade die Dominanz des ödi-pusmythos in seinem Verstehensan-satz, der eine differenzierte Psychologie des Mannes ermöglichte, hat den Zugang zum Verständnis der Frau wohl nicht erleichtert Freud bleibt mit seiner Auffassung der weiblichen Psychologie zu sehr innerhalb der seinem klinischen Erfahrungsgegenstand entströmenden Mystifikationen, deshalb hält er die unter dem Phallusprimat sich darstellenden klinischen Erscheinungen für das Wesentliche, statt sie als konfliktbestimmte Abwehrformationen zu erkennen.

Allerdings muß seine Theorie der Weiblichkeit insofern ernst genommen werden, als sie die Schwierigkeiten, und konfliktbestimmten Deformationen bei der Entwicklung weiblicher Identität in enger Anlehnung an die klinischen Phänomene zuverlässig erfaßt. Mit dem Ziel, einen Begriff von entwickelter Weiblichkeit zu geben, ist der Kliniker prinzipiell überfordert, da ein solches Unterfangen den klinischen Rahmen übersteigt und in eine schwer überschaubare gesellschaftlich-historische Dimensionmündet, die Weiblichkeit (und damit bis zu einem gewissen Grad auch Männlichkeit) letzlich nur als utopischen Begriff im Sinne Blochs formulieren kann.

Freud trifft, als er sich mit den Problemen weiblicher Sexualität befassen muß, auf jahrtausendealte granitene Unterdrückungsstrukturen, die im klinischenBetrachtungs-rahmen als solche undurchschaubar bleiben.

Der Aufweis der Barrieren und Klippen bei der Entwicklung der Weiblichkeit gibt Freuds Psychologie der Frau Aspekte von Aufklärung, aber seine Tendenz, die in einer negativen Begrifflichkeit gefaßten Beobachtungen zu ontologisieren, ist unverkennbar ein Akt der Remy-thologisierung. Ödipus-Freud ist trotz aller demonstrativen Unsicherheit hier doch in patriarchalisch-konquistadorenhafter Weise zu sicher.

Gekürzt buk „Psychoanalyse zwischen My-thosund Aufklärung oderDasRätselderSphinx“ von Rolf Vogt Racher Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M. 1989. Der Autor ist praktizierender Psychoanalytiker und Professor für Psychologie an der Universität Bremen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung