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Durch Kindersegen ins Armenhaus ?

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In der Tagespolitik gehen die sozialen Probleme kinderreicher Familien meist unter. So herrscht in der Öffentlichkeit auch die Meinung vor, daß wir in der Familienpolitik genug tun. Dem ist nicht so.

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In der Tagespolitik gehen die sozialen Probleme kinderreicher Familien meist unter. So herrscht in der Öffentlichkeit auch die Meinung vor, daß wir in der Familienpolitik genug tun. Dem ist nicht so.

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Uber Armut redet man hierzulande nicht gerne. Und tatsächlich ist es Einzelpersonen kaum möglich, unter die offizielle Armutsgrenze zu sinken. So wird zum Beispiel dem Mindestrentner durch die Ausgleichszulage ein monatliches Mindesteinkommen von derzeit 5030 Schilling garantiert.

Nun leben drei Viertel der Österreicher in Familien mit einem oder mehreren Kindern. Bei diesen mehr als fünf Millionen Menschen muß das Haushaltseinkommen auf alle in der Familie lebende Personen aufgeteilt werden.

Der Katholische Familienverband hat — basierend auf dem offiziellen „Wiener Familienbericht" und hochgerechnet auf die letzte Volkszählung — nachgewiesen, daß alleine in Wien an die 300.000 Menschen in Familien unter der Armutsgrenze leben. Dies bedeutet, daß jeder fünfte Einwohner Wiens unter solchen Bedingungen sein Leben gestalten muß.

Ähnliche Daten finden sich auch im kürzlich publizierten Mikrozensus des österreichischen Statistischen Zentralamtes über die Personen- und Haushaltseinkommen von unselbständig Beschäftigten (siehe Grafik „Familien haben's schwerer").

Danach leben Arbeiterfamilien ohne Kinder, in denen die Frau nicht außer Haus erwerbstätig ist, nur in einem Prozent der Fälle in Armut, mit drei Kindern aber bereits in 53 Prozent der Fälle unter dem Richtsatz für Ausgleichszulagen.

Dieser Befund weist mit aller Deutlichkeit auf den drohenden Finanzinfarkt der kinderreichen Familie hin. Bei den vergleichbaren Familien öffentlich Bediensteter leben immerhin 44 Prozent unter der Armutsgrenze und bei den Angestellten noch 33 Prozent - wenn mehr Kinder in der Familie leben.

Nahezu die Hälfte aller Kinder wachsen aber in solchen „kinderreichen Familien" mit drei oder vier Kindern auf. Ein Arbeiter muß also, wenn er drei oder mehr Kinder haben möchte, mit großer Wahrscheinlichkeit in Armut leben oder seine Frau ist gezwungen, einem außerhäuslichen Erwerb nachzugehen. Aber gerade das wirft für Mütter mehrerer Kinder große Probleme durch die Doppelbelastung in Familie und Beruf auf.

Am dringlichsten erscheint daher die Forderung, den Familien ebenso wie den Pensionisten ein steuerfreies Existenzminimum zuzugestehen, das sich gewichtet nach der Zahl der zu versorgenden Familienmitglieder richtet.

Die Verweigerung eines solchen steuerwirksamen Existenzminimums für die Familie bedeutet nicht nur eine Mißachtung des Gleichheitsgrundsatzes, sondern auch die Situation, daß die Staatsfinanzierung Vorrang vor der Sorge für die materielle Existenz der Familien hat.

Üblicherweise wird im Steuerrecht anerkannt, daß die Sicherung des Existenzminimums aus einem bestimmten Einkommen gewährleistet sein muß, bevor die Steuerbemessung stattfindet. Warum soll dies gerade im Fall der Unterhaltspflicht für die Kinder des Steuerzahlers anders sein?

Die Gleichheit, die verlangt werden muß, ist die Gleichheit der Höhe des Existerizmiriirnums für alle Kinder ohne Rücksicht auf das Einkommen des Familienerhalters. Nicht nur dem erwachsenen Steuerpflichtigen, sondern auch den Kindern muß ein Existenzminimum — wenn auch nicht in gleicher Höhe, sondern gewichtet — zuerkannt werden. Das Existenzminimum sollte als Steuerfreibetrag gewährt werden, d. h. es wird vor Anwendung des Steuertarifes vom steuerpflichtigen Einkommen abgezogen.

Jenen Familien, deren Einkommen unter einem solchen Existenzminimum liegt, sollte ähnlich wie bei den Pensionisten der Differenzbetrag durch eine „Familienausgleichszulage" ersetzt werden.

Die Gewährung von Familienbeihilfen allein kann eine gerechte Verteilung der Familienlasten zwischen den Kinderlosen und jenen, die Kinder aufziehen, nicht gewährleisten. Darüber hinaus ist es völlig unbegreiflich, daß die an und für sich ungenügenden Familienbeihilfen nicht wie die Gehälter oder Pensionen jährlich um einen bestimmten Prozentsatz erhöht werden. Die nun angekündigte Erhöhung der Familienbeihilfe um 100 Schilling ab 1. Jänner 1985 ist schon deshalb unzureichend, da alleine die Inflationsabgeltung eine Erhöhung um 180 Schilling erfordert hätte. Die Dynamisierung der Kinderbeihilfen und die steuerrechtliche Beachtung des gewichteten ProKopf-Einkommens sind angesichts der eingangs zitierten Erhebungen von Familienverband und Statistischem Zentralamt dringende Forderungen.

Trotz der Errichtung eines Familienministeriums wird an den wahren Problemen der österreichischen Familien nach wie vor vorbeigeredet und Alibihandlungen der Vorzug gegeben.

Der Autor ist Präsident des Katholischen Familienverbandes der Erzdiözese Wien.

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