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Durststrecke

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Seit Beginn der mexikanischen Revolution sind 77 Jahre vergangen. Die beiden ersten Dekaden waren chaotisch, zeigten alle Schrecken einer vom Bürgerkrieg gebeutelten Sozialrevolution.

In den dreißiger Jahren jedoch konsolidierte sich die Revolution. Gemanagt von der Staatspartei PRI (Partido Revolucionario In-stitucional), die, wenn notwendig, mit eiserner Hand gegen Herausforderer vorging und nur winzige Oppositionsgruppen tolerierte, erholte sich die mexikanische Wirtschaft, die mit dem großen Revolutionspräsidenten Läzaro Cärdenas (1934-40) auf das heute noch gültige Modell einer staatskapitalistischen Entwicklung einschwenkte.

Diesem Weg dankt Mexiko mehr als fünf Jahrzehnte politischer und wirtschaftlicher Stabilität.

Mexiko ist heute ein Schwellenland, das nicht nur Erdöl und andere mineralische, agrarische und tropische Rohstoffe exportiert, sondern auch verarbeitete Güter einer breiten Produktionspalette ausführt.

Mitte der siebziger Jahre, als die neuentdeckten Erdölquellen zu sprudeln begannen, wurde Mexiko sogar eine „arabische Qualität“ zugesprochen.

Mit den damals ausgezeichneten Preisen schien sich eine großartige Entwicklung für das Land anzubahnen. In Wirklichkeit mußte Mexiko einen bitteren Preis dafür zahlen: die gigantischen Gewinne aus den Erdöl-und Erdgasausfuhren wurden in ehrgeizige Entwicklungsgroßprojekte, deren nationalökonomischer. Wert diskutabel war, kanalisiert, versickerten in Korruption oder wurden als Schwarzgelder nach Miami und Zürich transferiert.

Um die Projekte dennoch durchzuführen, wurden Auslandsgelder aufgenommen (die man Mexiko auch bereitwillig zur Verfügung stellte), deren Umfang 1982 die internationale Verschuldungskrise auslöste.

Mexiko schuldet heute 103 Mil-' liarden Dollar. Seit 1982 wird um das Schuldenmanagement dieser stetig wachsenden Masse gerungen.

Das Land ließ seine überbordende Staatsbürokratie abmagern und entließ Hunderttausende von Staatsangestellten; Staatsausgaben wurden drastisch gedrosselt; Lebensmittelsubventionen wurden gestrichen; Sozialprogramme, die sowieso immer nur einen Teü der heute 84 Millionen Mexikaner erreichten, wurden gekürzt.

Gleichzeitig wurden bedeutende Mittel in die Exportförderung gesteckt. Resultat: Makroökonomisch erholte sich Mexiko beachtlich. Die Wirtschaft ist wieder überschaubar. Das Budgetdefizit hält sich in machbaren Grenzen.

Doch die sozialen Kosten dieses — erfolgreichen — Sanierungsprogramms beißen die Mexikaner. Allein das Pro-Kopf-Einkommen schrumpfte in den Jahren 1980 bis 1987 um 10,5 Prozent. Die Inflation pendelt bei 140 Prozent. Die Arbeitslosigkeit kann statistisch nicht mehr sinnvoll gemessen werden.

Unter solchen Bedingungen muß derzeit der Wahlkampf für die nächste Präsidentschaft aus-gefochten werden. Offizieller PRI-Kandidat ist der Technokrat Carlos Sahnas de Gortari, der diesen Sanierungskurs weiterverfolgen will. Deswegen gibt es zum ersten Mal nennenswerte Opposition gegen den PRI-Kandidaten.

Was besonders ins Gewicht fällt ist, daß Cauhtemoc Cärdenas, Sohn des legendären Revolutionspräsidenten der dreißiger Jahre (der gegen Österreichs Anschluß protestieren ließ), im Juni als Dissident gegen den offiziellen Kandidaten antritt. Deswegen kann zum ersten Mal seit Dekaden nicht klar das Wahlergebnis prognostiziert werden.

Was international Aufsehen erregte, ist der jüngste Versuch der nordamerikanischen Kommerzbanken, mit Mexikos Schuldenkrise zu Rande zu kommen.

Wie bei allen Versuchen dieses Schuldenmanagements geht es auch dabei um den Vorschlag, einen Teil der Schulden abzuschreiben, ohne dies offiziell zuzugeben. Im mexikanischen Fall wird den Gläubigern die Option geboten, die Mexiko-Schuld gegen Kupons, die von der US-Regierung garantiert sind, zu tauschen - allerdings mit Verlusten von rund 50 Prozent. Diese können die Banken abschreiben, was sich in niedrigeren oder überhaupt exkulpierten Steuern niederschlägt.

Das neue Verfahren könnte bedeuten, daß Mexiko in der nächsten Präsidentschaft (von 1988 bis 1994) aus dem Schlamassel kommt. Das Gros der Bevölkerung freilich muß noch lange auf der Durststrecke bleiben.

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