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Dynamik einer Zerstörungswut

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Der Architekturvandalismus, der heute in unseren Städte, schlimmer als die Bomben des Krieges haust, hat längst aucl die Dörfer erfaßt. Roland Rainer, einer der wenigen Architek ten, die schon Verantwortungsbewußtsein gegenüber dei historischen Bausubstanz in Stadt und Land zu einer Zeit zeigten in welcher der Denkmalschutz noch nicht zur — übrigens seh oberflächlichen — Mode geworden war, hat vor einiger Zeit in Fernsehen am Beispiel burgenländischer Dörfer, die noch bi vor kurzem einen großen Bestand an wertvollen alten Bauern häusern besaßen, die Verwüstungen aufgezeigt, welche die neui Baupsychose dort angerichtet hat.

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Der Architekturvandalismus, der heute in unseren Städte, schlimmer als die Bomben des Krieges haust, hat längst aucl die Dörfer erfaßt. Roland Rainer, einer der wenigen Architek ten, die schon Verantwortungsbewußtsein gegenüber dei historischen Bausubstanz in Stadt und Land zu einer Zeit zeigten in welcher der Denkmalschutz noch nicht zur — übrigens seh oberflächlichen — Mode geworden war, hat vor einiger Zeit in Fernsehen am Beispiel burgenländischer Dörfer, die noch bi vor kurzem einen großen Bestand an wertvollen alten Bauern häusern besaßen, die Verwüstungen aufgezeigt, welche die neui Baupsychose dort angerichtet hat.

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Solchen Vorwürfen wird meist entgegengehalten, man könne den Dorfbewohnern nicht zumuten, weiterhin altmodisch, primitiv und ungesund zu wohnen, nur damit sich einige Ästheten an Barockfassaden ergötzen können. Dieses mit sozialem Pathos vorgetragene Argument trifft aber nicht den Kern der Sache. Die meisten der alten Gebäude wären durchaus zu sanieren und — ohne Schädigung der historischen Substanz — zu modernisieren gewesen, sehr häufig mit weitaus geringeren Kosten als jenen für das Niederreißen und Neuaufbauen. Aber die Bewohner wollen kein revitalisier-tes Althaus, sondern einen modernen Bau im 08/15-Stil der Reihenhäuser haben; und wenn sie nicht das Geld für einen Neubau haben, so schlagen sie die Fassade ab und lassen neue Fenster ausbrechen, um wenigstens Modernität vorzutäuschen.

Seit Adolf Loos den Ted des Ornaments verkündete und Le Corbusier die Planierung der Städte forderte, haben nun Generationen von Geschmackserziehern alles daran gesetzt, den Menschen ihr natürliches Verlangen nach Schmuck und Zierat auszutreiben, alles Überkommene als minderwertig hinzustellen, ääS-^lätte^^Schmücklase, Neue*1 geblich Funktionelle zu begeistern. Nun sind wir endlich so weit, nun ist der „moderne“ Geschmack bereits ins letzte Dorf gedrungen, aber jetzt auf einmal wird den Architekten und Planern beim Anblick moderner Stadtviertel und Siedlungen unbehaglich über das zumute, was sie da angerichtet haben, jetzt soll alles seit einem halben Jahrhundert Gepredigte nicht mehr oder — was noch komplizierter ist — nicht mehr ganz wahr sein, jetzt werfen es die Prediger von gestern ihren gelehrigen Zuhörern vor, daß sie sich haben dressieren lassen und nun stürmisch das „Neue“ für sich reklamieren. Die Zerstörungswut, die hier angekurbelt wurde, hat inzwischen so viel Eigendynamik gewonnen, daß es Jahrzehnte brauchen wird, sie wieder abzubremsen. Was bis dahin vom Althausbestand noch übrig sein wird, läßt sich unschwer vorstellen.

Im Pfusch

Schließlich wird das Einfamilienhaus nicht vom Architekten entworfen, sondern bestenfalls vom lokalen Baumeister, wenn es nicht überhaupt in Eigenregie oder von einigen Maurern „im Pfusch“ errichtet wird. Hausbauer dieser Art sind aber starr an Stereotypen gebunden, ihre Vorstellungen vom moderneren und besseren Wohnen sind einfach mit einer Revitalisierung des Altbaues nicht in Einklang zu bringen. Es wird langer neuerlicher Erziehungsarbeit bedürfen, um dem traditionellen Bauernhaus wieder Sozialprestige zu verleihen, Verständnis für seine Schönheit und Zweckmäßigkeit (die meist größer ist als die vieler Neubauten) zu wecken.

Aber bekanntlich stinkt der Fisch vom Kopf her, und der Vorwurf an den kleinen Bauherrn, der unbedingt sein Schema-F-Häuschen wünscht, oder an den Geschäftsmann, der eine Barock- beziehungsweise Renaissancefassade mit einem Glas- und Kunststeinportal „verschönert“, rührt nur an das Symptom, nicht an die Ursache.

Was helfen schon Worte, wenn sich nicht einmal die Architektenschaft einig ist, Ingenieursgesinnung und

Kulturgesinnung — sei es prinzipiel oder im Hinblick auf die jeweilige] Prioritäten — einander unversöhn lieh gegenüberstehen und erste: noch immer die Oberhand hat? Nai wie vor dominiert das Ideal di Totalerneuerung der Stadt und ländlichen Siedlungen im Hinblick auf die „modernen Erfordernisse“.

Den Verteidigern der historischen Substanz wird Sentimentalität vorgeworfen — und sie sind meist nicht imstande, sich gegen diesen Vorwurf zu verteidigen. Lange Zeit waren zaghafte Hinweise auf die Erfordernisse des Fremdenverkehrs das einzige Gegenargument. Erst in jüngster Zeit, seit die Mängel der neuen Wohnblöcke manifest geworden sind und der Umweltschutz die Fetische Motorisierung und Industrialisierung ein wenig dubios macht, wachsen ihnen medizinische, sozial- und psy-chohygienische Argumente zu; diese sind aber noch weit davon entfernt, das Ubergewicht zu haben. Der Prozeß des Umdenkens geht nur sehr langsam vonstatten.

Die freie Wirtschaft und die private Profitgier tragen gewiß einen gerüttelten Teil der Schuld an den unerfreulichen Zuständen. Aber man mache nicht sie für alles verantwortlich, man tue nicht so, als ob mit ihrer Beseitigung alles in Ordnung wäre. Ein weitaus schlimmerer Feind ist der historischen Bausubstanz, insbesondere in den Städten, schon längst in der öffentlichen Hand erwachsen, deren Anteil am Baugeschehen auch mit Abstand am größten ist. Mögen die Politiker und Bürokraten — weil's seit neuestem zum guten Ton gehört — den Denkmalschutz auch gern im Mund führen, wenn es darauf ankommt, die Spitzhacke an die historische Bausubstanz zu legen oder Ensembles und Landschaften zu zerstören, dann sind sie die ersten am Platze.

Als eine private Gesellschaft den Bau eines Hotels auf dem Bisam-berg plante, hagelte es so lange Proteste aus dem Wiener Rathaus, bis dieser „Anschlag auf den Erholungsraum der Großstädter“ unterblieb. Sehr lobenswert; aber die gleichen Wiener Stadtväter waren aktiv beteiligt an der Verbauung und Ver-schandelung der Wienerwaldvororte und der Gartensiedlungen am Stadtrand, oder liehen ihre Hand dazu. Deren Schonung wäre viel dringlicher als die des Bisambergs. Aber die Zerstörung geht dort bis heute unvermindert weiter.

Die groß angekündigte Verschärfung des Denkmalschutzes ist nicht das Papier wert, auf dem sie gedruckt ist, wenn sie — wie jetzt geplant — Gebietskörperschaften und Ministerien zu höchsten Entscheidungsinstanzen macht. Die Erfahrung lehrt, daß mit Rücksicht auf „übergeordnete Gesichtspunkte“ jedesmal der Denkmalschutz den kürzeren zieht. Wenn wir es mit diesem ernst meinen, so müßten unabhängige Gremien des Denkmal- und Landschaftsschutzes echte Entscheidungsbefugnisse und die Möglichkeit zu Sanktionen — auch gegenüber der öffentlichen Hand — erhalten. Alles andere ist Augenauswischerei.

Erst vor kurzem bestätigte ein Vorfall in Wien — man könnte eine beliebige Zahl ähnlicher Fälle auch aus anderen Bundesländern anführen —, wie berechtigt die Zweifel an der Denkmalschutzgesinnung der öffentlichen Hand sind.

In der Grinzingerstraße soll eine städtische Schule errichtet werden. Um für sie einen Pausenhof zu schaffen, soll ein benachbartes, 200 Jahre altes Barockhaus niedergerissen werden — und das, obwohl sich hinter der Schule genügend

„Gstätten“ befindet, die dringend auf Kultivierung wartet und reichlich Platz für einen Pausenhof böte. Hier ist es offensichtlich, wie gewaltsam nach „übergeordneten Gründen“ gesucht, ja solche künstlich geschaffen werden, nur um sich wieder eines Stücks „alten Gerumpels“ zu entledigen.

Vizebürgermeisterin und Kultur-stadträtin Getrude Sandner, auf diesen Fall angesprochen, tat einen geradezu klassischen Ausspruch: „Die neue Schule daneben ist von einer solchen Qualität, daß ihr der alte Bau nicht adäquat ist.“ Lieb Denkmalschutz, magst ruhig sein, fest steht und treu die Wacht im Rathaus.

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