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Trauliche Stille über schneebedeckten Hügeln; leiser Glockenklang aus dem Bergkirchlein; warmer Lichtschein fällt aus den Fenstern der Stube, in welcher der Kachelofen prasselt; der Krippenberg wird aufgebaut... Weihnacht in den Bergen, Weihnacht in der heilen Welt der Illustrationen, in romantischer Vorstellung und verklärender Erinnerung.

Wir, und das sind viele von uns, leben aber in der Stadt. Statt auf schneebedeckten Hügelpfaden eilen wir auf asphaltierten Gehsteigen dahin, eventueller Schnee ist hier keine warme, weiße Decke, sondern wird in Kürze zu schmutzigem Schneematsch, und das Geläute der Kirchenglocken geht zumeist im Autolärm unter. Und doch wird es auch für uns allmählich Weihnachten - anders, als auf dem Land, aber deswegen weniger „echt"?

Natur- und Arbeitsjahr bereiten in der freieren ländlichen Landschaft noch immer auf die markanten Abschnitte im Jahreslauf sowie auf die großen Jahresfeste vor. In der Stadt hingegen kündet die „Weihnachtsbeleuchtung" vom nahenden Christfest, machen Adventkränze und Reisiggirlanden, Weihnachtskegel und Christbäume als Straßen- und Geschäftsschmuck und Auslagendekorationen auf Fest und Geschenktermin aufmerksam. „Konsumweihnachten" denken viele und meinen es abschätzig. Das ist aber nur berechtigt, wenn Konsum im Ubermaß gegeben ist oder zum ausschließlichen Sinn wird. Jedes Fest ist Konsum und war dies auch immer.

Besonderer Christbaumschmuck bildet ein Hauptangebot der „Christ k indl-märkte", wie sie Spezialgeschäfte in Wien veranstalten. Dazu gehört auch der Christbaumschmuck vergangener Zeiten (wie die „vornehmen" Zinnornamente und die früher „billigen" erz-gebirgischen Holzfigürchen) oder Objekte einer internationalen Folklore (wie die buntbemalten, glasierten Rosen, Vögel usw. aus Brotteig, die aus Mexiko stammen). Nostalgie und der Wunsch nach Variation erklären die Nachfrage nach Weihnachtspyramiden und Räuchermännchen, Nußknackern sowie alten Spielen und Spielzeug vergangener Zeiten, die typisch für diese „Märkte" sind.

Nicht selten bieten „Christbäume, in verschiedenen Stilen geschmückt" Anregungen für zu Hause, wie überhaupt die kreative Variation Teil der städtischen (und im besonderen der Wiener) Brauchtradition zu sein scheint. Auch Künstler gestalten Christbäume, nicht nur im Sinn herkömmlicher Schmückungen, sondern auch als Kunst- und Ausstellungsobjekte und bereichern dadurch die große Vielfalt der städtischen Christbaumszenerie. Der heute so beliebte „bäuerliche" Christbaum mit Strohsternen und Lebkuchen, mit Äpfeln und vergoldeten Nüssen ist in dieser ästhetisierenden Ausformung eine Schöpfung der Stadt.

Die elektrischen Lichter der weihnachtlichen Straßenbeleuchtung wetteifern mit den (elektrischen) Kerzen der „öffentlichen" Bäume. Der bekannteste „Baum für alle" ist wohl der „Rathausbaum", der jedes Jahr von einem anderen Bundesland gespendet wird (als Ausdruck der Verbundenheit der Bundesländer mit der Bundeshauptstadt Wien). Er wird feierlich an der Wiener Stadtgrenze in Empfang genommen und vor dem Rathaus aufgestellt.

Vorweihnachtlicher Lichterschmuck im Haus und im Freien entsprach schon im vorigen Jahrhundert besonders dem amerikanischen Geschmack. Öffentlichkeit, allgemeine Wohlfahrt und Reklamewirkung sind immer wieder zu beobachtende Komponenten im amerikanischen Brauchverhalten. Der große Weihnachtsbaum mit elektrischen Kerzen auf öffentlichen Plätzen und vor Warenhäusern verwirklichte die genannten Vorstellungen in besonderer Weise. Nicht verwunderlich, daß die ersten „Bäume für alle" in den USA leuchteten. Bis vor kurzem galt Mrs^ I. B. Herresford als Spenderin des ersten öffentlichen Christbaums in den USA. Sie ließ ihren Baum 1912 auf dem New Yorker Madison Square aufstellen.

Heute verkünden diese öffentlichen Bäume vor allem vorweihnachtliche Freude in den Wochen vor dem Fest. Die Armen und Einsamen haben ihren Weihnachtsbaum bei den Weihnachtsfeiern der verschiedensten Organisationen bzw. tritt zu Hause ein Weihnachtsgesteck an die Stelle des Christbaums. Wo keine Kinder mehr im Haus sind, kauft man häufig ein kleines Bäumchen mit Kerzen und Schleifen, das zum festen Angebot der Blumenbinder zählt.

Diese „Erwachsenenbäumchen" werden auch oft auf die Gräber gestellt, denn auch die Toten werden ins weihnachtliche Baumbrauchtum einbezogen. Für die im Krieg Vermißten und Gefallenen, deren Gräber man nicht kennt, stellt man am 24. Dezember eine Kerze ins Fenster, ein vor allem in der häuserreichen Stadt beeindruckendes Brauchverhalten.

öffentliche Bäume stehen heute auf den Hauptplätzen und bei den Kriegerdenkmälern der meisten Städte, Märkte und Dörfer. Auf vielen Plätzen Wiens sind sie zu finden. Diese Bäume werden von den Gemeinden und administrativen Behörden, von großen Bankinstituten und Unternehmungen gestiftet und der Bevölkerung mit Weihnachts- und Neujahrswünschen gewidmet.

Zu Weihnachtsbeleuchtung und Straßenschmuck tritt die Auslagendekoration als drittes Charakteristikum städtischer Festvorbereitung. Die schönsten Dekorationen sind dort zu finden, wo sie „im Haus" hergestellt und damit einmalig und unverwechselbar sind. Verständlich, daß traditionsreiche Zuckerbäckereien und Konditoreien hier einen Vorsprung haben. Besonders hervorzuheben ist in Wien „der Demel" mit seinen phantasievollen, künstlerischen Entwürfen, aber viele andere haben ebenfalls ihre unverwechselbaren vorweihnachtlichen Spezialitäten wie Figuren aus weißer und bunter Windbäckerei, Quittenkäs nach altem Rezept und in alten Formen usw. Leider wird Quittenkäs heute nur mehr selten zu Hause für Weihnachten gemacht, obwohl er früher einfach dazugehörte. Andere „kulinarische Traditionen" aber haben sich sehr zählebig gehalten wie die Fischbeuschelsuppe und der Apfelstrudel, aber auch der gebak-kene Karpfen mit dem Erdäpfelsalat und anderes. Gerade die Speisentraditionen spiegeln in ihrer in der Stadt anzutreffenden Vielfalt die verschiedenen Entwicklungsstufen der weihnachtlichen Fasten- und Festspeisen besonders gut wider.

Mit den Kindern geht man heute nicht mehr zur „Frau Godel" oder einem anderen Krippenspiel,, denn sie gibt es nicht mehr, aber man besucht mit ihnen die alljährliche Krippenausstellung in der Unterkirche der Peterskirche. Man geht mit ihnen auch auf den Wiener Christkindlmarkt, der nach vielen Stationen nunmehr auf dem Rathausplatz gelandet ist.

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