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Echte Chancengleichheit in der Arbeitswelt

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Eine engagierte Gleichbehandlungspolitik bekommt durch die europäische Integration positive Impulse.

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Eine engagierte Gleichbehandlungspolitik bekommt durch die europäische Integration positive Impulse.

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Der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen gehört zu den Prinzipien des Rechts der Europäischen Gemeinschaften. In ihm manifestieren sich zwei Zielsetzungen - eine sozialpolitische und eine wettbewerbspolitische: Die Festlegung gleicher rechtlicher Rahmenbedingungen für Männer und Frauen im Bereich des Arbeitsrechts und der sozialen Sicherheit soll zur Emanzipation der Frau im Arbeitsleben beitragen. Daneben beugt die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in den Mitgliedstaaten Wettbewerbsverzerrungen vor, die auf unterschiedliche Arbeitsbedingungen für Frauen und Männer zurückzuführen sind.

Bei einer Aufnahme Österreichs in die EG wäre der Grundsatz der Gleichbehandlung auch im Bundesgebiet rechtsverbindlich. Der österreichische Gesetzgeber müßte daher in jenen Bereichen, in denen die geltende Rechtslage die Mindestanforderungen des Gemeinschaftsrechts nicht erfüllt, durch Anpassungsvorschriften für eine Rechtsangleichung “nach oben“ sorgen.

Damit wären sowohl für die Arbeitgeber als auch für die einzelnen Arbeitnehmer tiefgreifende Neuerungen auf dem Gleichbehandlungssektor verbunden.

Dies gilt zunächst für die Beachtung des Lohngleichheitsprinzips: Artikel 119 des EWG-Vertrages schreibt die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit sowohl für Leistungslohnsysteme als auch für Zeitlohnmodelle vor. Die zu diesem Artikel im Jahre 1975 ergangene “Lohngleichheitsrichtlinie“ präzisiert diesen Grundsatz dahingehend, daß nicht nur bei gleicher, sondern auch bei gleichwertiger Arbeit jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Bezug auf sämtliche Entgeltsbestandteile und -bedingungen beseitigt werden muß. Unter gleichwertiger Arbeit sind insbesondere Tätigkeiten zu verstehen, deren Ausübung zwar nicht mit denselben, wohl aber mit vergleichbaren Anforderungen und Belastungen verbunden ist. Die Einbeziehung gleichwertiger Arbeiten in den Anwendungsbereich des Lohngleichheitsprinzips besitzt große praktische Bedeutung, da Männer und Frauen wegen der weitgehenden geschlechtsbezogenen Segmentierung des Arbeitsmarktes relativ selten “gleiche Arbeit“ leisten. Ohne Erstreckung des Lohngleichheitsprinzips auf gleichwertige Arbeit käme daher dieses Prinzip in der Arbeitswirklichkeit nur selten zur Anwendung.

Bemerkenswert ist auch die Geltung des gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes des gleichen Entgelts über offene Diskriminierungen hinaus für sogenannte mittelbare oder indirekte geschlechtsbezogene Benachteiligungen. Diese liegen dann vor, wenn eine Differenzierung zwar nicht offen am Geschlecht der Arbeitnehmer, sondern vordergründig an anderen Differenzierungskriterien - etwa am Umfang der geleisteten Arbeitszeit - anknüpft, im Ergebnis aber dennoch zu einer Benachteiligung bei der Entlohnung führt.

Das geltende österreichische Arbeitsrecht sieht zwar auch ein Verbot geschlechtsbezogener Diskriminierung bei der Entgeltsfestsetzung von Paragraph zwei des Gleichbehandlungsgesetzes, untersagt nämlich insofern jede sachfremde, allein aufgrund des Geschlechts benachteiligende Differenzierung. Anders als im Gemeinschaftsrecht besteht jedoch Unklarheit bezüglich der Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgebotes auf gleichwertige Arbeit und auf mittelbare Diskriminierungen. Wegen der Rechtsverbindlichkeit der Lohngleichheitsrichtlinie in den einzelnen Mitgliedstaaten würde diese Rechts-Unsicherheit bei einem EG-Beitritt Österreichs entfallen.

Bildung als Schlüssel

Der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen geht allerdings sowohl im Gemeinschaftsrecht als auch im österreichischen Arbeitsrecht über die Entlohnung hinaus. Im einzelnen bestehen jedoch tiefgreifende Unterschiede, die zur Zeit als “Gleichbehandlungsdefizit“ der nationalen Rechtsvorschriften gegenüber dem gemeinschaftsrechtlichen Mindeststandard zu Buche schlagen.

Während das österreichische Gleichbehandlungsgesetz neben einem Gebot zur geschlechtsneutralen Stellenausschreibung nur noch die Gewährung freiwilliger Sozialleistungen ohne Entgeltcharakter und Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen auf betrieblicher Ebene in das Gleichbehandlungsgebot miteinbezieht, schreibt das Gemeinschaftsrecht den Mitgliedstaaten durch die im Jahre 1976 erlassene “ Gleichbehandlungs- oder Zugangsrichtlinie“ effektive Maßnahmen zur Verwirklichung der Gleichbehandlung hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung und zur Berufsbildung, zum beruflichen Aufstieg und in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, vor all dem kann das geltende österreichische Arbeitsrecht nichts Gleichwertiges entgegensetzen.

Im Beitrittsfalle wäre der österreichische Gesetzgeber daher verpflichtet, das bestehende Gleichbehandlungsgebot auf sämtliche vom Gemeinschaftsrecht erfaßten Sachbereiche zu erstrecken und durch geeignete Maßnahmen für dessen Verwirklichung Sorge zu tragen. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen müßten dann auch bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses, bei Fortbildungsmaßnahmen, bei Versetzungen und Beförderungen, bei der Ausgestaltung der übrigen Arbeitsbedingungen und bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich gleich behandelt werden.

Die im einzelnen notwendigen Rechtsangleichungsmaßnahmen, namentlich jene zur Beseitigung und Sanktionierung im Geschlecht des Bewerbers begründeter “Zugangsdiskriminierungen“, erforderten vom Gesetzgeber weitgehende Eingriffe in das bestehende Rechtsprinzip der Vertragsfreiheit, insbesondere in jenes der Abschlußfreiheit. Der Europäische Gerichtshof leitet aus dem Gleichbehandlungsgebot beim Zugang zur Beschäftigung zwar keinen Einstellungsanspruch des benachteiligten Bewerbers ab, verlangt jedoch eine effektive Sanktion: Bestünde diese etwa in der Festlegung einer Geldentschädigung für den diskriminierten Stellenbewerber, so müßte die Entschädigung in angemessenem Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen und über einen rein symbolischen Schadenersatz - wie die bloße Erstattung der Bewerbungskosten - hinausgehen.

Zur Effektuierung des Diskriminierungsverbots bei Begründung des Arbeitsverhältnisses sieht ein E G-Richtlinienentwurf zudem in verfahrensrechtlicher Hinsicht eine Neuverteilung der Beweislast zwischen dem Arbeitgeber und dem Stellenbewerber vor: Danach wäre der Bewerber in Zukunft von dem schwierigen Nachweis entlastet, allein des Geschlechts wegen abgewiesen worden zu sein. Statt dessen hätte der Arbeitgeber den Beweis zu führen, daß die Einstellung aus sachlichen Gründen unterblieben ist.

Der gemeinschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz erfaßt schließlich auch die gesetzlichen und die betrieblichen Systeme der sozialen Sicherheit. Männer und Frauen sind daher bei der Gewährung betrieblicher Pensionsleistungen und im Bereich des Sozialversicherungs- und sonstigen sozialen Sicherungswesens grundsätzlich gleich zu behandeln. Das Gemeinschaftsrecht beläßt den Mitgliedstaaten allerdings Regelungsspielräume zur schrittweisen Verwirklichung des Gleichbehandlungsgebots in Angelegenheiten der sozialen Sicherheit.

So bleibt etwa die Festsetzung des gesetzlichen Rentenalters der autonomen Rechtsetzung der Mitgliedstaaten Vorbehalten. Dem österreichischen Recht ist dagegen ein ausdrückliches Gleichbehandlungsgebot für den Bereich der gesetzlichen Systeme der sozialen Sicherheit fremd. Etwaige Vorrechte aufgrund des Geschlechts können insoweit nur unter Berufung auf den in Artikel sieben des Bundes-verfassungsgesetzes verankerten verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz beanstandet werden. Hinsichtlich der betrieblichen Systeme der sozialen Sicherheit kommt hingegen das oben erwähnte Gleichbehandlungsgesetz zur Anwendung, da Betriebspensionen als Entgelt anzusehen sind und die Entgeltfestsetzung der Gleichbehandlungspflicht unterliegt.

Dem gemeinschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot sind allerdings gewisse Schranken gesetzt. Nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs kann durchaus beispielsweise weder eine Verpflichtung zur geschlechtsneutralen Stellenausschreibung noch ein Gebot zur Einführung eines alternativen Karenzurlaubes für beide Eltemteile abgeleitet werden. Auch Sonderbestimmungen zum Schutz der Frau, namentlich bei Schwangerschaft und Mutterschaft, bleiben trotz ihrer mitunter nachteiligen Auswirkungen für die Chancengleichheit der Frauen auf dem Arbeitsmarkt (“Bumerang-Effekt“) weiterhin zulässig. Die Mitgliedstaaten sind jedoch verpflichtet, in regelmäßigen Abständen und unter Berücksichtigung der sozialen und technischen Entwicklung zu prüfen, ob die Frauenschutzbestimmungen nach wie vor notwendig und gerechtfertigt sind.

Zusammenfassend betrachtet, wäre ein EG-Beitritt Österreichs auf dem Gebiet der Gleichbehandlung von Männern und Frauen mit einer merklichen Rechtsangleichung “nach oben“ verbunden.

Rechtsvorangleichung ‘nach oben’

Schriften, durch die das österreichische Recht über die Mindestanforderungen des Gemeinschaftsrechts hinausgeht - wie etwa durch das Gebot zur geschlechtsneutralen Stellenausschreibung - blieben hingegen im Beitrittsfalle unberührt, sodaß eine Rechtsangleichung “nach unten“ nicht befürchtet werden müßte. Eine engagierte Gleichbehandlungspolitik würde daher durch die europäische Integration neue Impulse erfahren.

Die Autorin ist Assistentin am Institut für Arbeitsrecht und Sozialrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien.

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