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Echte Goldgräberstimmung

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Nicht nur Pro- und Kontra-Meinungen kamen beim Symposion „Gen & Recht" zu Wort. Auch der Zwiespalt zweier Grundhaltungen wurde deutlich. Auf der einen Seite die geballte Macht von Wissenschaftlern, die auf ihre fachliche Kompetenz pochen. Auf der anderen alle, die sich von dieser Phalanx überfahren fühlen.

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Nicht nur Pro- und Kontra-Meinungen kamen beim Symposion „Gen & Recht" zu Wort. Auch der Zwiespalt zweier Grundhaltungen wurde deutlich. Auf der einen Seite die geballte Macht von Wissenschaftlern, die auf ihre fachliche Kompetenz pochen. Auf der anderen alle, die sich von dieser Phalanx überfahren fühlen.

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Die Entscheidung über die Richtung, die eine kostenintensive und mit Risken behaftete Forschung nehmen soll, kann den Experten sowenig überlassen werden wie Generälen das letzte Wort über Krieg und Frieden. Die Notwendigkeit, sich als Wissenschaftler in der Beziehung zur Gesellschaft nicht als Autorität, sondern als Vertreter konkreter Anliegen im Konkurrenzkampf der Konzepte und Interessen zu verstehen, wäre ein gutes Thema für die nächste solche Veranstaltung.

Der Laie fühlt sich nicht beruhigt, wenn ihm im ex-cathedra-Ton eröffnet wird, die US-Akademie der Wissenschaften habe festgestellt, daß so etwas wie der gentechnische Supergau „sehr wahrscheinlich nicht auftreten kann" (James B. Wyngaarden) oder daß in den USA besondere Vorschriften nur noch dann auferlegt werden sollen, „wenn ein Risiko unangemessen erscheint. Und selbst dann nur in dem Ausmaß, daß der zu erwartende Nutzen der Reglementierung (hinsichtlich der Risikoreduktion) ihre Kosten (einschließlich der Minderung der Innovation) übersteigt" (Richard B. Stewart).

Er fühlt sich auch keineswegs beruhigt, wenn ihm angesichts solcher Vorwärtsstrategien in forschem Ton hohe Arzneimittel-Importkosten und die Abwanderung österreichischer Akademiker angedroht werden, wenn wir damit fortfahren, „den eigenen Schrebergarten von Schlüsseltechnologien möglichst freizuhalten" (so der Wissenschaftspublizist Peter Kudlicza) und wenn derselbe Autor die Ausführungen des US-Soziologen Charles Perrow über Risikosysteme (FURCHE 3/1988) anhand einiger aus dem Zusammenhang gerissener Sätze vom Tisch wischt.

Die Referenten, die die Heilung einiger Erbkrankheiten durch Gentechnik in Aussicht stellten, sagten selbstverständlich nicht, daß mit den dafür nötigen Mitteln ganze Bevölkerungen, die heute am Verhungern sind, gerettet werden könnten.

Der Evolutionsbiologe und Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Hubert Markl, wies schon vor längerem (FURCHE 29/1989) auf die apokalyptische Perspektive hin, noch nicht existierende Arten könnten, „in ihren Auswirkungen gar nicht überschaubare Selektionsdrucke" nutzend, die durch das weltweite Artensterben entstehenden ökologischen Nischen besetzen.

Eine ganz andere Natur

Nichts, außer ökonomischen Interessen, zwingt uns derzeit, die Zahl der Anwärter auf neue Nischen durch Freisetzung künstlich geschaffener Arten zu vermehren. Gewiß, auch eine ganz andere Natur wäre Natur. Aber nicht sicher auch eine mit Menschen.

Joachim H. Spangenberg hielt Optimisten wie Wyngaarden, der meinte, nach 18 Jahren sei „in keinem Fall eine unerwünschte Nebenwirkung einer Forschungsaktivität oder eines biotechnologisch erzeugten Produktes auf Mensch, Tier, Pflanze oder die Umwelt beobachtet" worden, entgegen, daß von 10.000 aus anderen Kontinenten eingeschleppten Arten nur eine ökologisch gefährlich wurde, solche Schäden aber erst nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten erkennbar wurden. (Bei der tropischen „Killeralge", die beim Reinigen eines Aquariums in Monaco ins Mittelmeer geschwemmt wurde und nun dessen Artenreichtum gefährdet, ging es viel schneller.)

Gentechnisch modifizierte, bei uns harmlose Nutzpflanzen könnten sich, so Spangenberg, in ihrer tropischen Heimat mit ihren Stammeltern kreuzen, weshalb man Freisetzungsversuche keinesfalls in die Dritte Welt auslagern dürfe. Aber welche Sicherheit gibt es, siehe die Killera.lge, gegen unbeabsichtigte Verschleppungen?

Man glaube, meinte Spangenberg, den Wissenschaftlern immer weniger, „weil sie sich selbst zu Lobbyisten machen". Mancher Institutsdirektor sei „heute mehr Genpolitiker als Genforscher und in öffentlichen Anhörungen härter als die Industrie, die auf ihr Image achten muß". Eine seiner Forderungen: Eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht für gentechnisch erzeugte Produkte, „denn wer den Markt immer gerne betont, sollte auch sagen: Lassen wir den Markt entscheiden".

Die Haltung des Amerikaners Craig Venter, der entschlüsselte Gen-Sequenzen des Menschen zum Patent anmelden will, illustriert die Goldgräberstimmung in der Branche und die Bereitschaft zum Durchdrücken nackter Gewinn-Interessen.

Eine baldige gesetzliche Regelung in Österreich, meinten mehrere Teilnehmer, könnte ähnlich hemmend ausfallen wie in Deutschland. Der Rechtsgelehrte Walter Selb schlug vor, die Entwicklung in anderen Staaten zu beobachten, dafür aber sofort eine verschärfte Haftungsregelung mit entsprechender Versicherungspflicht einzuführen.

Ein interessanter Vorschlag. Aber wer soll für verhängnisvolle Veränderungen der uns umgebenden Lebenswelt aufkommen, die auf die Gesamtheit der Freisetzungsexperimente zurückzuführen sind?

Wie soll man den Schaden jener juristisch begründen, die „durch den Rost fallen", wie es so schön unmenschlich heißt, wenn tatsächlich Genom-Befunde „auf freiwilliger Basis" über Job-Vergabe und berufliche Zukunft entscheiden? (Es gab schon Versuche von Arbeitgebern, an genetische Befunde von Bewerbern heranzukommen.) Wie kann man die unerwünschte Entwicklung zur „eugenischen Gesellschaft" beziffern? Und wer bezahlt den „genetischen Gau", wenn genau das eintritt, was zwar „unwahrscheinlich" aber nicht unmöglich ist und daher nicht geschehen darf?

GEN & TECHNIK. Edition Zeitthema, erhältlich im gut sortierten Zeitschriftenhandel oder direkt bei: Hargitay & List Verlag, 1010 Wien, Stadiongasse 2/7

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