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EG: Angst und Wirklichkeit

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Befürchtung: Kleine Staaten haben in der EG nichts zu reden und werden von den mächtigen Staaten unterdrückt. Die Macht im Ministerrat haben die Großen Europas in der Hand.

Die Fakten: In den Gremien der EG sind kleinere Staaten weit über ihre Bedeutung vertreten. In der Praxis ist es auch für kleinere Staaten kein Problem, gleichgesinn-te Koalitionspartner zu finden, um vitale eigene Anliegen wirkungsvoll zu vertreten und durchzusetzen. Österreich hätte als EG-Mitglied vier oder fünf Stimmen (dz. insg. 76 Stimmen) - also etwa halb so viele Stimmen wie Deutschland oder Frankreich.

Befürchtung: Die EG ist undemokratisch, denn sie wird von 17 nicht demokratisch gewählten Bürokraten - der EG-Kommission - regiert.

Die Fakten: Die Entscheidungsbefugnis über Rechtsakte in der EG liegt bei den einzelnen Mitgliedstaaten -vertreten im Ministerrat durch die jeweiligen Fachminister - und nicht bei der EG-Kommission. Die Minister unterliegen wiederum der parlamentarischen Kontrolle in ihren Heimatstaaten. Die Europäische Gemeinschaft als Entscheidungsorganisation stellt damit quasi nur die „Summe der Meinungen der Mitgliedstaaten” dar.

Befürchtung: Das Europäische Parlament - als das einzig demokratisch gewählte Organ - hat keinerlei Rechte im Rahmen der Gesetzgebung der EG.

Die Fakten: Die einzelnen Mitgliedstaaten haben sich das Recht, neue Rechtsvorschriften zu verabschieden, weitgehend vorbehalten. Dem überstaatlichen Organ „Europäisches Parlament” wurden daher ursprünglich relativ wenig Rechte übertragen. Jede institutionelle Reform hat jedoch eine Stärkung des Europäischen Parlaments mit sich gebracht. Die 518 Abgeordneten des Europäischen Parlaments werden seit 1979 alle fünf Jahre in allgemeinen Wahlen direkt von den Bürgern der EG-Mitgliedstaaten gewählt.

Befürchtung: Die Europäische Gemeinschaft regelt jedes Detail, der österreichische Nationalrat und Bundesrat werden weitgehend zu Vollzugsorganen der EG-Entscheidungen in Brüssel degradiert werden.

Die Fakten: Nach dem „Subsidiaritätsprinzip” darf die EG nur insoweit tätig werden, als die Ziele besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können als auf Ebene der Mitgliedstaaten. Mit dieser Regelung wurde die vorrangige Zuständigkeit der einzelnen

Staaten betont. Aufgrund der engen wirtschaftlichen Verflechtung hat Österreich schon immer der Notwendigkeit einer vergleichbaren Rechtslage mit den EG-Ländern Rechnung getragen. Seit 1989 werden auch formell sämtliche Gesetzes-vorhaben in Österreich auf die grundsätzliche Vereinbarkeit mit EG-Regeln geprüft.

Befürchtung: Die Bundesländer Österreichs werden viele Kompetenzen an den Bund und an Brüssel verlieren.

Die Fakten: Aus dem EG-Recht ist klar ersichtlich, welche Länderkompetenzen durch die EG-Integration berührt sind. Dies betrifft z. B. das öffentliche Beschaffungswesen, das Beihilfenrecht oder den Grunderwerb. Die jüngere Vergangenheit zeigt, daß im Zuge der Europäischen Integration das Forderungsprogramm der Länder stärker verwirklicht wurde als in den Jahrzehnten zuvor.

Befürchtung: Der Binnenmarkt ohne Grenzen wird zu einem Tummelplatz für Verbrecher und Drogenhändler.

Die Fakten: Die Notwendigkeit einer grenzüberschreitenden Verbrechensbekämpfung ergibt sich bereits heute aus der Tatsache, daß Verbrecherringe international agieren. Bestehende und vorhersehbare Grenzkontrollen stellen keine unüberwindlichen Probleme dar, Drogenhändler werden an den Grenzen meist nur nach gezielten Hinweisen gefaßt. In Zukunft können Polizeikontrollen stichprobenartig an jedem Ort in jedem Land durch die nationalen Behörden durchgeführt werden. Sie werden daher für Verbrecher weniger berechenbar.

Befürchtung: Die österreichische Staatsbürgerschaft soll nach dem Jahr 2000 enden.

Die Fakten: Artikel 8 des Vertrages von Maastricht führt eine sogenannte Unionsbürgerschaft ein, die von der Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaates unabhängig ist und somit nebenher besteht. .

Es ist somit keinesfalls daran gedacht, die Staatsbürgerschaft eines Staates abzuschaffen.

Befürchtung: Durch den EG-Beitritt wird Österreich einer Brüsseler Bürokratie -bestehend aus zigtausend Beamten - ausgeliefert.

Die Fakten: Die EG-Kommission in Brüssel beschäftigt etwa 18.000 Beamte. Im Vergleich dazu stehen im österreichischen Bundesdienst 300.000 Beschäftigte. Allein im Staatsmagistrat Wien sind mehr als 50.000 Bedienstete tätig. Die EG will (Subsidiaritätsprinzip =

Anti-Zentralismus) und kann nicht mit ihrem Beamtenstab einen „Superstaat” von 340 Millionen Einwohnern errichten oder kontrollieren.

Befürchtung: Bei einem EG-Beitritt verliert Österreich seine Identität. Es kommt zu einer Vereinheitlichung und Anpassung auf niedrigem Niveau („Europäischer Einheitsbrei”).

Die Fakten: Durch die EG-Mitgliedstaaten sind alle Schotten nicht weniger schottisch, die Flamen nicht weniger flamisch geworden. Jedes Land sieht insbesondere in der Betonung seiner kulturellen Eigenständigkeit seine Chance, sich von anderen Staaten abzugrenzen. Die EG unterstützt dies sogar durch Beiträge „zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes”.

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