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EG-Diskussion: Zwischen Euphorie und Skepsis

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Die Frage nach einem möglichen EG-Beitritt wird von Politikern und Wirtschaftsforschern mit „eher ja“ beantwortet. Auch die 31. Österreichwoche vom 23. bis 30. Oktober der Bundeswirtschaftskammer steht bereits im Zeichen der Integrationsbemühungen. Doch wie gerüstet sind wir wirklich?

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Die Frage nach einem möglichen EG-Beitritt wird von Politikern und Wirtschaftsforschern mit „eher ja“ beantwortet. Auch die 31. Österreichwoche vom 23. bis 30. Oktober der Bundeswirtschaftskammer steht bereits im Zeichen der Integrationsbemühungen. Doch wie gerüstet sind wir wirklich?

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Es scheint an der Zeit zu sein, den bereits entstandenen Flurschaden einer überzogenen EG-Euphorie und nahezu hysterischen EG-Skepsis zu begrenzen und damit zur sachlichen Analyse der Ausgangslage und der Ziele österreichischer Wirtschafts- und Europapolitik zurückzukehren.

Da die Agrarpolitik bisher der einzige Wirtschaftsbereich ist, der in den Europäischen Gemeinschaften völlig zentralistisch geregelt ist, die Agrarpolitik der EG aber auch das am stärksten von Fehlentwicklungen gekennzeichnete Feld europäischer Politik ist, rückt auch in Österreich die Diskussion um Schicksal und Zukunft der Bauern bei einer EG-Mitgliedschaft zunehmend in den

Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Diese ist derzeit im wesentlichen durch zahlreiche voreilige Schlußfolgerungen gekennzeichnet.

Wie sieht nun Österreichs Position zur derzeitigen EG-Agrarpolitik aus, und wie wird sich diese weiterentwickeln? Welchen Beitrag leistet Österreichs Agrar-und Wirtschaftspolitik, damit unsere Landwirtschaft und verarbeitende Industrie in jeder Phase und Form der europäischen Integration der Konkurrenz auf in-und ausländischen Märkten gewachsen sind? Welche Grundbedingungen stellt Österreichs Landwirtschaft für Verhandlungen und neue Vereinbarungen mit der EG?

Die Frage, ob zwischen der derzeitigen Agrarpolitik der Europäischen Gemeinschaft und der ökosozialen Agrarpolitik Österreichs ein Widerspruch besteht, ist mit einem Ja zu beantworten. In der Europäischen Gemeinschaft werden weiterhin große Betriebsstrukturen an begünstigten Standorten bevorzugt und werden mit importierten Futtermitteln in einer Landwirtschaft ohne Flächenbindung Uberschüsse produziert, die wieder exportiert werden müssen. Der ruinöse Weltmarkt für Agrarprodukte ist ein Ergebnis des Subventionswettlaufes zwischen den großen Anbietern, aber auch eine Folge des Raubbaues an der Natur.

Neben den USA und einigen anderen Regionen ist auch die EG an diesem Dilemma als Verursacher beteiligt. Österreich seinerseits bemüht sich um eine ökonomisch leistungsfähige und ökologisch verantwortliche Landwirtschaft innerhalb sozial orientierter Rahmenbedingungen zum Schutz benachteiligter Betriebe und Regionen. Solange also der Europäischen Gemeinschaft die Orientierung auf die sozialen Erfordernisse und die ökologischen Notwendigkeiten fehlt, gibt es aus österreichischer Sicht beachtliche Vorbehalte und Skepsis gegenüber der Agrarpolitik Brüssels.

Zugleich gibt es jedoch deutliche Signale der Kommission in Brüssel, im Bereich der Marktpolitik die Aufwendungen für die Marktordnung zu verringern und dafür jene für die Strukturpolitik zu erhöhen. Die in Februar 1988 auf intensives Bemühen der Bundesrepublik Deutschland beschlossene neue Akzentuierung in der Agrarpolitik ist ein erster Lichtblick.

Drittland position

Es gibt die Hoffnung, daß sich auch die Europäische Gemeinschaft künftig verstärkt an den Erfordernissen einer umweltgerechten Wirtschaftsweise und den Grundvoraussetzungen der Infrastrukturen intakter ländlicher Regionen orientieren wird müssen.

Unabhängig von der weiteren Entwicklung der Agrar- und Wirtschaftspolitik der Europäischen Gemeinschaft hat Österreichs Land- und Forstwirtschaft schon jetzt umfassende eigene Anstrengungen zu unternehmen, um durch die Fortsetzung der Reformen in der Produktions-, Verarbeitungs- und Vermarktungsstruktur die eigene Leistungsund Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Gerade Österreichs Land-und Forstwirtschaft ist dem internationalen Konkurrenzdruck schon jetzt besonders ausgesetzt. Bei dem 1972 zwischen Österreich und der Europäischen Gemeinschaft abgeschlossenen Freihandelsabkommen wurde die Landwirtschaft ausgeschlossen. Dabei wurde nur vereinbart, der bilaterale Agrarhandel möge sich „harmonisch“ entwickeln. Das Ergebnis dieser harmonischen Entwicklung ist die Steigerung des Agrar-handelsbilanzdefizites auf das Achtfache innerhalb von 15 Jahren. Österreichs Landwirtschaft ist allen negativen Konsequenzen einer Drittlandposition gegenüber der EG ausgesetzt und trägt sehr schwer an der konsequenten Anwendung der Abschöpfungsund Erstattungsregelungen der EG.

Zu den ersten Grundbedingungen der Landwirtschaft für EG-Gespräche Österreichs gehört es daher, daß künftig keine Verhandlungen geführt oder Vereinbarungen abgeschlossen werden, in die die Landwirtschaft nicht eingebunden wird. Ebenso unverzichtbar ist eine zweite wesentliche Grundbedingung: Es gilt, den nationalen Grundkonsens über die Erhaltung einer bäuerlichen Landwirtschaft in allen Teilen Österreichs zu verankern und daraus die erforderlichen Konsequenzen insbesondere im Bereich der Budget- und Wirtschaftspolitik zu ziehen.

Von den gestellten Fragen läßt sich derzeit nur eine einzige, nämlich jene nach der weiteren Entwicklung der österreichischen Land- und Forstwirtschaft, einigermaßen abschätzen. Wie sich die EG-Agrarpolitik weiterentwickelt und welche Form und welchen Inhalt ein weiteres Abkommen Österreichs mit der EG haben wird, ist derzeit völlig offen. Daher ist Vorsicht geboten, wenn über die negativen oder positiven Konsequenzen einer Teil- v nähme Österreichs am EG-Binnenmarkt für einzelne Betriebe und Branchen diskutiert wird.

Europa ist mehr als EG

Zu dieser differenzierten Position zum Thema EG gehört noch eine wesentliche Anmerkung: Europa ist mehr als nur die Europäische Gemeinschaft, wenn auch die EG ein bestimmender wirtschaftspolitischer Faktor ist. Die Schaffung des EG-Binnenmarktes ist ein ambitioniertes und für alle Staaten Europas bedeutungsvolles Vorhaben. Die Verantwortung für die Zukunft Europas ist aber umfassender.

Der Autor ist Bundesminister für Land-und Forstwirtschaft.

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