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,,Eh als erster rehabilitiert..."

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Am 25. April treffen die er-. sten 350 nach dem Februar 1934 geflohenen öster-reichischen Schutzbündler in Moskau ein. Ernst Fischer, ehe-maliger Redakteur der "Arbei-ter-Zeitung", fährt ihnen an die Grenze entgegen, in jeder Station werden sie gefeiert, die Sowjetuni- " on bereitet den "Barrikadenkämpfern" einen rauschenden Empfang. Mit den Fa-milienmitgliedern wird ihre Zahl auf rund 1.000 wachsen. Rührend kümmern sich die Be-hörden um die Kinder hinge-richteter, gefallener oder in Österreich zu langen Strafen verurteilter Sozialdemokraten - viele werden in der Roten Armee fallen. Die Schutzbündler waren für Moskau Munition gegen die Sozialdemokratie, bald hatten die "Gäste" ein immer höheres Plansoll an Beschimpfungen ihrer einstigen Führer zu erfüllen. Manche kehrten heim, ungeachtet der hier drohenden Strafen. Andere kämpften im Spanischen Bürgerkrieg; wer überlebte und in die Sowjetunion zurückfuhr, geriet in die große Säuberung oder zwischen die Mühlsteine des Hitler-Stalin-Paktes.

13 Schutzbündler, die in Gorki gelebt hatten, wurden bei Brest-Litowsk vom NKWD Hitlers Gestapo übergeben. Gustav Deutsch, der wegen seiner Begeisterung für die Sowjetunion in Konflikt mit seinem Vater Julius Deutsch geriet: verurteilt und hingerichtet an einem Sommertag 1939. Seine Frauverbüßte acht Jahre Lager. Heinz Roscher, Schutzbundkommandant von Floridsdorf, Schlüsselfigur der Februarkämpfe und der Schutz-bund-Emigranten in der Sowjet-union: Anfang Februar 1938 gegen Mitternacht abgeholt, starb in der Haft an "Herzschwäche". Sein damals zwölfjähriger Sohn erinnerte sich später an das großspurige Gerede eines anderen Schutzbund-emigranten in Moskau, der nach Roschers Verhaftung erklärte, nie-mand werde grundlos verhaftet -wenige Tage später wurde er selbst geholt.

Margarete Buber-Neumann traf auf einem Gefangenentransport mit drei oder vier Schutzbündlern zu-sammen, deren Namen sie sich nicht merkte. Zwei Floridsdorfer " Schutzbundkinder", mittlerweile 17 oder 18 Jahre alt, wurden von einem Schutzbundobmann in einem Durchgangslager in Swerdlowsk gesehen, wo sich eine ganze Kinderkolonie auf den Weg ins Lager machte. Als sie nach dem Krieg wieder ein-mal Gewißheit über das Schicksal ihres Mannes suchte, wurde die Witwe des Schutzbündlers Franz Quittner von KPÖ-Chef Fürnberg angefahren, er habe ihr vor dem Krieg gesagt, daß ihr Mann tot sei, im übrigen habe der NKWD schon im Krieg den KPÖ-Füh-rern sein Bedauern ausgedrückt, daß ein so wertvoller Genosse unschuldig unter die Räder gekommen sei, worauf er ja als erster rehabilitiert worden sei...

Im "Archipel Gulag", wie Alexander Solschenizyn die Gesamtheit der Lager, die der zentralen Moskauer Ver-waltungsstelle "Gulag" unter-standen, nannte, starb auch eine größere Zahl österreichi-scher Sozialdemokraten, die 1934 meist über Prag nach Rußland emigrierten. Niemand kennt ihre genaue Zahl.

Quelle: "Opfer verlorener Zeiten - Ge-schichte der Schutzbundemigration 1934" von Karl R. Stadler, Europaverlag, Wien 1974.

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