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Ehe und Familie heute"

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Die Ehelehre der r.-k. Kirche: Der

Wesenskern der katholischen Ehelehre, nämlich das Zusammenleben von Mann und Frau in Liebe und Treue, bis der Tod sie scheidet, zählt zum wertvollsten Bestand der kirchlichen Lehre überhaupt. Die katholische Kirche ist darüber hinaus heute der einzige Garant in dieser Welt für das Uberleben dieser zu den höchsten kulturellen Errungenschaften der Menschheit zählenden Institution.

Es ist vordringliche Aufgabe der Kirche, bei den Gläubigen und in der übrigen Welt das zum Teil verlorengegangene Verständnis für diese scheinbar so überstrenge, in Wahrheit aber wie kaum eine andere die Liebe zwischen Mann und Frau, aber auch zwischen den Menschen überhaupt fördernde Einrichtung wieder zu wecken.

Fehlhaltungen aus historischer Entwicklung: Die ersten zweitausend Jahre christlicher Geistesgeschichte zeigen keineswegs immer eine positive Haltung zur menschlichen Sexualität. Vielmehr wurde Geschlechtlichkeit auch in der Ehe zum Teil bis in unser Jahrhundert hinein als nahezu schlecht an sich betrachtet - in abgeschwächtem Maße auch dann, wenn ein eheliches Kind Ziel des Vollzuges der ehelichen Liebe war.

Die minuziöse Einteilung des menschlichen Körpers in partes hone-stae („ehrsame Teile") und mehr oder

weniger inhonestae („unehrsame") stand noch in diesem Jahrhundert in den gängigen Lehrbüchern der katholischen Moraltheologie.

Diese Leibfeindlichkeit der Christen stammt zum Teil aus vor- und außerchristlichen Traditionen, hängt wahrscheinlich auch mit dem falschen Endzeitglauben der Urchristen und ihrer Opposition zur offenbaren Unmoral in den Götterhimmeln Athens und Roms zusammen, und war im übrigen immer noch geringer als in anderen großen Weltreligionen (z. B. keine genitale Verstümmelung).. .

Noch bestehende Fehlhaltungen: In diesem Jahrhundert hat sich im kirchlichen Denken eine durchaus positive Bewertung der Geschlechtlichkeit des Menschen durchzusetzen begonnen.

Die Beurteilung des Erwachens der Sexualität in jungen Menschen ist im Lichte der modernen Psychologie und besonders der Tiefenpsychologie noch im Gange, eine positive Entwicklung zeichnet sich ab.

Während die Ablegung eines sogenannten ewigen, aber durchaus nicht unauflöslichen, mit Ehelosigkeit verbundenen Ordensgelübdes einer in den meisten Fällen vieljährigen und mehrstufigen Vorbereitung und Überlegung bedarf, ist der Abschluß der sakramentalen kirchlichen, bis zum Tode unauflöslichen Ehe praktisch eine unter gewissen Voraussetzungen jedermann innerhalb weniger Tage bis Wochen zugängliche Formalität.

Diese auch von staatlichen Ehebehörden vieler Länder nachgeahmte oder sogar übertroffene, geradezu merkwürdige Trauungspraxis ist sicher einer der Gründe für das häufige und frühe Scheitern von Ehen . . .

Neues Verständnis von Liebe und Ehe: In einem Zeitraum von nur fünfzig Jahren, also etwa seit der Enzyklika „Casti Connubii", hat das katholische Verständnis von Ehe, Familie und menschlicher Fruchtbarkeit geradezu historische Fortschritte gemacht.

Statt von der sogenannten ehelichen Pflicht spricht man jetzt von der „Verpflichtung zur gegenseitigen ehrfurchtsvollen Liebe und Treue".

Das echt einseitige „remedium con-cupiscentiae" ist einer positiven Auffassung von der ehelichen Liebe und Freude gewichen. Die Einbeziehung der gesicherten Erkenntnisse der modernen Geistes- und Naturwissenschaften, vor allem der Psychologie und der Medizin, ist nicht abgeschlossen, aber voll im Gange...

Die in unserer Kulturtradition tief verwurzelte Intimität des Geschlechtes sollte als wertvolles Gut bewahrt, aber nicht kleinlich etwa am Ausmaß der Körperbedeckung gemessen werden . . .

Aufwertung von Ehe und Familie: Die Bereiche der Familie einerseits und des außerhäuslichen Erwerbsberufes andererseits stehen derzeit soziologisch vielfach in einem gewissen Wettbewerbsverhältnis. Hiebei besteht die Gefahr der Uberwertung des Erwerbsberufes und der Unterbewertung der Ehe und Familie.

Die Aufwertung vor allem der Frau und Mutter als „Seele der Familie" und ihre Befreiung vom Zwang (!) zum außerhäuslichen Broterwerb erscheint vordringlich in der Familienarbeit von Kirche und Gesellschaft. . .

Geschlechtliche Askese: Das Ideal ' der totalen Enthaltung von ehelicher Liebesvereinigung außerhalb der Ehe -also vor, während und nach der Ehe oder bei freiwilliger oder unfreiwilliger Ehelosigkeit - ist entsprechend der kirchlichen Tradition und trotz aller gegenläufigen Massenströmungen ungeschmälert hochzuhalten . ..

Bei Nichterreichen dieses Ideals der geschlechtlichen Enthaltsamkeit außerhalb der Ehe ist die wirksame Verhinderung einer Empfängnis zweifellos als malum minus („geringeres Übel") sittlich berechtigt und sogar verpflichtend. Andererseits besteht das uneingeschränkte Lebensrecht des einmal gezeugten Kindes unabhängig von der Frage, ob und wieweit sein Vater und/ oder seine Mutter bei seiner Zeugung verantwortungsvoll gehandelt haben.

Menschliche Fortpflanzung: Sowohl für das einzelne Ehepaar wie auch für die Gesamtbevölkerung zahlreicher Regionen dieser Welt ist im 19. und 20. nachchristlichen Jahrhundert eine in der Menschheitsgeschichte erstmalige Situation entstanden: rein mathematische Gegebenheiten einerseits und enorme medizinische Fortschritte mit Verdopplung der durchschnittlichen Lebenserwartung andererseits haben bewirkt, daß sich die Zahl der auf der Erde lebenden Menschen seit 1930 mehr als verdoppelt hat.

Es wird also in 20 Jahren, im Jahr 2000 -nach Christi Geburt, allein ca. 2200 Millionen Jugendliche unter 20 Jahren geben!

Damit ist im vorigen und in diesem Jahrhundert erstmalig die biologisch mögliche Fruchtbarkeit von der sozial zu verantwortenden Fruchtbarkeit des Menschen größenordnungsgemäß weit auseinanderklaffend.

Die mit diesem schnellen und immer schnelleren Wachstum der Menschheit verbundenen Probleme nicht nur der Befriedigung der materiellen Bedürfnisse innerhalb eines endgültig begrenzten Lebensraumes, sondern vor allem auch die Problematik der Uberforderung der Menschen in der Weitergabe der geistigen und kulturellen Werte in ausreichendem Maße wurde in der außerkirchlichen Welt intensiv, innerhalb der römisch-katholischen Kirche jedoch noch relativ wenig diskutiert.

Neben der sittlichen Verpflichtung der Verantwortlichen, immer bessere Ernährungs- und Bildungsmöglichkeiten zu schaffen, resultiert sicherlich auch die Verpflichtung des einzelnen und der Gemeinschaft, die Zahl der Kinder verantwortlich zu beschränken.

Diese schwere soziale Verpflichtung vor allem jedes einzelnen Ehepaares wurde übrigens seit dem II. Vaticanum von der katholischen Kirche mehrfach anerkannt, aber vielleicht noch immer nicht in ihrer vollen Bedeutung gesehen . . .

Voraussetzungen Tür kirchliche Eheschließung: Schon im Hinblick auf die kulturellen, sozialen und bildungsmäßigen Unterschiede ist eine allgemein gültige Formel kaum denkbar. Jedoch sollen in der Erarbeitung von Richtlinien folgende Gesichtspunkte Beachtung finden:

• nbsp;ausreichende Vorbereitung durch pflichtmäßige Absolvierung gewisser Bildungsvorgänge, die allenfalls mit einer echten Prüfung abgeschlossen werden sollten! nbsp;*

• nbsp;ausreichendes Lebensalter;

• nbsp;ausreichende Uberlegungszeit. Ein pflichtgemäßes einjähriges

kirchliches Aufgebot mit jederzeitigem einseitigem Rücktrittsrecht, also sozusagen eine pflichtgemäßige einjährige Verlobungszeit, ein Mindestalter von etwa 21 oder 22 Jahren sowie die Verpflichtung, während der Aufgebotsfrist gewisse Bildungsvorgänge nachweislich zu durchlaufen. Wären vorstellbar.

Weder die Tatsache, daß die Brautleute schon in eheähnlicher Gemeinschaft leben, noch die Tatsache einer bestehenden Schwangerschaft sollten von diesen Bedingungen für eine kirchliche Eheschließung dispensieren können.

Gültigkeit der kirchlich geschlossenen Ehen: Anstelle des heute rein formalen Vorganges der Versicherung der Freiwilligkeit sollte ein ernsthaftes Prüfungsverfahren stattfinden, damit festzustellen ist, ob die religiösen, moralischen, allgemein menschlichen, daher im weitesten Sinne auch die gesundheitlichen und sozialen Voraussetzungen die positive Bewältigung des gemeinsamen Ehelebens überhaupt erwarten lassen.

Auch die Erklärung der Nichtigkeit einer Ehe durch die kirchlichen Rechtsbehörden sollte sich nicht wie bisher vorwiegend auf formale Gründe, sondern auf die Uberprüfung aller wesentlichen Voraussetzungen und Bedingungen für die seinerzeit erfolgte Eheschließung stützen.

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