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Eher ein Sprung daneben

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„Wenn reife Frauen fremdgehen”: Aufregende hochsommerliche Lektüre in der Illustrierten „Die Bunte” (Nummer 31) gibt Tips zur Belebung von müden Ehen.

Vier Frauen über 40 berichten darin, was die „Flucht in das kurze Glück” für sie bedeutet, warum sie sich einen jungen Liebhaber „nehmen”, erzählen über die „Stunden voll Glanz und Abenteuer” und warum sie letztendlich aber trotz allem wieder gerne zu Ehemann und Familie zurückkehren. Einer der vier dazugehörenden Ehemänner ist mit dem, was seine Frau tut, sogar voll einverstanden. „Genieße Dein Leben”, meint er, denn „Du bist noch jung und attraktiv.”

In diesem Zusammenhang ist natürlich auch viel von „durchtrainierten, braungebrannten Frauenkörpern” die Rede, von glänzenden Augen, wenn die Frauen von ihrem nun „endlich eigenen Leben” berichten. Ehebruch als Ehetherapie?

Viel ist vom Ausfüllen der entstandenen Leere die Rede, die eben dann entsteht, wenn die Kinder flügge werden, wenn der Mann immer mehr in Karriere und Arbeit verstrickt wird, sich immer weniger für seine eigene Frau interessiert.

Für eine der Frauen sind Männer, die keine Fragen stellen, ein „unheimlicher Liebesbeweis”. Li-aisonen machen Ehen srst zu „wirklichen” Ehen. Untreue aus Angst vor dem Alter gilt als entschuldbar.

Statements wie „ein gefühlsmäßiger Ausgleich in ihrer Ehe war nicht in Sicht” sind die grüne Ampel für freie Fahrt in die außereheliche Beziehung.

Besagter Artikel endet mit dem leicht pathetischen Schluß: „Vier verheiratete Frauen, die ihre Männer, oft über lange Zeit, betrogen haben oder noch betrügen. Vier Schicksale, die beispielhaft sind für all jene Hausfrauen, die jahrelang nur für Mann und Kinder da waren und nun, jenseits der Vierzig, die entstandene Leere mit einer neuen, aufregenden Liebe ausfüllen. Einer Liebe, die sie, an der Schwelle des Alterns, noch einmal in ihrer Weiblichkeit bestätigen, ihnen neue Kraft schenken soll.” •

Soweit, so schlecht. Daran ändert auch eine beigefügte „wissenschaftliche” Erklärung der Sachlage durch den „weltberühmten” Schweizer Psychologen Max Lüscher nicht viel, der zusätzliches Ol in das ausgebrannte Feuer der gefühlsverlassenen Frauen über vierzig gießt.

Ich will mich hier nun keinesfalls als Moralistin üben. Es geht mir vielmehr darum, diese Art von „Lebenshilfe” als solche zu disqualifizieren, da sie an der echten Problematik von Frauen in den sogenannten „mittleren Jahren” vorbeigeht.

Ich habe selbst an vielen Frauen-Seminaren, die die „mittleren Jahre” zum Thema hatten, nicht nur teilgenommen, sondern habe solche Seminare auch geleitet. Erzählungen, Erlebnisse und Erfahrungen von Frauen dieser Altersstufe widersprechen dem Tenor dieser „Reife-Frauen-gehen-fremd”-Mentalität ganz grundlegend.

Sicher erleben Frauen diese Phase ihres Lebens als eine gewisse Leere und als eine Zeit großer äußerer und innerer Umstellungen. Und es bleibt keiner von ihnen erspart, diese Leere zu erfahren und sich gezwungen zu sehen, neue Wege für sich zu finden.

Das Leben ist an einem Wendepunkt angelangt, und man muß sich neu orientieren. Frauen von heute wissen, daß sie noch fast die Hälfte ihres Lebens vor sich haben und daß sie ihre Rolle als Frau neu überdenken und neu gestalten müssen. Durch Nachdenken über Vergangenes und ein Sich-Bewußtmachen des Gegenwärtigen entdecken sie, wieviel für ihre Zukunft an Sinn und Liebe noch „drin” ist.

Es ist nicht selten, daß Frauen gerade in dieser Zeit entdecken, daß es noch ein großes Potential menschlicher und geistiger Möglichkeiten für sie gibt. Darunter verstehe ich die Beschäftigung mit Menschen und Dingen, zu denen die bisherige Lebenssituation durch das Gebrauchtwerden keine Möglichkeit bot.

Ebenso stellen Frauen in diesem Lebensabschnitt fest, daß sämtliche Erfahrungen, die sie bis jetzt im Leben gemacht haben, menschlichen Reichtum und Reife bedeuten. Das Leben ab vierzig ist kein Anlaß zur Panik, sondern es ist die Möglichkeit für Neues auf vielen Gebieten. „Mit dem Geschaffenen umgehen lernen” ist einer der Leitsätze dieser Seminare.

Um selbst jung zu bleiben, muß man nicht in eine Beziehung zu einem anderen oder jüngeren Mann flüchten. Frauen dieser Altersstufe sind selbstbewußt, sie haben ihre innere und äußere Form gefunden, sind sich ihrer selbst „bewußt” geworden. Jede Form des krampfhaften „noch einmal jung sein” wird als das erlebt, was es ist: als .ein Illustrierten-Krampf.

Viel eher erlebe ich, daß Frauen besonders in diesem Stadium neuerlich beginnen, ihre Partnerbeziehung zu überdenken und an ihr zu arbeiten. Die bestehende Beziehung wird sehr oft vertieft und verbessert. Vollkommenheit ist nicht der „braungebrannte, durchtrainierte Frauenkörper”, Vollkommenheit ist das jeweils einzigartige, sich verändernde, schwierige Leben jeder Frau.

Wie wenig wiegt der vielgepriesene Rausch einer kurzen Beziehung gegen die reife, gewachsene Beziehung zweier Menschen, die zueinander stehen!

Uber die fortschreitende Zerstörung unserer ökologischen Umwelt wird heute pausenlos berichtet. Parallel dazu wird aber durch Artikel wie diesen sehr viel Wertvolles im menschlichen Bereich zerstört, zerredet.

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