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Ehrgeizige Abwehrpläne

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Ronald Reagans SDI-For-schungsprogramm zielt auf die Überwindung der bisherigen Nuklear-Strate-gie und vermeint, daß die Sowjets sich an die neuen Bedingungen anpassen.

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Ronald Reagans SDI-For-schungsprogramm zielt auf die Überwindung der bisherigen Nuklear-Strate-gie und vermeint, daß die Sowjets sich an die neuen Bedingungen anpassen.

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Am 12. März treffen sich die Vertreter beider Supermächte in Genf zu Gesprächen über die Verminderung der nuklearen Waffenarsenale .im strategischen und im Mittelstrecken-Bereich sowie zur Begrenzung von Rüstungs-

Programmen für den Weltraum. Gerade die Weltraumrüstung kann sich zum kompliziertesten Verhandlungsgegenstand überhaupt entwickeln. Denn mit ihr hängen Ronald Reagans ehrgeizige Pläne eines Raketenabwehrsystems zusammen, offiziell als „Strategische Verteidigungsinitiative” (SDI) bezeichnet, von Skeptikern und Gegnern bedrohlich als „Star Wars”- oder Ster-nenkriegs-Programm tituliert.

US-Präsident Reagan und seine Berater in Nuklearstrategie-Fragen haben mit dem SDI-For-schungsprogramm Einzigartiges vor: Ihnen geht es darum, die seit 20 Jahren existierende Strategie der „Beiderseits gesicherten Vernichtungsfähigkeit” (MAD s= Mutual Assured Destruction) zu überwinden. Denn, so Reagan, die Grundannahmen des MAD-Kon-zeptes — das Gleichgewicht der Kräfte und eine fehlende Alternative zu dieser Strategie — würden zusehends fragwürdiger. Reagan wörtlich:

„Das Tempo der sowjetischen Aufrüstung bei den Offens-iv- wie bei den Defensivwaffen hat das Gleichgewicht in den Bereichen, die in Krisenzeiten am wichtigsten sind, ins Wanken gebracht. Darüber hinaus stehen heute moderne Technologien zur Verfügung, die eine tatsächlich wirksame nichtnukleare Verteidigung möglich machen. Aus diesen Gründen und wegen der schrecklichen Zerstörungskraft nuklearer Waffen müssen wir nach anderen Mitteln der Kiegsverhü-tung Ausschau halten. Dies ist militärisch wie auch moralisch geboten.” (Siehe auch Kasten „US-Präsident Reagan zur SDI”, Seite 7).

Die „anderen Mittel zur Kriegs-

Verhütung”, auf die die Reagan-Administration setzt, sind noch zu erforschende und entwickelnde Raketenabwehrsysteme modernster technologischer Art, die sowohl im Weltraum, auf U-Booten zur See und auf dem Boden stationiert werden können. Zur Erforschung dieser Systeme will die US-Regierung in den nächsten fünf Jahren 26 Milliarden Dollar zur Verfügung stellen.

Eine von mehreren Fußangeln für diese ganze Strategische Verteidigungsinitiative könnte der ABM-Vertrag von 1972 werden, der die Systeme zur Abwehr ballistischer Raketenauf 100 Abwehrraketen begrenzt, Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet freilich erlaubt. Während die USA ihr Raketenabwehrsystem vor Jahren, wieder aufgegeben haben, installierten die Sowjets rund um ihre Hauptstadt Moskau einen Raketenabwehr-Gürtel. Außerdem haben sie nahe der zentralsibirischen Stadt Krasno-jarsk eine Großradaranlage zum Zwecke der Erfassung angreifender Raketen bauen lassen, was gegen den ABM-Vertrag verstößt und was Reagan dem Kreml erst am vergangenen Wochenende wieder anklagend unter die Nase gerieben hat.

Hingegen besteht Reagan darauf: „Die SDI-Forschungsarbei-ten stehen im Einklang mit allen unseren vertraglichen Verpflichtungen, auch mit dem ABM-Vertrag von 1972.” Stimmt vorläufig. Aber was dann, wenn die Forschungsarbeiten im Labor abgeschlossen sind und es um die konkrete Realisierung des Projektes geht?

Auf ihre technologische Überlegenheit setzend — die SDI-Kritiker allerdings absolut nicht als Erfolgsgarantie für das Abwehrsystem betrachten —, sehen die Befürworter der Strategischen Verteidigungsinitiative die Sowjets 'vor den amerikanischen Leistungen schon in die Knie gehen. Gerold Yonas, Verantwortlicher des Pentagon für das SDI-For-schungsprogramm, meint: „Eine glaubwürdige amerikanische Weltraum-Verteidigung gegen ballistische Raketen ließe den Sowjets wenig Optionen offen und würde sie veranlassen, weitere Investitionen in nukleare Offensivwaffen aufzugeben und auf ihre Strategie des Erstschlags zu verzichten.” (Siehe auch Kasten „Argumente für die Raketen-Abwehr”, Seite 6).

Neue Rüstungsgründe

Genau vor diesen Wunschvorstellungen aber warnen amerikanische SDI-Kritiker eindringlich: Gerard Smith, US-Unterhändler beim SALT-I- wie beim ABM-Vertrag etwa meint: „Die Sowjets werden gewiß nicht das tun, was wir von ihnen gerne hätten, nämlich ihre Strategie auf unsere abstimmen.”

SDI-Kritiker wie Seweryn Bialer (siehe obenstehenden Beitrag) fürchten vielmehr, daß Reagans „Star War-Pläne” zu einer gigantischen neuen Rüstungsrunde — gerade im Bereich der strategischen Offensiv-Waffen — führen werden und damit das Gegenteil von dem erreicht wird, was die Strategische Verteidigungsinitiative nach den Worten des Präsidenten bezwecken sollte: Stabilität zwischen den Supermächten schaffen.

Der MIT-Professor Jack Runia begründete dies bei einem Symposium des Aspen-Institutes in Berlin vor kurzem so: „Der Rüstungswettlauf hat gezeigt, daß es eine Antwort zu jedem Schritt gibt, den eine Seite unternimmt. Jeder der beiden Widersacher hat noch immer verbesserte offensive Waffen bauen können, um das jeweilige Defensiv-System des anderen zu übertrumpfen.”

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