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Eidgenossen, Leidgenossen

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In der Debatte um den neuen Bischof von Chur, Wolfgang Haas, geht es nicht nur um die wesentli- che Frage, aus welcher Glaubens- haltung der neue Oberhirte amtiert - es geht auch darum, ob es in der Kirche von heute kollegial oder wenigstens rechtlich korrekt zugeht und wie glaubwürdig sie in der Öffentlichkeit wirkt.

Haas wurde vor zwei Jahren zum Bischofskoadjutor mit Nach- folgerecht ernannt. Das Recht des Churer Domkapitels, im Falle einer Sedisvakanz (eine solche sei ja nicht eingetreten, erklärten die Befür- worter der Haas-Bestellung spitz- findig) aus einem Dreiervorschlag des Heiligen Stuhls den Bischof zu wählen, wurde von Rom umgan- gen. Proteste aller Art - vom Men- schenteppich bis zur Note an den Vatikan - blieben damals erfolglos.

Der bisherige Bischof Johannes Vonderach machte keine gute Fi- gur. 1988 erklärte er zu einem Zeit- punkt, als das Dekret für Haas schon drei Tage unterschrieben war, er wisse nichts von dessen Ernennung. Dann kündigte er an, sicher bis zu seinem 75. Geburtstag zu amtieren, trat aber nun doch ein Jahr früher zurück - und so kam es plötzlich am 22. Mai 1990 zum Amtsantritt von Haas als Bischof von Chur. Über- rascht wurde davon auch der Präsi- dent der Schweizer Bischofs- konferenz, Joseph Candolfi, der sagte, ihm habe Papst Johannes Paul II. noch im Jänner 1990 eine gütliche Lösung in Chur verspro- chen, und Sorge äußerte: „Seit ich vor anderthalb Jahren Präsident der Bischofskonferenz geworden bin, ist die Situation in der Diözese Chur immer schlimmer geworden."

Der Kanton Schwyz hat alle Rechtsmittel gegen die Bestellung von Haas ausgenützt und Kontakte zur Diözese auf ein Minimum redu- ziert. Der Kanton Graubünden pocht auf den seit 1824 päpstlich verbrieften Anspruch, daß in Chur ein Bündner Bischof sein müsse, und anerkennt Haas, der Liechten- steiner ist, nicht. Bis ins Parlament, wo der Zürcher Nationalrat Rolf Seiler von einem „offenen Aufruhr" in der katholischen Kirche der Schweiz sprach, erregt das Thema die Gemüter, nicht zuletzt aufgrund der Einstellung von Haas gegen- über Laien, insbesondere Frauen.

Die Diözese Chur zählt im Für- stentum Liechtenstein und in den Schweizer Kantonen Graubünden, Uri, Schwyz, Ob- und Nidwaiden, Glarus und Zürich rund 700.000 Gläubige (davon400.000 in Zürich). Die Ernennung von Haas, der so- fort den beliebten Generalvikar für Zürich, Gebhard Matt, abberief, verstärkte den Wunsch nach einer eigenen Diözese Zürich.

Der neue Zürcher Generalvikar Christoph Casetti und andere füh- rende Mitarbeiter des neuen Bi- schofs stehen wie dieser selbst dem „Opus Dei" nahe. Positiv zur Er- nennung von Haas äußerte sich der Feldkircher Bischof und ehemalige österreichische „Opus Dei"-Vikar Klaus Küng, aber auch der in Fri- bourg lehrende österreichische Theologe Christoph Schönborn: Die Kirche der Schweiz erlebe einen nötigen „Klärungsprozeß", es gebe viele Leute, die „ froh sind, daß Haas Bischof geworden ist".

Anton Camenzind, Dekan von Zürich-Stadt, meint hingegen, daß „allerhöchstens 20 Prozent der Seelsorger" hinter dem neuen Bi- schof stehen. Zu Pfingsten läuteten aus Protest im ganzen Bistum die Kirchenglocken. Die diese Woche tagende Schweizer Bischofs- konferenz wurde massiv auf- gefordert, für einen Amtsverzicht von Haas zu intervenieren und sich ihrer Verantwortung im Hinblick auf eine drohende Kirchenspaltung bewußt zu werden.

Für 17. Juni ist eine große Pro- testkundgebung geplant. Bischof Haas scheint zumindest praktischer Ungehorsam und Isolierung seitens großer Teile der Kirche bevorzu- stehen. Aber auch die Haas-Kriti- ker beschwören die Gläubigen, nicht aus der Kirche auszutreten.

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