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Eigendynamik der Technik brechen

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Wachstum, Leistung, Konkurrenz, Freiheit sind derzeit die alles beherrschenden Triebkräfte unserer technischen Entwicklung. Diese Einseitigkeit ist auf lange Sicht schädlich.

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Wachstum, Leistung, Konkurrenz, Freiheit sind derzeit die alles beherrschenden Triebkräfte unserer technischen Entwicklung. Diese Einseitigkeit ist auf lange Sicht schädlich.

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Auf den ersten Blick muß fast der Eindruck entstehen, als habe die wissenschaftlich-technische Entwicklung eine solche Eigendynamik gewonnen, daß sie Arbeit und Leben der Menschen weitgehend beherrscht, was sich teils positiv, oft aber auch negativ auswirkt.

Dem technologisch Möglichen und Machbaren scheint sich niemand mehr entziehen zu können. Eine solche dem technologischen Fortschritt inhärente Tendenz ist sicher nicht einfach von der Hand zu weisen.

Eine genauere Analyse zeigt freilich, daß diese Eigendynamik der Technologie in der in den Industrieländern vorherrschenden Wirtschaftsweise grundgelegt ist.

Nationale Ökonomien wie Weltwirtschaft stehen weitgehend unter dem selbstgewählten Diktat von Grundsätzen wie Wachstum, Markt, Freihandel, Leistung, Konkurrenz und individuelle Freiheit.

Innerhalb dieser wirtschaftlichen Rahmenordnung aber kommt dem technologischen Fortschritt eine so zentrale Funktion zu, daß er immer mehr zum leitenden Prinzip wird, welches die sozio-ökonomische Gesamtentwicklung lenkt und prägt.

Diese Entwicklung war zumindest für die Industrieländer durchaus wünschenswert, solange eine offensichtliche Knappheit an wesentlichen Gütern bestand und negative Begleiterscheinungen durch eine immer umfassendere Sozialpolitik gemildert werden konnten.

Seit einiger Zeit erweist sie sich jedoch als zunehmend fragwürdig, einmal aus ökologischen Gründen, zum anderen weil sich gewisse Konsumgrenzen abzuzeichnen beginnen. Will man sich nicht zu Tode konsumieren, sei es wörtlich, sei es durch Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, und dennoch möglichst allen Menschen Arbeit und ausreichendes Einkommen ermöglichen, dann bieten sich eigentlich nur zwei mögliche Auswege an.

Die erste Alternative besteht in der Eroberung ausländischer Märkte. Innerhalb der Industrieländer gibt es dafür allerdings nur wenig Spielraum, da sie alle in der mehr oder weniger gleichen Situation sind und sich höchstens gegenseitig zu Tode konkurrieren können.

Damit aber bleiben nur noch die Märkte der Dritten Welt übrig, da diese Länder in der Weltwirtschaft eine strukturell abhängige und damit schwache Position einnehmen. Das hat allerdings für die Armen in diesen Regionen verheerende Folgen.

Die andere Alternative setzt bei der Wirtschaftsweise selbst an. Sie kann wohl nur darin bestehen, entweder das Tempo des Produktivitätszuwachses und damit der technologischen Entwicklung erheblich zu bremsen oder aber die Arbeit durch Verkürzung der individuellen Arbeitszeit gleicher zu verteilen.

Die gegenwärtig in den Industrieländern angepriesenen und praktizierten Lösungsvorschläge sind leider meist wenig überzeugend. Statt an den Wurzeln der Probleme anzusetzen, begnügen sie sich mit den Symptomen.

Die Hoffnung auf die Uberwindung der Arbeitslosigkeit durch Wirtschaftswachstum, das Fördern der internationalen Leistungsfähigkeit auf Kosten schwächerer Länder oder auch das scheinbar ungebrochene Vertrauen auf den wissenschaftlichtechnischen Fortschritt bieten zumindest keine längerfristigen Perspektiven.

Besonders deutlich macht dies die Widersprüchlichkeit der Politik der Industrieländer gegenüber den Entwicklungsländern. Auf der einen Seite leistet man Entwicklungshilfe, welche trotz ihrem geringen politischen Stellenwert und manchen Mängeln viele richtige und notwendige Akzente setzt.

Auf der anderen Seite betreibt man gleichzeitig eine Außen- und Wirtschaftspolitik, die genau jene Probleme mitverursacht, zu deren Lösung die Entwicklungshilfe angeblich geleistet wird. Gerechtfertigt wird all das mit Konzepten und Grundsätzen, die zumindest nicht mehr in der bisherigen Weise anwendbar sind und durch die Tatsachen als ideologische Leerformeln entlarvt werden.

In seinem berühmten Buch „Small is Beautiful" weist Ernst F. Schumacher zu Recht darauf hin, daß der wissenschaftlichtechnische Fortschritt im Unterschied zur Natur keine Selbstbegrenzung und kein natürliches

Gleichgewicht kennt. Die Tatsache, daß er so widersprüchliche Ergebnisse hervorgebracht hat, beweist nur zu deutlich, daß wir dies leider allzuoft vergessen haben.

Der Vorrang von wirtschaftlichen und anderen Eigeninteressen über das Wohl der Menschen hat dazu geführt, daß die technologische Entwicklung immer mehr Ziel und Selbstzweck wurde, statt als Hilfsmittel im Dierfst der Menschen eingesetzt zu werden.

Dem müßte freilich nicht so sein. So wenig der technologische Fortschritt in der ihm eigenen Dynamik sowie sein wirtschaftlicher Einsatz wertfrei sind, so wenig ist er in sich schlecht. Ganz im Gegenteil, die großen Probleme der Menschheit heute lassen sich sicher nur mit Hilfe des wissenschaftlich-technischen Fortschritts lösen.

Dabei wird allerdings alles davon abhängen, wie sich der Mensch seiner bedient und ob er ihn zu kontrollieren vermag. Er muß wieder selbst über Zielsetzung, Tempo und Einsatz der technologischen Entwicklung entscheiden.

Notwendig ist eine „Technologie mit menschlichen Zügen", wie Schumacher einmal gesagt hat, das heißt eine Technologie, welche den grundlegenden Bedürfnissen der Menschen in ihrem jeweiligen Umfeld angepaßt ist.

Welche Auswahlkriterien dabei in den Entwicklungsländern zu berücksichtigen sind, hat Johann Galtung treffend zusammengefaßt: Befriedigung der Grundbedürfnisse; Entwicklung der lokalen Gegebenheiten; Uberwindung der strukturellen Abhängigkeit auf allen Ebenen; kulturelle Vereinbarkeit; menschliche Bereicherung; ökologisches Gleichgewicht.

Diese Kriterien sind zweifelsohne auch für die Industrieländer gültig. Die wissenschaftlichtechnische Vorbildfunktion, welche die Industriegesellschaften faktisch nach wie vor ausüben, bringt es dabei mit sich, daß ihr verantwortlicher Umgang mit der Technologie eine Art Signalwirkung hätte.

Hinzukommen müßte, daß das wissenschaftlich-technische Potential, das bisher fast ausschließlich in den Industrieländern konzentriert ist, in erheblich größerem Umfang zur Lösung der Probleme der armen Länder und ihrer Menschen eingesetzt wird.

Diese säkulare Aufgabe setzt zweifelsohne ein erhebliches Umdenken und einen tiefgreifenden Wandel in den westlichen Gesellschaften voraus. Gerade die christlichen Kirchen werden sich dieser gewaltigen Herausforderung in Zukunft noch offener stellen müssen.

Umgekehrt können sie dabei auf so bewährte Leitprinzipien wie Würde des Menschen, Option für die Armen, Vorrang der Arbeit vor dem Kapital oder Internationale Solidarität zurückgreifen. Manche Aspekte der christlichen Botschaft wie beispielsweise die Aufforderung zu einer Lebensweise der Selbstbeschränkung gewinnen von hierher sogar ganz neue Bedeutung und Dringlichkeit.

All das wird es selbstverständlich auch den Christen nicht ersparen, sich immer wieder von neuem und trotz unvermeidlicher Rückschläge um die so schwierige Umsetzung dieser Grundsätze in eine gerechtere Wirtschaftsordnung zu bemühen.

Armut und Not von Millionen von Menschen sollten aber Motivation genug sein, diesen Problemen nicht länger auszuweichen, sondern sich mutig und vertrauensvoll auf den Weg zu machen. Dies wäre auch ein kraftvolles und glaubwürdiges Zeugnis für das Motto dieses Katholikentages: „Dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt".

Auszug aus einem Vortrag auf dem Deutschen Katholikentag 1984 in München.

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