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EIGENHEITEN RESPEKTIEREN

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Nicht nur Arbeitsplätze und Wohnungen brauchen Ausländer, um in Österreich heimisch zu werden. Es geht auch um unsere Bereitschaft, ihre unterschiedlichen Kulturen, Sprachen und religiösen Traditionen zu respektieren, um eine Atmosphäre von Offenheit und Akzeptanz.

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Nicht nur Arbeitsplätze und Wohnungen brauchen Ausländer, um in Österreich heimisch zu werden. Es geht auch um unsere Bereitschaft, ihre unterschiedlichen Kulturen, Sprachen und religiösen Traditionen zu respektieren, um eine Atmosphäre von Offenheit und Akzeptanz.

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Es hätte das Zeug zum „Wort des Jahres" meint der Politikwissenschaftler Claus Leggewie belustigt. Es ist doch kein „Zauberwort" versucht Thomas Schmid, Autor und Mitarbeiter im Amt für Multikulturelle Angelegenheiten in Frankfurt, es zu enttarnen. Es ist in aller Munde - so oder so. Bei Verfechtern und bei Gegnern. Das derart umstrittene Wort: „Multikulturelle Gesellschaft".

Schon die Aufregung um diesen Begriff verdeutlicht, daß in der Debatte um das Zusammenleben mit Menschen aus anderen Kulturen - vor allem - in unseren Ballungszentren manche Verwirmis festzustellen ist.

Die Multikulturelle Gesellschaft ist etwa im Wien des Jahres 1991 kein ideologisches Programm. Hält man sich die Ausländeranteile besonders in einigen Wiener Bezirken vor Augen, gibt es eigentlich nur eine Antwort: Multikulturelle Gesellschaft ist eine Zustandsbeschreibung.

Einmal vorausgesetzt, es herrsche in diesem Land politischer Konsens über die Verpflichtung auch nur einigermaßen human zu agieren, so können wir uns heute nicht mehrdie Frage stellen, ob wir mit diesen zugewanderten Menschen in unserer Stadt zusammenleben wollen. Das gesellschaftliche Großprojekt der nächsten Jahre lautet vielmehr: wie können Menschen unterschiedlicherKulturen,

Menschen mit vielfältigsten Lebensentwürfen miteinander leben. Und zwar so leben, daß dabei niemandes Grundbedürfnisse eingeschränkt werden.

Kleine Alltagskonflikte Die Vorstellung, daß dies schon nett und harmonisch ablaufen wird, redet man den Menschen nur richtig ins Gewissen, ist wohl leider folkloristisch-kitschiges Wunschdenken. Multikulturelle Gesellschaft heißt vorerst - und da stehen wir heute -Konflikt. Viele kleine Alltagskonflik-te. Und besonders schmerzlich: parteistrategisch geschürte Angst, die dann für Wahlgänge instrumentalisiert wird. Koste es gesellschaftlich was es wolle.

Unsere Chance besteht darin, diese vielen kleinen Konflikte - von dem zwischen ausländischen Kindern und Pensionistinnen im Wiener Beserl-park bis zu jener Hausgemeinschaft, die den Hof noch nie als Ort fröhlichen Feiems verstanden hat -ernst zu nehmen. Nicht jeder, der Unbehagen artikuliert, ist von vorneherein ausländerfeindlich. Aber umgekehrt gilt auch: nicht jeder, der dieses Unbehagen öffentlich artikuliert, greift es wirklich verantwortungsvoll auf.

Reichlich unspektakulär? Stimmt. Aber verunsicherte Menschen mit ihren Sorgen allein zu lassen, ist jedenfalls die schlechtere Lösung. Sie nehmen dann offensichtlich politische „Hilfsangebote" von jenen ernst, denen sie heute als wahlpolitische Schachfiguren gerade recht sind, die sie aber umgekehrt morgen, etwa beim kleinsten persönlichen Unglück, blitzartig als „Sozialschmarotzer" politisch opfern würden.

Im Umgang mit den vielfältigen Reibungspunkten muß als Grundhaltung gelten: Es gibt keine besseren und schlechteren Kulturen, sie sind gleichrangig. Unsere ist bloß jene, mit der wir gelernt haben zu leben. Die Spielregeln sind vertraut, wir haben sie von Kind an eingeübt, und sie ermöglichen es uns so zu agieren, daß wir nicht permanent ungewollt anecken. Menschen in anderen Kulturen hat man andere Normen, andere Wertsysteme beigebracht. Und selbst wenn sie sich noch so brav daran halten - bei uns finden sie damit oft keine Anerkennung.

Neue soziale Frage Ist also ein „Jeder wie er will"-Nebeneinander die Antwort? Sicherlich nicht. Hier halte ich es ausnahmsweise mit dem ehemaligen Generalsekretär der CDU, Heiner Geißler. Die Achtung der Menschenrechte ist wohl als übergeordnete Grenze zu ziehen. Im Kleinen wird es eines wechselseitigen Lemprozeßes bedürfen: die Eigenheiten anderer Kulturen kennenlernen, wissen wo der andere empfindlich ist und dies auch respektieren.

Ein Reduzieren der Ausländerproblematik auf die kulturelle Ebene wäre aber sicherlich eine unzulässige Verkürzung. Es handelt sich dabei unzweifelhaft um eine soziale Frage. Ausländische Arbeitskräfte verrichten häufig Tätigkeiten, für die Inländer kaum noch zu finden sind. Und vor allem: sie verrichten sie zumeist unter Bedingungen, vor denen Inländer geschützt sind, zu Löhnen, die man sich Inländern gar nicht mehr zu nennen getraut und sie leben häufig in Wohnverhältnissen, die menschenunwürdig sind.

Aber sie geben die Hoffnung nicht auf, damit doch eine Chance zur Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse erhalten zu haben.

Die soziale Situation des überwiegenden Teils der Ausländer erinnert an jene, unter der die Arbeiterbewegung ihren Ausgang genommen hat. Vielleicht ist es alles andere als Zufall, daß gerade in jenen Schichten, die seither doch einen beachtlichen sozialen Aufstieg nehmen konnten, das Abgrenzungsbedürfnis heute besonders groß ist?

Die Autorin ist Mitarbeiterin der Zukunftswerkstätte der SPÖ und derzeit als Wiener Integrationsbeauftragte vorgeschlagen.

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